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Mai 2001
An das P.E.N.-Zentrum Deutschland
ZWEITE STELLUNGNAHME
Geschätzte Anwesende,
im Vorfeld der heutigen P.E.N.-Tagung zu Erfurt wurde mir nahegelegt, P.E.N.-Deutschland
freiwillig, sozusagen durch ein Hintertürchen zu verlassen.
Johano STRASSER ließ mir auf Anfrage mitteilen, daß der Ehrenrat des P.E.N.
bis zu dieser Tagung keinen abschließenden Bericht vorlegen wird. Wie lange soll
ich noch mit dem Femegericht im Genick zubringen? Mit dieser heutigen zweiten Stellungnahme
will ich diesem Ehrenrat die Entscheidungsfindung erleichtern.
Seit meiner ersten Stellungnahme (auf der letzten P.E.N.-Ost Versammlung in Berlin)
sind Jahre vergangen. Obwohl damals mindestens ein halbes Dutzend Kameras und Mikrofone
auf mich gerichtet waren, erschien kein Bild, kein Wort in den Medien. Ich danke trotzdem
für die erwiesene Aufmerksamkeit.
Der unermüdlichen Tätigkeit versierter Aktenforscher ist zu verdanken, daß
neues Material gegen mich ausgekramt wurde. Ich hätte IM-Tätigkeit bis 1989
verschwiegen. Warum sollte ich n i c h t? War der kalte Krieg gegen den Sozialismus
zu Ende? Sollte ich Aktenwürmer vorzeitig im Lohn und Brot bringen? Befreit von
der Last ewiger Aktenwälzerei, hör ich, könnte das P.E.N.-Zentrum dann
seinen humanitären Pflichten besser nachkommen. Diese Argumentation überlasse
ich ihrer Dürftigkeit. Gerufmordet bin ich ja schon. Kein Verleger, kein Intendant,
kein Chefredakteur, der bei meinem Namen nicht zusammenzuckt, zumindest im großen
Personalindex "Sicherheitsbereich Literatur" nachschlägt.
Für dreihunderttausend Mark kann man sich Gesellschaftsfähigkeit erkaufen.
Für eine symbolische Mark wurden ganze ostdeutsche Industriekomplexe ergaunert.
Unter solchen Umständen ist mir meine Ehre keine drei Pfennige wert. Ich verteidige
mich hier mit Worten, einer Währung, die unter Poeten, Essayisten, Novellisten
noch nicht so tief im Kurs stehen dürfte.
1772 sagte ein gewisser Johann-Heinrich MERCK (nachzuschlagen unter 'Sturm und Drang')zu
seinem Freund >GOETHE: "Deine unablenkbare Richtung ist es, die Wirklichkeit
zu poetisieren; andere suchen, die Poesie zu verwirklichen, und das gibt nichts als
dummes Zeug."
Die Wirklichkeit des 18. Jahrhunderts kannte keine Gaskammern, keine Kadavermehlfabriken,
keine grölenden Nazihorden, was alles, und noch viel mehr, zu poetisieren gewesen
wäre.
Wie aber steht es um die Verwirklichung von Poesie?
Poiäsia entwickelte sich aus dem griechischen ponos, was soviel heißt wie
Mühe, Bemühung, und ist damit nichts weniger als irgendeine Lyrik. Poesie
ist Liedhaftigkeit des bewußten Tuns.
LENINS Poesie hieß: "Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes."
Der Schwung dieser Periode reichte, um die deutschfaschistischen Heerhaufen aus dem
Lande zu schlagen. In dem Auframmen der Lagertore von Auschwitz durch die Panzer der
Roten Armee lag eine geballte Ladung verwirklichten Menschheitstraumes.
Verwirklichte Poesie aber gerinnt alsbald zu krudem Alltag, der durch neue politische
Konzepte überwunden werden will. Ein neues Konzept liedhaft bewußten Tuns
ist derzeit weltweit nicht in Sicht.
Symbole sind zu Sinnbildern verkürzte Poesie. Vergleichen Sie das Staatswappen
der Bundesrepublik Deutschlands mit dem des Libanon. Achten Sie auf den sinnbildlichen
Anspruch und stellen Sie den Grad seiner Verwirklichung fest. Was für Traumzüge
können unter dem schwarzen Krallengeier aufkommen?
Etwa einhundertfünfzig Treppenstufen über Martin WESKOTTS bescheidener Pfarrerswohnung
dräut die Kahlenburg. Die dortigen Gästezimmer tragen Aufschriften (Gedächtniszitat):
"Memelland", "Posen", "Warthegau" ... Ich durfte im Zimmer
"Weichsel" übernachten. Jener Revanchistentempel gilt als 'Heim der
deutschen Schreberjugend'. Pfarrer WESKOTTs Enttarnungseifer wäre einer schlimmeren
Sache würdig als dem Wühlen in vergilbten STASI-Papieren.
US-Präsident George BUSH, vormals selber CIA-Chef, frohlockte: "Mit Gottes
Hilfe haben wir den Kalten Krieg gewonnen!". Ich stehe hier mit Vorwürfen
belangt, als wäre der Kalte Krieg voll im Gange. Welche Asche soll ich auf mein
Haupt streuen, die Asche abgefackelter Asylantenheime, die Asche verbrannter, dem
Profitstreben geopferter Tiere?
Mir wird vorgeworfen, ich hätte Einfluß auf die Auswahl von Autoren im DDR-Literaturbetrieb
genommen. Das ist richtig. Christof HEIN legte Wert darauf, Mitglied im Schriftstellerverband
der DDR zu werden. Ich, IM Heinrich, schrieb für ihn eine Bürgschaftserklärung.
Den Wortlaut habe ich dabei. Wenn Interesse besteht, und Kollege HEIN nichts dagegen
hat, lese ich die Bürgschaft gerne vor.
Reiner KUNZE hatte Schwierigkeiten mit dem DDR-Radio. Ich, Erich Köhler, schrieb
an den Rundfunk und lobte KUNZEs Gedichte. KUNZE äußerte daraufhin im Kreise
anderer Autoren: KÖHLER hat mich vor dem Zuchthaus bewahrt. Mochte er mit dieser
Übertreibung seelig werden.
Ich habe nie einen Bericht an das M.f.S. geschrieben. Textgutachten, soweit ich solche
verfaßt habe, waren von der kritischen Achtung vor der Autorenleistung getragen.
Aufzeichnungen meines damaligen Führungsoffiziers nach Gesprächen oder heimlichen
Telefonmitschnitten nehme ich nicht auf meine Kappe. Sie sind leicht als Elaborate eines
von seiner Aufgabe überforderten Beamten zu erkennen.
Ich habe die Idee von Hammer, Zirkel und Ährenkranz verteidigt. Sage keiner meiner
Ankläger, er / sie hätte das ja auch getan, sei nur eben von der STASI daran
gehindert worden. Das Unglaubliche an diesem Verfahren liegt darin, daß die DDR
angeblich gar keine Feinde hatte und nur aus Bosheit einen Sicherheitsdienst aufzog.
Die nachträglich betriebene Delegitimierung des ersten nichtkapitalistischen Staates
auf deutschem Boden blamiert sich an ihrer Vehemenz.
In Lindau stellte mir Martin WESKOTT ein Singekränzchen vor. Ältere Damen
sangen: "Ein Jäger längs dem Weiher ging, lauf, Jäger lauf!".
Dieses Liedlein variiere ich: "Lauft, STASI-Jäger lauft!, eh Dämmerung
den Wald umfängt." Es ist kein ehrbares Tun bei nach wie vor einseitig eröffneter
Aktenlage. Darin liegt die wirkliche Bosheit. Es waren nicht die besseren Athener,
die SOKRATES den Schierlingsbecher reichten. ... "das Unzulängliche, hier
wird's Ereignis."
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