"Kommunistische Arbeiterzeitung" Nr. 262  20. Januar 1995

 

Ich sehe IM-Tätigkeit anders

Erich Köhler
Alt Zauche    8.12.93
Jahrestagung P.E.N.(OST)

 

Geringverursachte Schutzred

 

Sehr Geehrte:
 

Erich Fried:

Kann denn der Kulturschock
bei Begegnung
mit fremden Kulturen
den Schock verringern
den mir
meine eigene
bringt?

 

Auf Neudeutsch: 
Die verdeckten Mitarbeiter des MfS heißen Spitzel Spitzel von Geheimdiensten übriggebliebener Kulturen bleiben verdeckte Mitarbeiter

 

WENDE bedeutet Wandlung eines Kulturschocks in einen anderen. Es gab Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen war. Inzwischen ist es fast ein Verbrechen, nicht über Bäume zu reden. Trotzdem lassen sich deutsche Intellektuelle das Dauergespräch über den Sicherheitsdienst eines Staates aufnötigen, den es nicht mehr gibt.

Welche Kultur schockt uns heute? Nach Einbruch der Dunkelheit traut sich kaum noch ein Mensch auf die Straße. Bürger haben die Freiheit zu erfrieren. Überall im Lande lodern Feuer, die nicht wärmen. Brauner Mob frequentiert die Städte; wenn sie das im Osten tun, wird es als Ausdruck endlich wiedererlangter Freiheit gefeiert. Nazi-Blutrichter genießen hochpensioniert ihren Lebensabend. Mehr noch als die Opfer werden die Täter des II. Weltkrieges geehrt. Ein ganzes Volkseigentum wurde verramscht; eine entstandene Kultur zunichte gemacht. Im Osten läuft das größte Bauernlegen seit dem Ausgang des Mittelalters. Eine neue Fürstenabfindung wird inszeniert. Club of Rome konstatiert: Menschheit am Abgrund. Motive übergenug für Schriftsteller. Aber Klaus Schlesinger tingelt mit einer abgeschmackten Erkennungsstory durch die Medien. Vor dreizehn, vierzehn Jahren sei ihm ein IM Heinrich untergekommen. Bemüht wird der zweite dramaturgische Erkenntnissatz aus der Poetik des Aristoteles: Das Äußerliche, die Lederjacke und der scheue Blick. Vorausgesetzt wird Erkennungs- und womöglich Vollzugseifer nach Indizien auf Grund der herrschenden Staatsdoktrin: Die DDR war ein Unrechtsstaat, ihr Sicherheitsdienst die Ausgeburt der Hölle.

Um sein Prinzip Hoffnung zu entwickeln, setzte Ernst Bloch unter anderen die Kategorie der unabgegoltenen Mythen, zum Beispiel des Kampfes mit dem Drachen (St.Georg, Siegfried u.a.). Wer aber ist der neuzeitliche Drache? Ist es die Stasi, aus deren Kadaver Decknamen wie Angelmaden erklecklich feilgeboten werden? Ist es der rezente, aber ehemalige Gehlen-Dienst, dessen Spitzel im Tabubereich der sieghaften Staatsmacht agieren? Oder ist es nicht vielmehr die Gesamtheit aller überständigen Geheimdienste, die erledigt werden müßte, soll denn wenigstens dieser eine Mythos abgegolten werden?

Ich sehe IM-Tätigkeit wesentlich anders, als Schlesinger sie tendenziert. Die DDR war ein geschätztes, anerkanntes Mitglied der UNO, Geschäftspartner auch der BRD, deren politische Kräfte nichtsdestotrotz die Vernichtung dieses ersten nichtkapitalistischen Versuches auf deutschem Boden betrieben. Auf dem Gebiet der DDR waren fremde Geheimdienste tätig, lange bevor die Republik selber einen hatte. Inzwischen haben„... wir mit Gottes Hilfe den Kalten Krieg gewonnen..." (Zitat Ex-CIA-Chef George Bush). Aber dieser Krieg geht weiter. Das Sprachportrait in Schlesingers bis zum Erbrechen wiedergekäutem Aktenfraß läuft mit Verbalinjurien wie: Verräter, Denunziant, Petze, Doppelspiel ... ganz auf einer feindseligen, vom Westen involvierten Begriffsschiene.

Unter der, wie inzwischen am Ergebnis zu besichtigen, tödlichen Bedrohung der DDR kam es zu Überreaktionen der Staatsmacht, die zählbare Opfer zu spüren bekamen. Klaus Schlesinger gehört nicht zu diesem Personenkreis. Wo ist jenes seiner Bücher, das zu DDR-Zeiten zehn, zwölf, vierzehn Jahre auf seine Drucklegung warten mußte? In seinen neueren Texten kolportiert er unentwegt den Gag: „Ist doch gut, daß wir uns bei Gauck treffen, und nicht im Lager." Ich will das nicht qualifizieren. Das mit dem Lager darf getrost als Koketterie aufgefaßt werden. Immerhin räumt der Auktionarius im gleichen Text seinem IM Heinrich die Mitteilung ein: „Diesen Kampf führt er (Schlesinger) in aller Öffentlichkeit, wie er überhaupt nichts tut - nach meiner (des IM) Meinung -, was er nicht in der Öffentlichkeit tun kann." Wie? Hat der Spitzel ihn damit womöglich vor dem Lager bewahrt?

Trotzdem führt Schlesinger seine Gauckmission dermaßen fort, daß er Andeutungen liefert, nach denen eifervolle Rezipienten die Selbstenttarnung des IM einzuklagen hätten. Nach diesem Muster haben in deutscher Vergangenheit Abertausende, hauptsächlich Frauen, sich als Hexen bekannt, ohne daß die Inquisitionsbehörde auch nur den geringsten Beweis geliefert.

Mitis depone collum, sigamber. Adora quod incendisti, incende, quod adorasti. (Beuge den Nacken, Sugambrer (1). Verbrenne, was du angebetet, bete an, was du verbrannt hast.) Die remigianische (2) Urformel der neudeutschen Kronzeugenregel: Verrate dich selbst, wende dich um hundertachtzig Grad, hau deine Genossen in die Pfanne, und du bekommst dafür unseren Segen.

Ich habe Achtung vor diesem IM Heinrich. Er irrte, seiner Gesinnung nach, in einem dumpfreaktionären aber hochsensibilisierten Terrain umher. Und ich bedauere ihn. Er mußte sich, wie Schlesingers Texte durchblicken lassen, nichts als ermüdendes, triviales Blabla fernab jeder historisch determinierten Dimension anhören, ohne verzweifeln zu dürfen.

Die Mauer ist weg. Sie hätte niemals auf pur kapitalistisch fallen dürfen. Schock bleibt Schock. Wo einst ein „Hort des Bösen" war, dämmert die Höhle des Stasi-Drachen, gespenstisch durchfunzelt von den Suchlampen gewerbsmäßiger Aktenforscher.

Mit Schlesingers quasiliterarischem Konstrukt, diesem IM Heinrich, identifiziere ich mich nicht. Wer Klarheit will, muß seine einschlägigen Beziehungen zum Aktenwurm aufwärmen und von dort her Beweise nach der am wenigsten dramaturgischen Erkennungsformel des Aristoteles herbeischaffen. In solchem Falle werde ich mich zu verhalten wissen. Bis dahin aber wäre P.E.N.(Ost) praktisch beraten, zur Tagesordnung überzugehen.

Erich Köhler, 9.12.1993

(1) Sugambrer: Germanischer Volksstamm, im 1.Jh.v.Chr. rechtsrheinisch zwischen Sieg und Ruhr ansässig. Kämpften zusammen mit Cheruskern u.a. gegen Cäsar (Gallischer Krieg). Von Tiberius geschlagen.

(2) Remigianisch: Eigene Ableitung von Remigius, Bischof von Reims, der den Clodowech um 500 taufte; nach römisch Remigium - später zu Reims eingedeutscht.

 

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An die Redaktion der Kommunistischen Arbeiterzeitung, München

Liebe Guggi,

nach der konterrevolutionären Wende im Osten stieß ein Berliner Schrift­steller beim Studium seiner Stasi-Akte auf einen IM Heinrich. Er brachte dessen Signaturen andeutungsweise, ohne Klarnamen, bei verschiedenen bürgerlichen Medien -„Die Zeit", „Wochenpost"- in Umlauf. Endlich, im Dezember 1993, befaßte sich das Deutsche P.E.N.-Zentrum (Ost), dem ich noch angehöre, unter anderem auch mit diesem Vorgang. Daraufhin verlas ich die hier beigefügte „Geringverursachte Schutzred". Jener Teil der Tagung fand unter Ausschluß der Presse statt. Kurz danach, das Datum weiß ich nicht mehr, erschien in der „Zeit" ein Gedächtnisprotokoll ebendieser Tagung, worin auch meinem Auftreten ein breiter Platz eingeräumt wur­de. Da im Jargon jenes „Zeit"-Artikels das P.E.N.-Zentrum (Ost) herabge­würdigt und zudem mit falschen Namen operiert wurde, fühle ich mich nicht mehr an den Presse-Ausschluß gebunden und gebe hiermit die Schutzred zum Abdruck frei. Nach Verlängerung der Kohl-Schäuble'schen Reaktionsperiode durch den sogenannten Wählerwillen, der äußerst knapp ausfiel, ist mit einem neuen Auftrieb des Stasi-Aufklärungseifers einiger deutscher Intellektueller, bei weitem nicht aller, zu rechnen. Die Schutz­red gewinnt damit an Aktualität. Vieles darin würde ich heute noch schärfer sagen. Ich kann nicht damit rechnen, daß die Monopolpresse eine solche Stimme zu Wort kommen läßt. Darum wende ich mich an die KAZ, in der Hoffnung, sie möge sich des Textes annehmen.

Mit freundlichen Grüßen,

Erich Köhler,

29.12.1994