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Hinweis:


"...ich bin ein deutscher Dichter..."
Reminiszenzen an Heinrich Heine
CD von Detlev Rose und Christian Georgi
 
CD-Ansicht

 

  Auszug aus: Heinrich Heine  

 

 


Vorrede
(zur französischen Ausgabe der "Lutezia")
 


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Dieses Buch enthält eine Reihe von Briefen und Berichten, welche ich während den Jahren 1840 bis 43 für die Augsburger Allge­meine Zeitung schrieb. Aus wichtigen Gründen habe ich diesel­ben vor einigen Monaten als besonderes Werk unter dem Titel "Lutezia" in Deutschland herausgegeben; ebenfalls wichtige Grün­de bestimmen mich, diese Sammlung jetzt auch in französischer Sprache erscheinen zu lassen. Da nämlich jene Briefe in der er­wähnten Zeitung ganz anonym erschienen und mancherlei be­denkliche Umänderungen erlitten, so fürchtete ich, daß man sie nach meinem Tode in solcher mißlichen Gestalt und vielleicht gar amalgamirt mit fremden Zusätzen unter meinem Namen herausgeben möchte, und ich zog es daher vor, um solchem posthumen Mißgeschick zu entgehen, selbst eine gesichtete Her­ausgabe jener Briefe zu veranstalten.
Nachdem ich solchermaßen noch bei Lebzeiten wenigstens die gute Reputazion meines Styles gerettet, hatte ich leider der Bos­willigkeit eine Waffe geliefert, den guten Leumund meines Ge­dankens zu verdächtigen: die totale Unkenntniß der deutschen Sprache, welche selbst bei vielen der gebildetsten Franzosen ge­funden wird, wußten einige meiner Landsleute männlichen und weiblichen Geschlechtes so arglistig auszubeuten, daß sie ihnen glauben machen konnten, mein Buch Lutezia verunglimpfe sogar meine besten Freunde, und es seien darin alle Personen und Ge­genstände, die den Franzosen theuer, mit hämischen Späßen her­abgewürdigt. Es war daher für mich ein Bedürfniß des Gemü­thes, in kürzester Frist eine französische Version meines Buches zu verfertigen, und die geliebte Lutezia kann jetzt selbst darüber urtheilen, ob ich in dem Buche, dem ich ihren Namen ertheilt, sie freundlich oder feindselig behandelt habe. Erregte ich hie und da, durch einen rohen Ausdruck oder eine taktlose Mittheilung, ihre Unzufriedenheit, so darf sie es nicht einem Mangel an Sym­pathie, sondern nur einer mangelhaften Bildung zuschreiben. Vergiß nicht, Geliebteste, meine Nazionalität: obgleich ich einer der bestgelecktesten deutschen Bären bin, so kann ich doch nicht ganz meine Natur verläugnen; meine Liebkosungen konnten Dich zuweilen verletzen, und ich habe Dir vielleicht manchen Pave auf den Kopf geschmissen, um Dich vor Fliegen zu be­schützen! Dazu kommt, daß ich in diesem Augenblick, wo ich ganz besonders krank bin, nicht viel Zeit und Heiterkeit auf die Feile meines Styles verwenden kann, und daher diese französi­sche Version in solcher Beziehung der deutschen sehr nachstehen muß; in letzterer milderte der Styl überall die Herbheiten des Stoffes. Es ist hart, sehr hart, wenn man in so schlechtem Anzug der eleganten Lutezia an dem Seinefluß seine Aufwartung ma­chen muß, während man die schönsten Röcke und manche prachtvoll gestickte Weste daheim in der deutschen Commode liegen hat.
Nein, Lutezia, ich habe Dich nie schmähen wollen, und wenn Dir böse Zungen das Gegentheil insinuiren, so zweifle nicht an der Aufrichtigkeit der Liebe, die ich für Dich hege. In keinem Falle haben niedrige Motive meine ...
 
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Waren die Republikaner ein bedenkliches Thema für den Cor­respondenten der Allg. Ztg., so waren es noch in höherm Grade die Sozialisten, oder um das Schreckniß bei seinem rechten Na­men zu nennen, die Communisten. Und dennoch gelang es mir, dieses Thema in der Allg. Ztg. zu besprechen. Gar manchen Brief unterdrückte die Redakzion, in der wohlmeinenden Furcht, daß man den Teufel nicht an die Wand malen dürfe. Aber nicht Alles durfte sie vertuschen, und wie gesagt, es gelang, das fürchter­liche Thema zur Sprache zu bringen, zu einer Zeit, wo noch nie­mand eine Ahnung von seiner wahren Bedeutung hatte. Ich malte den Teufel an die Wand, oder, wie ein geistreicher Freund sich ausdrückte, ich machte ihm eine höllische Reklame: Die Communisten, die vereinzelt in allen Landen verbreitet, ohne bestimmtes Bewußtsein ihres Wollens, erfuhren durch die Allg. Ztg., daß sie wirklich existirten, erfuhren auch bei solcher Ge­legenheit ihren wirklichen Namen, der manchem dieser armen Findelkinder der alten Gesellschaft ganz unbekannt war. Durch die Allg. Ztg. erhielten die zerstreuten Communistengemeinden
authentische Nachrichten über die täglichen Fortschritte ihrer Sache, sie vernahmen zu ihrer Verwunderung, daß sie keineswegs ein schwaches Häuflein, sondern die stärkste aller Partheien, daß ihr Tag noch nicht gekommen, daß aber ruhiges Warten kein Zeitverlust sei für Leute denen die Zukunft gehört. Dieses Ge­ständniß, daß den Communisten die Zukunft gehört, machte ich im Tone der größten Angst und Besorgniß, und ach! diese Tonart war keineswegs eine Maske! In der That, nur mit Grauen und Schrecken denke ich an die Zeit wo jene dunklen Ikonoklasten zur Herrschaft gelangen werden: mit ihren rohen Fäusten zer­schlagen sie alsdann alle Marmorbilder meiner geliebten Kunst­welt, sie zertrümmern alle jene phantastischen Schnurrpfeife­reien, die dem Poeten so lieb waren; sie hacken mir meine Lorbeerwälder um, und pflanzen darauf Kartoffeln; die Lilien, welche nicht spannen und arbeiteten, und doch so schön geklei­det waren wie König Salomon, werden ausgerauft aus dem Bo­den der Gesellschaft, wenn sie nicht etwa zur Spindel greifen wollen; den Rosen, den müßigen Nachtigallbräuten, geht es nicht besser; die Nachtigallen, die unnützen Sänger, werden fortgejagt, und ach! mein Buch der Lieder wird der Krautkrä­mer zu Düten verwenden, um Kaffee oder Schnupftabak darin zu schütten für die alten Weiber der Zukunft - Ach! das sehe ich alles voraus, und eine unsägliche Betrübniß ergreift mich, wenn ich an den Untergang denke, womit meine Gedichte und die ganze alte Weltordnung von dem Communismus bedroht ist - Und dennoch, ich gestehe es freimüthig, übt derselbe auf mein Gemüth einen Zauber, dessen ich mich nicht erwehren kann, in meiner Brust sprechen zwei Stimmen zu seinen Gunsten, die sich nicht zum Schweigen bringen lassen, die vielleicht nur dia­bolische Einflüsterungen sind - aber ich bin nun einmal davon besessen, und keine exorzirende Gewalt kann sie bezwingen - Denn die erste dieser Stimmen ist die Logik - der Teufel ist ein Logiker, sagt Dante - ein schrecklicher Syllogismus behext mich, und kann ich der Prämisse nicht widersprechen: "daß alle Men­schen das Recht haben, zu essen", so muß ich mich auch allen Folgerungen fügen - ich könnte darüber unklug werden, alle Dämonen der Wahrheit tanzen triumphirend um mich her, und am Ende ergreift mich eine verzweiflungsvolle Großmuth, wo ich ausrufe: gesegnet sei der Krautkrämer, der einst aus meinen Gedichten Tüten verfertigt, worin er Kaffee und Schnupftabak schüttet für die armen alten Mütterchen, die in unsrer heutigen Welt der Ungerechtigkeit vielleicht eine solche Labung entbeh­ren mußten - fiat justitia, pereat mundus!
Und die zweite der beiden zwingenden Stimmen, von welchen ich rede, ist noch gewaltiger als die erste, denn sie ist die des Hasses, des Hasses den ich jenem gemeinsamen Feinde widme, der den bestimmtesten Gegensatz zu dem Communismus bildet; und der sich dem zürnenden Riesen schon bei seinem ersten Auf­treten entgegenstellen wird - ich rede von der Partei der soge- nannten Vertreter der Nazionalität in Deutschland, von jenen falschen Patrioten, deren Vaterlandsliebe nur in einem blödsin­nigen Widerwillen gegen das Ausland und die Nachbarvölker besteht, und die namentlich gegen Frankreich täglich ihre Galle ausgießen - Ja, die Überreste oder Nachkömmlinge der Teuto­manen von 1815, die blos das altdeutsche Narren-Costum ge­wechselt und sich die Ohren etwas verkürzen ließen, ich haßte und bekämpfte sie Zeit meines Lebens, und jetzt, wo das Schwert der Hand des Sterbenden entsinkt, erquickt ihn die Überzeu­gung, daß ihnen ganz sicher der Communismus den Garaus macht, nicht mit einem Keulenschlag, nein, mit einem bloßen Fußtritt; wie man eine Kröte zertritt, wird der Riese sie zertre­ten. Aus Haß gegen die Nazionalisten könnte ich schier die Com­munisten lieben. Wenigstens sind sie keine Heuchler, die immer die Religion und das Christenthum im Munde führen; die Com­munisten, es ist wahr, besitzen keine Religion (einen Fehler muß doch der Mensch haben), sie sind sogar Atheisten (was gewiß eine große Sünde ist), aber in ihren obersten Prinzipien huldigen sie einem Cosmopolitismus, einer allgemeinen Völkerliebe, einem Weltbürgerthum aller Menschen, welches ganz übereinstimmend ist mit dem Grunddogma des Christenthums, so daß sie in Wesen und Wahrheit viel christlicher sind als unsre deutschen Maul­christen, die das Gegentheil predigen und üben.
Ich rede zu viel, jedenfalls mehr als mir das Halsübel, woran ich jetzt leide, so wie auch die Klugheit erlauben möchten. Daher nur noch ein paar Worte zum Schluß. Ich habe über die Hinder­nisse, unter welchen die Briefe der Lutezia abgefaßt wurden, vielleicht Hinreichendes angedeutet. Außer den örtlichen hatte ich auch, wie oben gesagt, mit zeitlichen Hindernissen zu kämp­fen. Von diesen letztern wird der vernünftige Leser sich viel leichter einen Begriff machen können; er braucht nur das Datum jener Briefe ins Auge zu fassen und sich zu erinnern, daß zu je­ner Epoche eben die nazionale oder sogenannte patriotische Par­tei, von welcher ich eben geredet, in Deutschland das große Wort führte, und der Schreiber dieser Blätter sehr vereinzelt, wie ein verlorener Posten inmitten der Feinde, eine sehr mißliche Stel­lung hatte. Die Julius-Revoluzion schob jene Partei etwas in Hintergrund des politischen Lebens, aber die Fanfaren der fran­zösischen Presse von 184o bot jener gallophoben Partei die beste Gelegenheit, sich wieder geltend zu machen; sie sangen ihr Rheinlied. Zur Zeit der Februarrevoluzion wurden sie über­stimmt von razionalistischern Tönen, die aber bald verstumm­ten, als die große Reakzion eintrat; heute geben diese Vater­landsretter wieder in Deutschland den Ton an, und brüllen mit allerhöchster Erlaubniß. Brüllt nur immerfort, der Tag wird kommen, wo der fatale Fußtritt Euch zermalmt. Ich darf mich ohne Sorge zur Ruhe begeben.
Und nun, theurer Leser, hab' ich so viel als möglich Dich in den Stand gesetzt, die Gewissenhaftigkeit und die Gedanken-Ein­heit dieses Buches zu beurtheilen; ich grüße Dich mit Freundlich­keit, und sur ce, je prie Dieu qu'il t'ait en sa sainte et digne garde!
Paris, April 1855.
H. H.
 

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