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Zur Poetik anderer Autoren
 

Hinweis:

Hier sollen weitere Autoren zu Wort kommen, auch über den in diesem Sprechstück angesprochenen Kreis und Gegenstand hinaus
Die Auswahl ist dem Zufall und den Vorlieben des Machers dieser Seiten geschuldet

 

Siehe auch:
Mythos, Utopie und Rapsode
"Sture"-Rezension von J. Verdofsky (06.11.1991)

 


DICHTER UND GRAL

Ein Sprechspiel,

aufgeführt in der VOLKSBÜHNE Berlin und
im Volksgut-Tierproduktion "Spreewald" zu Radensdorf.

Ausführende: Schauspieler von der VOLKSBÜHNE

Regie:        Jürgen VERDOFSKI

Autor:        Erich KÖHLER

E.Köh. (1986) Foto: R.Weisflog

Erich Köhler 1986 während einer Diskussionsrunde
über sein Lesespiel "Dichter und Gral"           Foto: Rainer Weisflog

 
Legende:
Den Sprechern (mit Ausnahme des 1. und des 12. Sprechers) liegt eine Chrestomatie historischer Persönlichkeiten aus Literatur und Politik zugrunde. Die Zitate wurden vom Autor tendenziös im Sinne seines Anliegens verwertet.
Vorlage für Sprecher 12. ist eine Einlassung von Klaus JARMATZ zu „Schrägschnitte" (SINN und FORM 3/86).

Anlage: Goldener Topf, Art Sektkübel oder Waschkessel.
 

Indikation:

  •  1. Sprecher Autor, E. KÖH.
  •  2. Sprecher alias WOLFRAM von Eschenbach
  •  3. Sprecher alias WALTHER von der Vogelweide
  •  4. Sprecher alias Torquado TASSO
  •  5. Sprecher alias Francois VILLON
  •  6. Sprecher alias J. W. GOETHE
  •  7. Sprecher alias Henri de SAINT-SIMON
  •  8. Sprecher alias Christoffel von GRIMMELSHAUSEN
  •  9. Sprecher alias Bankier LAFITTE
  • 10. Sprecher alias Heinrich HEINE
  • 11. Sprecher alias Wladimir MAJAKOWSKI
  • 12. Sprecher alias Klaus JARMATZ
Verschiedene Personen können zwei Rollen über­nehmen.

Die Auftritte


  1. Sprecher (Autor, E. KÖH.)
 
Eine Halle weiß ich zu Gimle
darin steht der rußige Kessel ELDHRIMNIR
darin siedet der rußschwarze Koch ANDHRIMNIR
den rußschwarzen Eber SÄHRIMNIR, der
kaum verzehrt, wieder lebendig und feist wird
um erneut gekocht zu werden

Auf schildgedecktem Dache
weidet Heidrun, die Ziege, vom Baume LÄRAD
Ihr Euter spendet Met im Überfluß

Die Sättigung der auserwählten Krieger
deren ODIN zum Endkampf gegen der HEL Leute
die Ärmsten der Welt, am Tage der GÖTTER­DÄMMERUNG
bedurfte, war somit problemlos

Ein Stück Schweinebauch, ein Humpen Met
mehr schwebte unseren Altvordern zur Seligkeit nicht vor
BEDINGUNG, um aus der rauhen Wirklichkeit
dorthin berufen zu werden, war TAPFERKEIT und SCHLACHTENTOD

Wollte ein Dichter zu WALHALL teilhaftig werden
mußte er ebenso wacker unter Waffen sterben
wie alle übrigen Herier
Von einer Sonderregelung, einem Ersatzwehrdienst für Barden,
um ohne Heldentot an den immervollen Kessel zu kommen
weiß die EDDA nichts

  2. Sprecher (WOLFRAM von Eschenbach)
 
Du sprichst von einem rußigen Kessel
GRAL hieß das Wunder in meinem PARZIVAL
vom Himmel auf die Erde verbracht,
und glänzte von Gold, von edlen Rittern bewacht
Auf weißem Tuche lag vor dem GRALE immer bereit
wonach ein jeder die Hand reckte.
Der Mäßige und der Fresser hatten ihr Genüge

  1. Sprecher (Autor, E. KÖH.)
 
Wer wo was abgraste, um die Zutaten zu liefern, sagst du nicht?

  2. Sprecher (WOLFRAM von Eschenbach)
 
Gott gab's den Seinen

  1. Sprecher (Autor, E. KÖH.)
 
Waren Dichter unter ihnen, du vielleicht

  2. Sprecher (WOLFRAM von Eschenbach)
 
Der HEILIGE GEIST entschied mit Leuchtschrift auf dem GRALE,
wer in den Orden aufzunehmen war
Niemals erschien der Name eines Dichters

  1. Sprecher (Autor, E. KÖH.)
 
Konntest du diesem Geist nicht nachhelfen
Niemand wüßte heute vom TISCHLEINDECKDICH
für Auserwählte ohne deinen Exklusivbericht

  2. Sprecher (WOLFRAM von Eschenbach)
 
Der Dichter ist zu stolz oder bescheiden
Er läßt sich bitten, also muß er leiden

  3. Sprecher (WALTHER von der Vogelweide)
 
Ich hab mein lehen, alle Welten ich hab mein lehen
Nimmer fürchte ich den frost an meinen zehen
und brauche geizige herren nicht mehr anzuflehen

  1. Sprecher (Autor, E. KÖH.) (zum 2.)
 
Der Dichter, sagst du, bettelt nicht

  3. Sprecher (WALTHER von der Vogelweide)
Ich hab gebettelt und gebeutelt, verwünscht
gerügt, manch arge Schelmerei vereitelt
Für mich befand der GRAL sich nicht
auf einer Burg zu WEISSNICHTWO
An allen Fürstenhöfen standen Kessel
waren voller Bier und Wein die Fässer
DICHTER gehörten dennoch nicht
zum Aufgebot der Säufer und der Fresser

  4. Sprecher (Torquado TASSO) (nachdenklichen introvertiert)
 
Es wäre ahnungsweise meine historigliche Pflicht
mich stellvertretend für die ganze DichterGILDE
ans Heiligtum, den GRAL, zu projizieren
gerade weil unseren Regierenden, ob sie Ferrara
heißen, Medici, Urbino, Gonzaga, Clemens Vlll. gar
an nichts weniger gelegen ist als an dem Spekulieren
zum Thema vom Verhältnis zwischen Wirklichkeit
und Poetisieren

  1. Sprecher (Autor, E. KÖH.)
 
GOTT jedenfalls steuerte längst kein Krümel keinen Tropfen
Für die Speisung seiner Angeheu­erten bei.
Wer hier vom Gral berichten wollte,
mußte prüfen wie auf wessen Kosten
die Produkte aufgetrieben wurden
Du, mein Bester, warest nicht der Mann für diesen Posten

  5. Sprecher (Francois VILLON) (in Handschellen)
 
Es hatte sich längst breit herumgesprochen
wo die vollen Kessel standen,
doch wurde dem die Hand gefesselt oder gar gebrochen
der sie nach Speis und Trank ausstreckte
bevor er seinem Herrn den Hintern leckte
Da klärte sich fü für mich das Glücksproblem
Nur wer im Wohlstand schwelgt, lebt angenehm

  1. Sprecher (Autor, E. KÖH.)
 
Wer bist du

  5. Sprecher (Francois VILLON)
 
Franzose bin ich - nicht zum Spaße
geboren zu Paris, nah bei Pontoise
Werd ich am Galgen hochgezogen
spür ich am Hals, wieviel mein Arsch gewogen

  4. Sprecher (Torquado TASSO) SPRECHER
 
Gossenliterat. Plebejisch vorreformatorisches Geschrei

  5. Sprecher (Francois VILLON) SPRECHER
 
Starre du nur auf die Fürstenpracht
von der du abgenagte Knochen kriegs
Auf dieses Pack kann ich nur spei'n
Man schlage ihnen ihre Fressen
mit Eisenhämmern kurz und klein.
Ich bin VILLON, das braucht mir niemand zu verzeih.

  1. Sprecher (Autor, E. KÖH.)
 
Man hatte in Italien eine frühbürgerliche Revolution überstanden
und wollte verlorene Einzugsgebiete zurückerobern,
im Norden die betuchten Niederlande, im Osten das Heilige Grab.
Des Dichters (weist auf den 4. Sprecher) bedurfte man zur Hymnisierung,
um aus flandrischen Spitzen und morgenländischen Heilsiegenden
ein jesuitisches Tischtuch für den GRAL zu klöppeln

  4. Sprecher (Torquado TASSO)
 
Zwischen Lorbeerkranz und Scheiterhaufen
hatte ich zu wählen, nicht zu krakeelen
Wo bleibe ICH, was wird aus MIR
wie dieser hier (weist auf den 5. Sprecher)
Angezogen von der Pracht am Hofe zu Ferrara
abgestoßen von erniedrigenden Bedingungen
schwankte ich, lief weg, kam wieder,
wurde meiner Freiheit beraubt, verrückt erklärt
gelobt, getadelt, wie's wem gerade paßte
Ich war vereinsamt, eine bunte Feder am Fürstenhute,
an der Bischofsmütze an der Papstkrone

  1. Sprecher (Autor, E. KÖH.)
 
Hochgeehrt und eingeschüchtert hast du hervorgebracht,
was man dir eingetrichtert im Gegensatz zu jenen
(weist auf 2., 3. und 5. Sprecher)

  2. Sprecher (WOLFRAM von Eschenbach)
 
Ich bin gewürdigt, also kann ich gehen (ab)

  3. Sprecher (WALTHER von der Vogelweide)
 
Ich hab mein lehen, alle welt, ich hab mein lehen (ab)

  6. Sprecher (J. W. GOETHE) (herbei)
 
Richtet nicht mit Verstandeskälte
was ihr nicht durchgelitten.
Herausstaffiert mit zierlichen Livretten
flirrte dieser Mensch
(weist auf 4. Sprecher) durch die Paläste
auf der Suche nach einer würdigen Freistatt für den Dichter
Sein totes Haupt umkränzte man am Ende
mit Gewürzen zum Dank für treues Irren
und karrte seine irdischen Reste
durch Rom
Zeitlebens klammerte sich TASSO an die Feste
an der er scheitern mußte. ICH
kam vorüber, sah die gestrandete Problemfigur
barg sie von ihrer Klippe
auf das breite Floß der Weltliteratur.
Dreimal dürft ihr raten, was am Hofe zu Weimar
mir das Auge für seine Tragik weitete

  7. Sprecher (Henri de SAINT-SIMON)
 
Und doch, verehrter Meister, hatte sich
während Sie in Weimar wie gelähmt zu Stuhle saßen
die Welt verändert und ich schrieb dazu
: Gegenwärtig werden Wissenschaft und Handel
und Gewerbe von Schmarotzern beherrscht, und
alle Menschen, die daran arbeiten den Massen
die Schmarotzer vom Halse zu schaffen
üben eine unbedingt notwendige Tätigkeit aus

  6. Sprecher (J. W. GOETHE)
 
Gehören nicht auch die Dichter zu jener Garde
die berufen ist, Schmarotzer aller Art
der Menschheit insgesamt vom Halse zu schaffen

  7. Sprecher (Henri de SAINT-SIMON)
 
Um desto notwendiger gewiß, als man
den goldenen Topf auf Schleichwegen
aus den Festungshöhlen seiner verkommenen
Bewahrer hinausgebracht. Ach - findet sich
nicht in einem Ihrer Werke die magische Sentenz
: "Wie gleiches Streben Held und Dichter bindet."

  6. Sprecher (J. W. GOETHE)
 
Sie kennen meinen "TASSO"

  7. Sprecher (Henri de SAINT-SIMON)
 
Wer kennt den nicht und hält sich für gebildet
Magisch ist die Sentenz, weil sie erschließt
daß jede Bindung zwischen Held und Dichter zur Posse wird
wo gleiches Streben nur vermeintlich ist
Fürsten wie Amfortas, Alexander, Alfons
wollten doch nur jederzeit den großen Kessel
an ihre Löwen- oder Griefenhöhle fesseln
wohingegen jeder Dichter für die allgemeine
Verfügbarkeit des Nahrungswunders wirken muß
Wer gleichen Strebens mit den Höhlenwächtern
wäre, würde selbst zum Troglodythen

  1. Sprecher (Autor, E. KÖH.)
 
In Wahrheit stand der GRAL zu TASSOs Zeiten
längst nicht mehr in den Kralen einzelner Potentaten
Diese waren ausnahmslos verschuldet

  7. Sprecher (Henri de SAINT-SIMON)
 
GELDVERLEIHER hatten die GRÄLER gepfändet

  8. Sprecher (Christoffel von GRIMMELSHAUSEN)
 
Ich, ein abenteuerlicher SIMPLIZISSIMUS
wühlte wenige Jahre nach TASSOs Tod
in Schutt und Asche deutscher Städt' und Dörfer
nach vergrabenen Töpfen voller Gold
Ich schweifte durch die Welt und endete
vermeintlich reich durch frömmelnde Entsagung
mit einer Handvoll getrockneter Leuchtkäfer im
Barte als Eremit in einer düsteren Höhle
(Er hockte sich absichtslos apathisch auf den goldenen Topf.)

  5. Sprecher (Francois VILLON)
 
Für den Gebrauch wäre mir das Wunder zu schade

  9. Sprecher (Bankier LAFITTE) (mit Getöse herbei)
 
Wir haben den GRAL gerettet. Von uns
ward dieses WERTE heckende Heiligtum
gefaßt als marktwirtschaftliches Prinzip
zum neuen angebeteten Orakel aufgestellt
Von mir dafür berühmt geworden
stammt der Weihespruch: "Von nun an werden
wir BANKIERS den GRAL regieren." Herunter
von dem Topf, zerlumpter Sakrilant
(Er stößt SimpleX mit dem Fuß vom Kessel.)

  6. Sprecher (J. W. GOETHE)
 
In voller Absicht hatte ich zu Weimar
wie auf einer Insel in dem Brandungsmeer
unseliger Wandlungen mich eingeigelt. Nunmehr
versinkt auch dieses Eiland. Mir bleibt
nichts, als mit "FAUSTUS", der Tragödie zweitem Teil
das neueste Kapitel zu der GRALslegende
auf eine bessere Wende für die Nachwelt
zu versiegeln (Er legt ein versiegeltes Manuskript
nieder und geht weg.)


  8. Sprecher (Christoffel von GRIMMELSHAUSEN)
 
Wann kommt diese WENDE, wann kommt
der Held, der wagt, das Siegel aufzuschlitzen
Bis dahin mag, wer will, auf diesem Trichter sitzen
(Er folgt dem 6. Sprecher")

  5. Sprecher (Francois VILLON)
 
Und dieser (weist auf den 4. Sprecher)
bleibt der hocken, wo der Bankier regiert
(Der 4. Sprecher verdrückt sich")

  5. Sprecher (Francois VILLON)
 
ICH - bleibe
Mach mir die Eisen ab, Geldhüter
Laß dir die Hände reichen. Beide
haben wir dasselbe Hauptproblem
Nur wer im Wohlstand schwelgt, lebt angenehm

  9. Sprecher (Bankier LAFITTE)
 
Das wäre eine glatte Schenkung
Geschenkt ist bei mir nicht einmal der Tod
Gelockert sei die Rechte, so die Feder führt
gekoppelt deine Linke umso fester an mein Brot
(Er koppelt ihn mit der Handschelle an sich, nebenher.)
: Ausgerechnet den DICHTER von Bindungen befreien
liegt nicht im Sinne unserer Erfindung
Die sogenannten Menschen, Wissenschaftler
Künstler, Arbeiter, Bauern, werden zwar in ihren
Ketten nicht geboren, was ich sehr
bedauere. Gefesselt sind sie nur durch die
Verbunkerung des GRALs in unseren
BANKTRESOREN

  1. Sprecher (Autor, E. KÖH.)
 
Was heißt das, genauer

  9. Sprecher (Bankier LAFITTE)
 
Das heißt, daß nunmehr JEDERMANN
zu der gedeckten Tafel ANTEILMÄSSIG
Zugriff habe, mittels GUTSCHEINEN
GELD genannt
die durch Verkauf von ARBEITS- oder DENKKRAFT
bei uns erworben werden müssen

  1. Sprecher (Autor, E. KÖH.)
 
Diese Erfindung drückt die Arbeit
durch die der Mensch sich aus dem Tierreich hob
zur bloßen Erwerbstätigkeit nieder
zum schnöden Broterwerb, am Dichter
augenscheinlicher als bei anderen Berufen

  9. Sprecher (Bankier LAFITTE)
 
Egal wer, was, wann, wie, wo. Der GRAL
hat seine Dämonologie. Die haben wir
am Ende nicht erfunden. Wir haben nur
herausgeschunden, was drin ist, mehr und mehr
Und wer nicht auf den Kopf gefallen
dem ist der goldene Topf nicht leer
Dabei muß es bleiben, wenn wir Bankierer
fernerhin regieren sollen (Er zerrt den 5. Sprecher
an der Kette mit sich fort.)


  5. Sprecher (Francois VILLON)
 
Reimeschmierer, Satirenschmiede
von denen man nur Lügen hört
Volk der Gaukler, Musizierer
mit Moritaten, dummen Schwänken
Für wen wird der Gewinn verzehrt
Für Wein und Weiber in den Schänken

  10. Sprecher (Heinrich HEINE) (herbei)
 
Was war das

  1. Sprecher (Autor, E. KÖH.)
 
Das nackte Credo: Ware gegen Geld; Dichtung als Ware

  10. Sprecher (Heinrich HEINE)
 
Ich bitte um Erläuterung

  1. Sprecher (Autor, E. KÖH.)
 
Endlich kann auch der Sänger Gut und Geld erwerben
Der MARKT bewirkt mit Sicherheit, daß er, mitunter
gegen seinen Willen, zum Beispiel durch sein
Schreiben für die Ärmsten dieser Welt, wenn es sich
gut verkauft wohlhabend, und damit seinem Gegenstande
angenehm entfremdet wird
An Stelle fürstlicher Gönnerhuld trat sachlich
und auf leisen Sohlen die Korruption durch das
Bankguthaben

  7. Sprecher (Henri de SAINT-SIMON)
 
Eine große Errungenschaft unserer Revolution. Denn
sie enthält das künftige Problem der Welt
(Er entfernt sich.)

  10. Sprecher (Heinrich HEINE)
 
Mit Schauder und Schrecken denke ICH an die Zeit
da die Ärmsten der Welt zur Herrschaft gelangen werden
Mit schwieligen Händen werden sie alle Marmorstatuen
der Schönheit zerbrechen
Meine Lorbeerhaine werden sie umgraben und
dort Kartoffeln anpflanzen
Ich bin von unsagbarer Traurigkeit ergriffen
denke ich an den Verfall, mit dem das siegreiche
Proletariat meine Verse bedroht

        UND DENNOCH

übt jener Kommunismus, so feindlich er allen
meinen Neigungen und Interessen ist, auf meine
Seele einen Reiz aus, dem ich mich nicht entziehen
mag. Und wenn ich diesen Satz nicht widerlegen kann
"Daß alle Menschen das Recht haben, zu essen..."
muß ich mich allen anderen Folgerungen unterwerfen
Möge die Gerechtigkeit ihren Lauf nehmen
Möge sie zerbrochen werden, diese alte Welt
wo die Unschuld zugrunde ging
wo die Selbstsucht gedieh
Wo der Mensch vom Menschen ausgebeutet wurde
Gesegnet sei der Gewürzkrämer
der aus meinen Gedichten Tüten drehen wird

  11. Sprecher (Wladimir MAJAKOWSKI) (unterdessen herbeigekommen)
 
Inzwischen sind der HEL Leute in einem großen
Teil der Welt zur Überwindung dieser sowieso nicht
freien MARKTWIRTSCHAFT, damit auch der
ge­werblichen Schriftstellerei aufgestanden. Damit
beginnt ein neues Kapitel GRALsliteratur
Arbeiter
	ruhn im Funzellicht
			die Traufe im Genick
Und Lippen	 
	blau vor Kälte
entbieten
	daß es gelte
		: Vier Jahr noch 
und an dieser Statt
		steht Gorod-Sad
				die Gartenstadt


  10. Sprecher (Heinrich HEINE)
 
Am eigenen Leibe werden diese Arbeiter
die Größe ihrer Unternehmung nicht verspüren

  11. Sprecher (Wladimir MAJAKOWSKI)
 
ICH, der Dichter, mache sie ihnen bewußt

  1. Sprecher (Autor, E. KÖH.)
 
Hier zeichnet sich das wahre Amt des Dichters ab
Die GOETHEsche Sentenz im "TASSO"
"...wie gleiches Streben Held und Dichter bindet..."
bleibt nicht mehr edle, besser oder schlechter
verkaufte Rhetorik, sondern wird zur gegenseitigen
Verbindlichkeit (Er entsiegelt das Faustmanuskript, liest.)
„Solch ein Gewimmel möcht ich sehn
mit freiem Volk auf freiem Grunde stehn.. ."

  10. Sprecher (Heinrich HEINE)
 
Diesem Sinne bin ich ganz ergeben

  11. Sprecher (Wladimir MAJAKOWSKI)
 
Ich weiß
	die Stadt 
		wird werden 
und auch der Garten blühn 
	wenn
	    auf der Sowjeterde
			sich solche Menschen 
					    mühn


  1. Sprecher (Autor, E. KÖH.)
 
Frei wird der Dichter dann von Zwängen
die ihn zum Bittsteller um ein warmes Plätzchen am
Fürstenhofe oder zum vermarkteten Textelieferanten
oder zum handschellenverdächtigen Subjekt erniedrigen
Der Dichter gehört nicht an Verkaufsinteressen
gebunden sondern in die Produktionsgesellschaft
integriert

  10. Sprecher (Heinrich HEINE)
 
Verstehe das, wer will

  1. Sprecher (Autor, E. KÖH.)
 
Jeder sozialistische Betrieb ab schätzungsweise
eintausend Beschäftigten wälzt täglich mehr Mittel um
und schafft mehr Werte, als der Herzog von Ferrara
oder der von Sachsen-Weimar in einem ganzen
Monat einzunehmen oder zu verschwenden das
Vergnügen hatten
Zeit, den Dichter vom Markte abzuknüpfen
ihm eine würdige Freistatt im Arbeiterbetrieb
zu geben, sagen wir um... (an den 10. Sprecher)
Als was wünscht Ihr zu gelten

  10. Sprecher (Heinrich HEINE)
 
Mehr als ein Meister jedes anderen Faches
sollte auch ein Meister des Wortes
sich nicht dünken wollen, er gefällt sich denn
als literarischer Geschaftelhuber

  1. Sprecher (Autor, E. KÖH.)
 
...sagen wir also - um Meisterlohn

  10. Sprecher (Heinrich HEINE)
 
Wenn der GRAL unter der Obhut derer
die ihn täglich selber füllen
nicht von ungefähr besteht, wenn
euer Sozialismus das Mittel sei, den GRAL
als höhere Formation zielstrebig herzustellen
dann ist es an der Zeit, den Dichtern
einen anderen Status einzuräumen als den
des marktanteiligen Honorareberechners

  11. Sprecher (Wladimir MAJAKOWSKI)
 
Selbst ICH habe meine Verse aufgerauht
gestaffelt, treppauf, treppab gegliedert
angeblich der bessern Lesart, in Wahrheit
des höheren Zeilenhonorares wegen

  5. Sprecher (Francois VILLON) (aus dem Hintergrund)
 
Nur wer im Wohlstand schwelgt, lebt angenehm

  10. Sprecher (Heinrich HEINE)
 
Wohlstand für alle

  11. Sprecher (Wladimir MAJAKOWSKI)
 
Vor allem GEISTIGER WOHLSTAND

  1. Sprecher (Autor, E. KÖH.)
 
Noch heute zeigen sich die meisten Administratoren
und Leiter volkseigener Betriebe
bei gleichem Streben zwischen Held und Dichter
uneinsichtiger als weiland Alfons von Ferrara

  10. Sprecher (Heinrich HEINE)
 
Jener wußte schon was er an seinem TASSO hatte

  1. Sprecher (Autor, E. KÖH.)
 
Vielmehr gilt in den Betrieben ein Arbeiter
der brav seine Schichten fährt, bei weitem mehr
als einer, der das Zeug zum Dichter hat
und deshalb nirgends einzubinden ist
Und seinen Arbeitskameraden, deren Taten
er besingt, halten ihn für einen Aussteiger
der seinen Platz am Band gegen das Ansehen
eines sogenannten freischaffenden, notfalls
aus dem Kulturfonds bedienten Schreibers
vertauschen will

  12. Sprecher (Klaus JARMATZ) (energisch einschreitend)
 
Halt! Stop!
Sicher sind Beziehungen zwischen Schriftstellern
und Großbetrieben, sozialistischen, erwägenswert
Zu bezweifeln ist, ob für die Literatur
etwas herausspringt, würde verordnet
alle Autoren in Betriebe einzugliedern

  1. Sprecher (Autor, E. KÖH.)
 
Von allen Dichtern war die Rede nicht
und auch nicht von Verordnungen
nur von revolutionär motivierten, dem GRAL
mit Einsicht zugekehrten

  10. Sprecher (Heinrich HEINE)
 
Dies Denken an Verordnungswege
dies Winken mit dem Pfahl der Furcht
ist das ein geistiger Grundzug euerer neuen Zeit

  12. Sprecher (Klaus JARMATZ)
 
Wir werden den BERUF Schriftsteller noch lange
brauchen. FREISCHAFFENDE werden auch in
kommender Zeit das Bild der Arbeiter zu gestalten haben

  10. Sprecher (Heinrich HEINE)
 
Wie frei nun, lieber Mann, schaffen denn
die Schriftsteller, die Sie meinen
- wie frei von Förderung oder Behinderung
durch einflußreiche Personen, Gruppen
Grüppchen, Institutionen, Organisationen
- wie frei von Erwartungen, Ansprüchen, Erfahrungen
Gewohnheiten, Ausbildungsgraden, politischen
Absichten
- wie frei von Urteilen, Vorurteilen, Geschmäckern
diverser Redaktionen, Intendanturen
- wie frei von lenkender, leitender Obrigkeit
- wie frei von eig enen Begierden, Trieben, Süchten
und Gelüsten ist so ein sozialistischer Autor
- wie frei von den Lebenswünschen seiner Gemahlin
- wie frei von Capriolen seiner heimlichen Geliebten
- wie frei ist so ein FREISCHAFFENDER von Par­teinahme
- wie frei von Kulturpolitik, wie frei von Papierzu­teilung
des Wirtschaftsministeriums
- wie frei vom Finanzplan seines Verlages

  12. Sprecher (Klaus JARMATZ)
 
Wortklauberei

  10. Sprecher (Heinrich HEINE)
 
Den WERTEN die Worte; den WORTEN die Werte

  12. Sprecher (Klaus JARMATZ)
 
Naives Vorbeidenken an Realitätsfaktoren
(Er geht dozierend auf und ab, gerät dabei in den Hintergrund.)

  5. Sprecher (Francois VILLON) (im Hintergrund)
 
Nur wer im Wohlstand schwelgt, lebt angenehm
(Er bekommt vom Dozenten eine Ohrfeige.)
 
SIMULTAN (11. und 12. Sprecher)

  11. Sprecher (Wladimir MAJAKOWSKI) (im Vordergrund)
 
...wir beleuchten und kleiden
Armut und Nacktheit. Es mehrt
sich die Beute an Kohle und Metall. Daneben steht noch viel
Vertracktheit
Dreck und Quatsch überall
Es streichen so viele
Gauner durch unser Land und
darum herum, ein Fließband
flüchtiger Typen: Ausbeuter
Bürokraten, Sektierer, all die
Trunksüchtigen. Die Brust
geschwollen, plakettengierig
Wie stolz sie sich wiegen
Wir werden sie alle, alle
kriegen, doch alle zu kriegen
ist verdammt schwierig
Genosse LENIN, in der
Fabriken Schwärze, auf
Ländern von Acker und Schnee
in Ihrem Namen und Herzen
denken, atmen, kämpfen wir
Haufen von Dingen, Geschäfte
wie immer. Langsam der Tag
in der Dämmerung schwand
ICH und LENIN, wir zwei
sind im Zimmer - er als
LICHTBILD an der kahlen Wand

  12. Sprecher (Klaus JARMATZ) (im Hintergrund)
 
...eine lange Entwicklung
liegt hinter und vor uns
WIR dazwischen. LEBENSPRAXIS
und deren WIDERSPIEGELUNG
noch zu erforschende WEGE
unter neuen Bedingungen in
historischen Zeiträumen
Sozialismus als das Andere
das Unerprobte. Gewandelte
Interessen, Kunstprobleme
Schub in Richtung Realismus
Schriftsteller, die in die
Kämpfe unserer Zeit eingreifen
Arbeiterklasse, die mit
praktischen Aktionen diesen
Umwandlungsprozeß vollzieht
Hier bestehen keine Trennwände
Die Erforschung der sozialistischen
Wirklichkeit mit all ihren vielen
Widersprüchen bleibt Voraussetzung
um vom sozialistischen Standpunkt
her, von dem man, wie Anna SEGHERS
mitteilte, rundum am weitesten
blicken kann".
(Er verschwindet vollends im Hintergrund.)

  1. Sprecher (Autor, E. KÖH.)
 
Was da auch immer ausprobiert werden muß, der
Sozialismus hat die Tendenzen zu verkümmern, auf
eine Vorstufe zurückzufallen, wenn er nicht täglich,
stündlich, unausgesetzt auf allen Gebieten durch neue
geistige Impulse und praktische Taten Schritt für
Schritt in Richtung Kommunismus aufgehoben wird.
WO wäre ein schöneres Probefeld als in dem
Auf­einander-Angewiesen-Sein von Arbeiterklasse, um
nicht immer HELD zu sagen neuer GRALshüterklas­se,
und Dichter" (Er wirft GOETHEs Faustmanuskript
in den Kessel. Dampf steigt auf, hinter dem sich die
Sprecher versammeln.)

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