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Gedichte zur
Menschwerdung

 

Jura Soyfer (1912-1939)
LIED VOM EINFACHEN MENSCHEN

Menschen sind wir einst vielleicht gewesen
Oder werden's eines Tages sein,
Wenn wir gründlich von all dem genesen.
Aber sind wir heute Menschen? Nein!
Wir sind der Name auf dem Reisepaß,
Wir sind das stumme Bild im Spiegelglas,
Wir sind das Echo eines Phrasenschwalls
Und Widerhall des toten Widerhalls.

Längst ist alle Menschlichkeit zertreten,
Wahren wir doch nicht den leeren Schein!
Wir, in unsern tief entmenschten Städten,
Sollen uns noch Menschen nennen? Nein!
Wir sind der Straßenstaub der großen Stadt,
Wir sind die Nummer im Katasterblatt,
Wir sind die Schlange vor dem Stempelamt
Und unsre eignen Schatten allesamt.

Soll der Mensch in uns sich einst befreien,
Gibt's dafür ein Mittel nur allein:
Stündlich fragen, ob wir Menschen seien?
Stündlich uns die Antwort geben: Nein!
Wir sind das schlecht entworfne Skizzenbild
Des Menschen, den es erst zu zeichnen gilt.
Ein armer Vorklang nur zum großen Lied.
Ihr nennt uns Menschen? Wartet noch damit!
   1936

Eine Liedfassung der österreichischen Gruppe »Schmetterlinge« befindet sich auf der Seite »Verdrängte Jahre«
-Lieder von Jura Soyfer

Johannes R. Becher (1891-1958)
IM FRÜHLING

Wenn der Frühling läßt empor
Hoch den Himmel steigen,
Summt es in uns wie ein Chor
Nach des Winters Schweigen:
Friede, Friede sei auf Erden!
Menschen wollen Menschen werden.

O du dunkler Chor, der summt!
In uns ist ein Ahnen:
Sie, die glaubten wir verstummt,
Melden sich und mahnen:
Menschen sollen Menschen werden!
Friede, Friede sei auf Erden!

Und es ist ein solcher Schrei,
Daß die Berge beben,
Eine Flammenwüstenei,
Meere sich erheben,
Wenn nicht Friede wird auf Erden,
Was soll aus uns allen werden?

Ihr, gezeichnet von dem Leid
Derer, die gefallen,
Und ihr, die ihr jung noch seid,
Laßt den Ruf erschallen:
Friede, Friede sei auf Erden!
Menschen, laßt uns Menschen werden!
   1950


 

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"Menschwerdung II"
Erich Köhler in "Das Kleine Blatt - Sonderausgabe Okt. 2001"

 

 

MAX ZIMMERING

Im herben Morgenwind

GEDICHTE

   DEN OPFERN

Gewidmet den Millionen, die als Kämpfer oder als Erleidende in den Vernichtungslagern des Hitlerfaschismus starben.

Da schweigt die Zahl -
die Gräber sind zu voll,
und eure Leiden lassen sich nicht messen.
Wie scheinen alle Worte stumpf und fahl
vor solcher Qual,
die wuchs und schwoll,
bis ihr vor Schmerz zu schreien habt vergessen.

Da schweigt der Mund.
Das Herz vergißt den Schlag,
wenn wir euch sehen stumm dahinmarschieren,
mit tränenlosen Augen rot und wund -
so Stund um Stund,
so Tag um Tag,
indes die Peiniger frech auf euch stieren.

Da schweigt der Gram,
weil uns der Haß erfaßt.
Fluch jenen, die euch in die Gruben stießen,
euch, deren Stärke alles überkam -
sogar die Scham,
die schwerste Last:
daß eure Mörder sich auch "Menschen" hießen.

   1945

 

   ES BEGINNT ERST DER MENSCH...

Es beginnt erst der Mensch,
wo die Ausbeutung endet,
wo das Brot, das du ißt, keinen würgt,
wo die Frau ihren Pfennig
nicht tausendmal wendet,
wo das Leben
das Leben verbürgt.

Es beginnt erst der Mensch,
wo das Sterben verständlich,
weil die Jahre
zur Neige gelebt,
und wo endlich
der menschliche Friede unendlich,
wo das Schwert
keine Gräber mehr gräbt.

Es beginnt erst der Mensch,
wo die Herzen erklingen,
wo die Flamme der Menschlichkeit
brennt,
und wo Hände
die toten Gesteine bezwingen,
wo der Mensch
sich zum Menschen bekennt.

   1949

entnommen dem Gedichtband
Max Zimmering
Im herben Morgenwind
erschienen 1953 im Dietz Verlag, Berlin