Hinnerk Einhorn

Gedichte

Umschlag der Publikation
Vorwort
von Erich Köhler

Über Hinnerk Einhorns Gedichte gehst du hin wie über harsch'gen Schnee, der übrigens selten geworden ist in unserem Klima. Dünntragende Kruste kargen Ausdrucks - es fehlen die Bindeworte. Du hebst die Arme an, pumpst dich voll Luft, trittst vorsichtig auf, brichst hin und wieder trotzdem ein und holst dir, eh du dich versiehst, nasse Füße. Philemon und Baucis sind nun einmal seit Goethes Faust ein Sinnbild für die damals schon gefährdete heile Welt. Das will vom Leser gewußt sein. Und sowas steckt in einem quasi Landschaftsgedicht!

Bild des Autors
Hinnerk Einhorn 1977

Oder wer bricht schon zum Frühstück eine Verzierung vom Parlament; doch nur, wer da weiß, daß dieses am Donauufer in Pest, eine geschmacklose Nachbildung der Westminsterabtei, mit seinen spießenden Türmchen wie versteinerte Zuckerbäckerei aussieht. Oder wer runzelt die Stirn, wenn es an anderer Stelle heißt: Kreuzer Aurora, gut lackiert und rostig unter der Wasserlinie. Wer so ein Monument werterhalten will, der muß es eben von Zeit zu Zeit heben und auch dort klarschiff machen, wo der Blick nicht hindringt. Du stehst im Handumdrehen vor dem Verhältnis von Basis und Überbau.
Das zu begreifen, baut der Autor keine Stützen ein, auf denen der Versfuß trocken hinüberstapft, von einem Gedichtufer zum anderen. Es fehlt auch das zähe Flechtwerk rhetorischer Hangebrücken zwischen den Zeilen. Du mußt einbrechen, steckenbleiben, neu anlesen. Einhorns Gedichte sind auch keine Gleitbahnen. Mir geht es jedenfalls so. Wenn ich Einhorn lese, wringe ich dauernd die Socken.

Gehen wir also

 
Engelszungen zerfranst
die Fäuste wund von vernagelten Köpfen
und letzten Orgasmus erquält
 
Gehen wir also
 
Fettverklärte Avantgardisten
eingerichtet auf Ewigkeit
lassen wir euch die Seligkeit der Ämter
blechernes Ordensglück und
die Nestwärme konformer Gedanken
 
Gehen wir also  
 
Doch wer wälzt Sisyphus' Stein

siehe auch: Gehn wir also
in Heiner Müller: PHILOKTET


 

Wer mit der Hoffnung anfängt
hat seine Lektion schon gelernt

Günter Kunert, Wege nach Utopia  
Land, das mich festhielt und gebrauchte
bis ich begriff, daß wir eins sind
deine Schwächen erkenn ich als eigne
ausschweifendes Behagen, kärgliche Güte
überheblichen Kleinmut
In Schweiß Tag für Tag, gelang ich
zur Hoffnung: Wo, wenn nicht hier?

 

ZUR LENINPLASTIK
von Imre Varga

 
Aus dem Schatten des bronzenen Banners
tritt menschengroß Lenin
die Hände im alten Anzug vergraben
steigt er hinab zum Alltäglichen Nur das
führt Schritt vor Schritt schließlich
hinan

 
 
Buch-Einband: Quichote und die Windmühlen

aus:

Quichote
und die Windmühlen

Mitteldeutscher Verlag (1989)

 

SATYRNALIEN

von Erich Köhler
Zu Hinnerk Einhorns Gedichtband "Quichote und die Windmühlen" Mitteldeutscher Verlag Halle 1989.

Ganz aus meinem Vermögen etwas dazu zu sagen, das kommt einem geistigen Selbsttötungsversuch gleich. Ich wünschte zu diesem Anlaß, ich kennte den Dichter, nein Ver-dichter nicht, hätte nicht so manche Stunde mit seinen - ja sind's denn Verse?- zugebracht. Und Verse brauch ich Armseliger, um Verdichtetes zu fassen. Kennte ich ihn nicht, ich würde ihn besser verstehen. Tausende deutscher Verse hab ich aufgesaugt, dabei vielleicht zweihundert für mein Verständnis als Gedichte erkannt. Die Hälfte davon stammt von Goethe, den Rest teilen sich Herr Walther von der Vogelweide, Heine, Rilke, Brecht... Vor Hölderlin warf ich das Handtuch. Ob von Hinnerk eins dabei ist, das wage ich nicht zu bestimmen. Aber um Lyrik muß es sich handeln, eine silanisch-satyrnalische, sonst würden mich diese expressiv-Impressionen nicht so nachhaltig in Verlegenheit bringen. Da werden einem Brocken vorgesetzt wie: "Ich bin der, den ich brauch." Daran hab ich zu kauen, während es im Bändchen ja weitergeht. Was die Stymphaliden sind, weiß ich zur Not, aber man muß auch wissen, was ein Mankurt ist, und darf, um durch die Bank zu verstehen, selber keiner sein. Weiß ich denn, daß ich kein Mankurt bin? Also laß ich ab vom Verstehenwollen und verlege mich auf das Einfühlen. Da ist diese bruchige Semantik: "Statt meiner Jacke/ trag ich, eh ich's verseh/ 'ne Weste Pelz"..., diese Liebung ins Wort, ins Substantiv vor allem. Nun kommt wieder das Wissen darum, daß Hinnerk jedes seiner Substantiva fünfhundertmal stellt, ehe er es setzt, draufsetzt, einem anderen entgegensetzt.
Bitte verlangt mir kein Exempel ab, jetzt nicht und nie, nicht mir, es könnte Stunden dauern. Bin auch nur ein Mensch. Könnte von Hinnerk stammen. Er ist der, mit dem wir klarkommen müssen. Dabei ist sicher nichts unklar, du mußt nur wissen.
Da, wo gewußt wird, in "Gehen wir also" zum Beispiel, noch 1989 der Zensur zum Opfer gefallen, und das ich einrücke...
     Engelszungen zerfranst
     Fäuste wund von vernagelten Köpfen
     letzten Orgasmus erquält
     gehen wir also
     Fettverklärte Avantgardisten
     eingerichtet auf Ewigkeit
     lassen wir euch die Seligkeit der Ämter
     blechernes Ordensglück und
     die Nestwärme konformer Gedanken
     Gehen wir also?
     Doch wer wälzt Sisyphus' Stein
...ihr wißt schon, wo die gemeint sind, die gegangen wurden, da sieht man, was Sache ist. Der damalige Schriftsteller-Bezirksverband Cottbus hatte dieses GEDICHT seltsamerweise Mitte der 80er Jahre in seiner Edition "Hinnerk Einhorn, Gedichte", einer heute gewiß bibliophilischen Rarität, in eigener Verantwortung durchgesetzt, und der Mitteldeutsche Verlag hat mithin Jahre später gekniffen.
Auch in den bekannten Gefilden, Spreewald, Hasen, Pferde,
da bin ich gleich heimisch, oder in dem wunderschönen Milieu beim "Satyr" (auch nur in der Cottbuser Ausgabe) da steig ich ein. Wo es weiter hinaus geht, nach Thrakien, in Regionen, da nur der Dichter seinen Fuß gesetzt, und auf seine Art kündet, muß ich außen vor bleiben. Da wird Bildungslyrik zur Gebildetenlyrik. Da schummert mir vertrakte Esotherik, da leb ich freilich, wenn auch nur von vagen Assoziationen, nicht vom klaren Zusammenhang, noch. Klar, dieser Dichter  wünscht  .
Er wünscht von seinem Leser Einsicht, statt ihm solche aufzuzwingen. Wenn ich aber faul bin, überanstrengt, gereizt, gestresst; wenn ich partout mal etwas gesagt bekommen will, klar, einfach, verständlich, wie ein armer Hund, der von seinem Herrn was Liebes zu hören wünscht, und diesbezüglich ist jeder Poet mein Herr, was dann? Dann greif ich, was kein Hund jemals tun wird, zum Strick, in der Hoffnung, es schneidet mich jemand rechtzeitig ab, was natürlich kein zünftiger Poet zu tun je die Gnade haben wird.


 
Buch-Einband: Voyage au Paradis

Deutschland meine Trauer

Pasticcio
 
Deutschland meine Trauer / freigleichbrüderlich
Du mein Fröhlichsein / gemütliche Knechtschaft
im Zirkelschlag von Plenen und Plänen / Ehren­
bekrenzt / sind nicht nur die Städte und Dörfer
Himmelreich für Schalcks Narren / Hucks auf
Hennecke zum letzten Gefecht / Gold gabt ihr
für Eisen / Beton / Und wollten doch frei sein
gleich brüderlich / Deutschland meine Trauer / Du

aus:

Voyage au Paradis
Texte einer deutschen Wende

Gollenstein-Verlag (2000)

"Voyage au Paradis" (Gollenstein-Verlag 2000)ist nach "Quichote und die Windmühlen" (Mitteldeutscher Verlag, März 1990) sowie zahlreichen Beteiligungen in Zeitschriften und Anthologien die dritte eigenständige Publikation von Hinnerk Einhorn.

Der 1944 in Leipzig geborene Autor, gelernter Buchbinder, Diplom-Kulturwissenschaftler und langjähriger Verlagslektor arbeitet heute nach neuerlicher Ausbildung in psychiatrischen Einrichtungen der Altenhilfe und lebt in Senzig.

Matthias Gubig, 1942 in Dresden geboren, gelernter Schriftsetzer, Absolvent der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, Grafikdesigner und Buchgestalter, ist Professor an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee.
Matthias Gubig gestaltete bereits Einhorns Band "Quichote und die Windmühlen".
(Klappentext)

Was soll mir Poesie?

Nachwort
von Ludwig Harig


Hinnerk Einhorn, den Schriftsteller und Altenpfleger aus der Spreewaldgegend, habe ich vor einem Jahrzehnt kennengelernt. Er war ins Saarland gekommen, um Gedichte aus seinem im Mitteldeutschen Verlag erschienenen Band "Quichote und die Windmühlen" und Prosa aus der Anthologie "Tötungsverfahren" zu lesen, die Alfred Diwersy in der Edition Karlsberg herausgegeben hatte.
Mir gefiel auf Anhieb Einhorns kluge Poetik, die schon Ende der fünfziger Jahre von Jean Paul Sartre geforderte engagierte Literatur mit dem von Max Bense reklamierten Sprachspielbewußtsein zu verbinden. Zwischen Sartres Anspruch, wenn jeder niedergeschriebne Satz nicht auf allen Ebenen des Menschen und der Gesellschaft widerklinge, bedeute er nichts, und Max Benses Erkenntnis, nicht sein Inhalt, sondern die eigengesetzliche sprachliche Gestalt jedes Satzes begründe seine Bedeutung, bewegt sich Hinnerk Einhorns Poesie. Weder dem Agitprop politischer Literatur noch dem L'art pour l'art absoluter Poesie ist er je verfallen: Im Schicksalsspiel des Sisyphos und des Don Quichote, worin sich das Paradoxe aller Bemühungen, letztendlich die Vergeblichkeit alles Tuns zu erkennen gibt, sieht Einhorn seine Anschauung vom Menschsein in dieser Welt poetisch ausgeprägt.
Der absurde Mensch sagt ja!
Sein Quichote-Gedicht von 1990 bewegt sich noch in Metaphern. Die Windmühlen - für den Illusionisten Quichote bedrohliche Riesen, deren Arme jeder Furz, jedes göttliche Flüstern wie Flügel treibe - fürchte er nicht, doch er ruft den Realisten Sancho Pansa um Hilfe an, seine Situation begreifen zu lernen: "Hilf Sancho! Wo bin ich?" Don Quichote und Hinnerk Einhorn brauchen ihre praktisch denkenden und arbeitenden Nachbarn, um im Leben zurechtzukommen. "Was soll mir Poesie?" fragt Einhorns Hausgenosse im Tagebuch des Dichters, der sich selber fragt: "Wird seine Gummimontur dadurch geschmeidiger, in die er Tag für Tag in rollender Schicht steigt, um dann bis zum Nabel im Schlamm zu stehen? Werden seine Hände härter davon, daß sie winters nicht mehr am Eisen im Vortrieb der Entwässerung kleben?... Leider habe ich vor lauter Frühstücksgeschirr keinen Platz, um schnell die Maschine anzuschlagen, ihm wenigstens durch Gehämmer bedeutend, daß Schreiben auch Arbeit ist."
Der Dichter antwortet seinem Nachbarn wie Don Quichote seinem Begleiter: Es komme darauf an, über die tägliche Arbeit hinaus ungewöhnliche Abenteuer zu bestehen, und eine Reise in die Poesie eröffne ihm den Weg ins allergrößte Abenteuer. Don Quichotes Antwort an Sancho Pansa ist eine Definition der Poesie, die Hinnerk Einhorn bestätigt: "Ich erzähle dir das alles, weil auch ich wie der Mohrentöter von der ersten Steineiche einen Ast abzureißen gedenke, der gerade so gewaltig ist wie jener, und mit ihm werde ich solche Taten vollbringen, daß du dich glücklich preisen wirst, dazu auserlesen zu sein, sie anzuschauen und Zeuge von Dingen zu werden, die man kaum wird glauben können."
Einhorns neue Gedichte und Texte knüpfen an die alten an. Es sind poetische Botschaften aus den neuen Ländern, in den schönsten Stücken auf das Wort reduzierte Lebensbilder einer deutschen Wende. So ist "Lebenslauf, fiskalisch" ein Musterstück formstrengster Denk- und Wortspiele gegen das neoliberale Wirtschaftsgebaren unserer Gesellschaft. Wie Don Quichote reist Hinnerk Einhorn ins westliche Paradies und rennt sich im Kampf gegen die virtuellen Windmühlenflügel den Schädel ein, damit jeder Sancho Pansa in seiner arglosen Unwissenheit hinausposaunen kann: "Sagte ich's Euer Gnaden nicht, daß Ihr zusehen möchtet, was Ihr tätet, und daß es nur Windmühlen wären, die ja auch jeder kennen muß, der nicht selber welche im Kopfe hat?"
Ja, wenn's nur Windmühlen wären!

 

siehe auch:

"Aber da war keiner, da war auch nicht einer"
aus: »Ach bitte, ich will nur zehn Gramm Leben«
Gäste auf Erden
von Hinnerk Einhorn
erschienen in der Reihe "Lebenszeichen" in Zusammenarbeit mit dem Dachverband Altenkultur e.V., Geschäftsstelle Leipzig

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Hinnerk Einhorns Gedicht
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