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Erich Köhlers
Vermächtnis
Erich Köhler ca. 1990

aus der
Kleinzeitung
"novum"

Zur Uraufführung des Sprechstücks

Orphische Variationen
 

"Um schlüssig zu werden, müssen wir die Her­aus­bildung des Bewusst­seins unter­suchen. Ein Schritt dazu ist die ORPHIK... Das Material soll demnach nicht zuerst zur Herausbildung des Bewusst­seins beitragen, sondern soll die Untersuchung dieser Herausbildung anregen!"
(E. Köhler)

 

Ausschnitt 1 aus Walter Womackas Bild 'Friedensdemonstration' Ausschnitt 2 aus dem Bild 'Friedensdemonstration'

Hier finden Sie
"novum"-Artikel zu
Fragen der Poetik in der kommunistischen Kulturpolitik

Materialien zur Untersuchung, wie sich Bewusstsein herausbildet


 

Gedichte-Auswahl

Heinrich Heine:
   Antwort
   Romanzen

Rainer Maria Rilke:
   Der Panther

Erich Fried:
   Angst und Zweifel
   Einer der drei Wünsche
   Zur Sonne, zur Freiheit!

Bertolt Brecht:
   Die Wahrheit einigt
   Wer aber ist die Partei?

Arne Kagel:
   Dann wirst
   alle lüfte

Max Zimmering:
   Dumpfe Stunde

Peter Hacks:
   Gebrechlicher Vielvölkerstaat

Beitrag von Erich Fried:

Unsere Politik ist
wo immer das geht
unsere Politik
nicht Politik zu nennen

Wir sind daher froh
und finden es dankenswert
daß unsere Feinde
Politik eng einschränken wollen

und daß sie Literatur
und Kunst und Allgemeinbildung
als integrierbar
kampflos uns überlassen

Quelle: Erich Fried "Gesammelte Werke", Gedichte 2, Berlin 1993.

Im Gegensatz dazu formuliert

Peter Hacks

Das Problem der gegen­wärtigen Propaganda ist, daß man dem Imperialismus, der mehr Grund zu Vorwürfen bietet als jede Gesellschaftsform sonst, gar nichts vorwerfen kann:
weil es ihm gelungen ist, den Leuten alle Kriterien für recht und unrecht,
wahr und falsch,
schön und häßlich
aus den Hirnen zu waschen. Nichts gilt mehr,
und wie argumentieren,
wo nichts gilt?
Das Waschmittel ist der Positivismus,
die Wäscherei das Fernsehen.
(Peter Hacks, 9. Dezember 2000)


 

Heinrich Heine

Antwort

Es ist der rechte Weg, den du betreten,
Doch in der Zeit magst du dich weidlich irren;
Das sind nicht die Düfte von Muskat und Myrrhen,
Die jüngst aus Deutschland mir verletzend wehten.
Wir dürfen nicht Viktoria trompeten,
So lang noch Säbel tragen unsre Sbirren;
Mich ängstet, wenn die Vipern Liebe girren,
Und Wolf und Esel Freiheitslieder flöten.

Rainer Maria Rilke

Der Panther

Im Jardin des Plantes, Paris

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.

Rainer Maria Rilke,
6.11.1902, Paris


 

Heinrich Heine: Neue Gedichte

Romanzen

V
    Aus einem Briefe
  (Die Sonne spricht:)

Was gehn dich meine Blicke an?
Das ist der Sonne gutes Recht,
Sie strahlt auf den Herrn wie auf den Knecht;
Ich strahle, weil ich nicht anders kann.

Was gehn dich meine Blicke an?
Bedenke, was deine Pflichten sind,
Nimm dir ein Weib und mach ein Kind,
Und sei ein deutscher Biedermann.

Ich strahle, weil ich nicht anders kann,
Ich wandle am Himmel wohl auf, wohl ab,
Aus Langeweile guck ich hinab -
Was gehn dich meine Blicke an?
 
(Chor der Affen:)

Wir Affen, wir Affen,
Wir glotzen und gaffen
Die Sonne an,
Weil sie es doch nicht wehren kann.
  (Chor der Frösche:)

Im Wasser, im Wasser,
Da ist es noch nasser
Als auf der Erde,
Und ohne Beschwerde
Erquicken
Wir uns an den Sonnenblicken.
  (Chor der Maulwürfe:)

Was doch die Leute Unsinn schwatzen
Von Strahlen und von Sonnenblicken!
Wir fühlen nur ein warmes Jücken,
Und pflegen uns alsdann zu kratzen.
  (Ein Glühwurm spricht:)

Wie sich die Sonne wichtig macht,
Mit ihrer kurzen Tagespracht!
So unbescheiden zeig ich mich nicht,
Und bin doch auch ein großes Licht,
In der Nacht, in der Nacht!

weiter Gedichte finden Sie hier: Heinrich Heine


 

Erich Fried

Angst und Zweifel

Zweifle nicht
an dem
der sagt
er hat Angst
aber hab Angst
vor dem
der dir sagt
er kennt keinen Zweifel

Einer der drei Wünsche

Ich wollte -
die Revolutionen wären wirklich
so revolutionär wie die Konterrevolutionen
konterrevolutionär sind

Zur Sonne, zur Freiheit!

Ich will Freunde haben
so verlässlich wie meine Feinde und Feinde
so unbeholfen
wie viele Genossen und Arbeiter
die soviel
vom Kampf verstehen wie ihre Arbeitgeber Brüder
das wäre der Sieg

hier finden Sie weitere Gedichte von: Erich Fried
Gründe
Gesammelte Gedichte


 

Arne Kagel

alle lüfte

und alle lüfte zu durcheilen:
die wir gesandte weltenfern,
hier wie zu gast sind, unser stern
uns zwingt und kennt kein weilen.
beschränktheit, raunen taube seelen,
an der wir, hier zu leben, litten:
in fremdbegrenzter welt gestritten
wird eingeschränkt durch uns, befehlen
noch wolln wir kaum.
man bellt
im kleinen raum,
in der beschränktheit seiner welt,
darin nur fressgier treibt und hält,
und erdluft schwer zu atmen fällt,
wenn oftmals gegen kleine, irre
gedanken unterm harten panzer an­
zukämpfen gilt. als ganzer mann
erscheint nicht, wer naturgemäß verwirre.
dabei muss aller ziel im reifen
sichtbar schon vor schönheit schwingen,
leichter jedes wort durchklingen,
und nach allen sternen greifen

Peter Hacks

Gebrechlicher Vielvölkerstaat

Gebrechlicher Vielvölkerstaat.
Deutschland. wie soll das enden?
Zwei Welten, die in Rat und Tat
Sich nimmermehr verständen,

Die Ostnation, die Westnation
Ersticken in einem Reiche.
Man spricht die gleiche Sprache schon,
Doch denkt man nicht das Gleiche.

Es überbrückt solch tiefen Riß
Kein Leimen und kein Kleben.
Nur Wut erwächst und Bitternis
Aus dem Zusammenleben.

Entlasse Deutschland, so mein Schluß,
Die trüben Existenzen
Vom Rheinstrom und vom Isarfluß
Aus deinen engen Grenzen.

O laßt sie atmen, laßt sie gehn.
Wir wollen ihnen gönnen.
Daß wir, wenn wir sie nicht mehr sehn,
Sie wieder mögen können.

Die Selbstbestimmung war ein Ziel,
Ein schwer errungenes.
Zwei heile Länder sind besser
Als ein gesprungenes.


 

Einwände zur Orphik:

Die Arbeit, das Denken und die Sprache


Die Dummheit, die runde


Sein und Bewusstsein, Wille und Weg


Die Kultur-Frage:

Kontinuität des Kulturbegriffs und die Krasse


Alles muss durch den Kopf - Wo ist da Idealismus?


Präzision ist Kunsthandwerk


Bewusstsein bestimmt zugleich das Sein


Fortschritt und Poesie - Integraler Bestandteil




Die Arbeit, das Denken und die Sprache

Bevor wir uns dem schwersten potentiellen Angriff auf die kommu­nistische Poetik - dem Idealis­mus-Vorwurf - zuwenden, soll noch der eine und andere Ein­wand bearbeitet werden.

Bei der öffentlichen Veran­staltung und dem Einführungs­vortrag zum Stück "Orphische Variationen" von Erich Köhler (novum dokumentierte) wurden einige interessierte Nachfragen nach dem Manuskript laut. Es gab auch freundlich-kritische Anmerkungen, die wir nicht übergehen wollen, sondern be­wusst hervorheben:

Zunächst wurde kritisiert, dass die zentrale Rolle der Arbeit aus Friedrich Engels Schrift "Vom Anteil der Arbeit an der Mensch­werdung des Affen" unklar sei, da ja der Titel "Anteil an" im­pli­ziere, dass da noch anderes im Spiel sein muss. Wir entgegnen: Die Arbeit als Hauptbestand­teil der Menschwerdung charak­teresiert diese zugleich haupt­sächlich. Deswegen muss sie als Hauptmerkmal dieser Phase dienen. "Arbeit zuerst, nach und daran mir ihr die Sprache - das sind die beiden wesentlichsten Antriebe, unter deren Einfluß das Gehirn eines Affen in das bei aller Ähnlichkeit weit größere und vollkommenere eines Men­schen allmählich übergegangen ist. Mit der Fortbildung des Ge­hirns aber ging Hand in Hand die Fortbildung seiner nächsten Werkzeuge, der Sinnesorgane. "

Es bleibt kein Zweifel, dass der Titel "Anteil an" nur das Miss­verhältnis bezeichnet, das bis dahin zwischen der Funktion und ungenügender Erkenntnis dieser Funktion der Arbeit bestand.

Damit im Zusammenhang eine andere Frage: Ist diese Phase tat­sächlich abgeschlossen?

Wer der Ansicht ist, dass die fort­gesetzte Veränderung des Men­schen durch die veränderten Ein­flüsse der Arbeit dagegen spricht und meint, der Prozess dauere an, betrachtet die Menschwerdung als unendlich sich ausdehnenden Prozess. Dabei ist ja völlig unsin­nig, bei jedem Einfluss und jeder Auswirkung der Arbeit - die es solange gibt, wie es Arbeit über­haupt gibt - noch den Mensch­werdungs­prozess zu sehen.

Schließlich müsste abstumpfen­de und verrohende Arbeit, jede verringert bildende Arbeit, Be­standteil dieses Prozesses sein. Aber bleiben wir bei Engels, der zu Recht schreibt:

"Die Arbeit ist die erste Grund­bedingung alles menschlichen Lebens, und zwar in einem sol­chen Grade, dass wir in gewis­sem Sinne sagen müssen: Sie hat den Menschen selbst geschaf­fen."

Hier wird etwas bezeichnet, das seinem Wesen nach bereits abge­schlossen ist, weil der Mensch bereits besteht. Das aber hindert nicht, zu sehen, dass sich auslau­fende Unterprozesse noch durch die Jahrtausende vollziehen".
Th. Waldeck

Die Dummheit, die runde

Skepsis tauchte auch bei der Fra­ge auf, ob Kunst Bewusstsein ent­wickelt. Den philosophischen Idealis­mus zu überwinden und die Welt zu erkennen, wie sie ist, geschieht grundsätzlich mit dem Sinn, sie zu verändern. Erfolgreich ist man dabei stets durch Suche, durch Erfahrung und ständiges Selbst-In-Frage-Stellen. Wenden wir uns der Erfahrung zu. Nur auf indi­viduelle Erfahrung zu vertrauen, hilft nicht voran: Diese individu­ellen Erfahrungen müssen nicht repräsentativ sein und subjektive Befangenheit ist im Erfahrungs­prozess hinderlich. Da der Er­fahrungsprozess ohne sinnliche Wahrnehmung nicht funktioniert, kristallisiert sich die Kunst als komprimiertes sinnliches Erfah­rungs­angebot heraus. Zugleich aber vermittelt Kunst abgeschlos­sene Erkenntnisse verdichtet, die auf logische Weise bis ins Einzel­ne nie dargelegt werden können. Damit kann sich das Fundament für den nächsthöheren Erkennt­nis­sprung bilden. Das heißt, der Umgang mit der Kunst ist für den, der ihn beherrscht und versteht, der effizientere Weg des Lernens.

"In der Erkenntnistheorie muss man, ebenso wie auf allen ande­ren Gebieten der Wissenschaft, dialektisch denken, d. h. unsere Erkenntnis nicht für etwas Ferti­ges und Unveränderliches halten, sondern untersuchen, auf welche Weise das Wissen aus Nicht­wis­sen entsteht, wie unvollkommenes nicht exaktes Wissen, vollkomme­ner und exakter wird. " (Lenin, Materialismus und Empiriokriti­zismus)

Die herrschende Klasse schafft mit ihrer niedrigen Moral ent­sprechende Pseudoangebote. Menschlicher Fortschritt heißt, alles ringsum in Frage stellen zu können - sich selbst zuerst. Somit tritt im Fussballfieber des be­drücken­den Sommers 2006 der zivi­lisatorische Bruch gleich dreifach hervor. Guter Fußball ist Harmo­nie von Körper und Geist in der Bewegung. Zuerst wird die Kunst jedoch hier zum Selbstzweck be­trieben: Das Sinn­vakuum wird gefüllt mit Gebrüll. Währenddes­sen geschieht allerhand: Atoma­re Verseuchung von Mitteleuropa und der Welt, was rasch anwach­sende Krebsraten bewirkt und die Verringerung atembarer Luft. Rascher und stärker auftretende Naturkatastrophen gehen einher mit massenmörderischen Krie­gen ums letzte Öl für das Rüs­tungs- und Energie­geschäft: In Palästina begeht ein kapitalisti­scher Staat Völker­mord. Die Welt sieht zu; aber nicht dem Massa­ker an den Palästinensern, son­dern - dem Fußball. Wenn es der klassenkämpferischen Seite DIE­SES Fußballs noch eines Bewei­sese bedurfte: Der Blick wird ab­gelenkt von der Möglichkeit der Veränderung. Ginge es wirklich um Frieden, müsste es schon lan­ge heißen: UNO nach Israel! Für Hoffnungen des Ausbruchs aus der Logik profitabler Vernich­tung der Menschheit stehen nicht nur Kuba, China und Nord­korea. Auch Russ­land begreift den Zwang zur Kooperation. Vene­zuela und Bolivien brechen aus dem Teufelskreis der menschen­fressenden Markt-Logik aus - auf zur Vernunft. Deren nationale Be­sonder­heiten auf den Fuß­ball re­duzieren zu können, freut die Be­harrungskräfte: "Der Ball ist rund und Geschäft ist Geschäft..."

Die Diktatur des Kapitals wird nirgends so populär gemacht wie im Profi-Sport und im populären Fußball. Keiner findet es anrü­chig, dass hier Menschenhandel passiert, dass Spieler "verkauft" und "gekauft" werden. Aber es ermüdet. Zugleich werden nicht zufällig Millionen "Deutschland-Fahnen" verkauft und als Zeit­geist-Attribut an die Autos der ideologisch Versklavten befoh­len. Der Nationalismus ist das alt­bewährte Mittel, alle Fragen nach dem Räuber Großkapital und dem Verbleib des Raubes in ver­einter Vaterlandsliebe zu erträn­ken, während das Kapital über die nunmehr vaterlands­besoffe­nen Gegner lacht.

Rechenhaftigkeit wurde zwar zur neuen Religion. Wer aber dieser überdrüssig ist, kann sich sinnlich am Nationalismus berau­schen, um so auf diese Art seinen Gegnern zu folgen.
Th. Waldeck

Sein und Bewusstsein, Wille und Weg

Der offizielle Kampf gegen Rechtsextremismus folgt nicht ethischen Prinzipien. Diese sind der herrschenden Klasse im Profitstreben unwichtig. Das menschliche Leben hat für sie immer nur kolateralen Charakter und sie spricht: "Rechtsextreme kosten uns Arbeitsplätze, weil nur in einem toleranten Land in­vestiert wird" (SPD-Ministerprä­sident Platzeck)"

Mit anderen Worten: Frisch, wenn es Arbeitsplätze bringt, lasst uns andere Länder über­fallen, die Jugoslawen bombar­dieren mit hunderttausenden to­ten Zivilpersonen und radioakti­ver Munition und in Afghanistan einmarschieren, um die Erdgas­vorräte ringsum zu sichern, im Sudan Ölnachschub für unsere heimischen Multis zu beschaffen - Lasst uns vor Kriegsverbrechen nicht zurückschrecken, lasst uns so rechtsextrem sein, wie mög­lich!

Wenn uns die Arbeitslosen mit Demonstrationen lästig wer­den: Unsere Überwachungs- und Schikanierungsorgane sind doch Arbeitsplätze! Bekanntlich sind auch die Lager schon geplant und der Reichsarbeitsdienst für einen Euro je Stunde Entlohnung unter Androhung physischer Ver­nichtung ist bereits Praxis.

Das ist das Sein. Es wird Zeit, die philosophische Grundfrage zu qualifizieren. Das Sein schafft primär das Bewusstsein. "Es kommt aber darauf an, sie (die Welt) zu verändern" (MARX)

Eine durchschnittliche Ta­geszeitung bringt drei "Wirt­schaftsseiten" - anzeigenfrei. In der selben Ausgabe sind sechs (6) Sportseiten anzutreffen - oh­ne störende Anzeigen - und ei­ne einzige Kulturseite, auf der es nicht um Mechanik gehen soll! Diese ist fast ganz mit einer An­zeige ausgefüllt.

Kultur, die im Zeitalter zuneh­mender Menschheitsvernichtung sich nur noch im Kampf gegen die profitorientierte, vernichten­de Klasse äußern kann, hat damit sowenig zu tun wie mit Pornogra­phie. Wo es darum geht, wichtige Felder des Klassenkampfes zu bestimmen, Taktiken festzule­gen, die Kampf­planung und -len­kung der KP zu bestimmen und zu präzisieren, bedeutet das, Er­fahrungen und Entwicklung des Klassen­bewusstseins aufzuneh­men und im Ergebnis die Füh­rungs­position zu stärken.

Es gibt zugleich immer eine von der Kommunistischen Par­tei getrennte Bewusst­seins­bil­dung, die aufgrund mangelnder sozialistischer Orientierung auf halbem Wege stehen bleibt und in eine reaktionäre Richtung ge­lenkt werden kann, sogar gelenkt werden muss, da in das Füh­rungsvakuum zwangsläufig die unendlich flexiblen Meinungs­produzenten der herrschenden Klasse stoßen. Diese haben die mechanische Stärke derzeit auf ihrer Seite.

Das Problem ist bekannt. Bis­her geht die kommunistische Bewegung jeweils von den spe­­zifischen ökonomischen Pro­zessen des Imperialismus aus. Die erste Prämisse dabei ist: Es bedarf keiner übrigen, weiter­rei­chenden proletarischen Orientie­rung, da die Entwicklungsstruk­tur des revolutionären Übergan­ges und der Verteidigung der Macht in Form der Diktatur des Proletariats unstrittig ist. Da­zu kommen unzählige neue Er­kenntnisse , der revolutionären Kämpfe des zwanzigsten Jahr­hunderts.

Die zweite Prämisse ist, dass keine Zeit mit weiterreichenden Planungen zu verschwenden, sondern alle Kraft auf den zer­fallenden Imperialismus zurich­ten sei. Das heißt aber, man ent­wickelt keinen eigenen Entwurf und ist immer abhängig vom Gegner.

In der Frage der Orientierung begibt man sich auf die Ebene des Determinismus, und über­sieht völlig die Erkenntnis­pro­zesse, die sich im Menschen voll­ziehen. Man kehrt vom dialekti­schen Materialismus zurück zum mechanischen Materialismus und missachtet die wirksamste Waf­fe, die man hat: Die menschli­chen Wesenskräfte.
("Die Kultur ist der Gradmesser der menschli­chen Wesenskräfte" Marx. MEW 1, 541)

Th. Waldeck

novum - September 2006
Kommunistische Kulturtheorie

Kontinuität des Kulturbegriffs und die Krasse

Ursprünglich galt der Begriff Kultur dem Acker. Er bezeichn­te die Pflege des Bodens und (!) dessen fruchtbares Ergebnis.

Behält man "Acker" als ent­wickelbares Potential von Zivi­lisation vor Augen, hat sich tat­sächlich kein Sinneswandel voll­zogen: Die Kultur bleibt unver­ändert sowohl Bestand­teil der Arbeit als auch deren Kriteri­um. Einzige Bedingung ist eine definierte Richtung, die Höher­entwicklung des Menschen, sei­ner eigenen Natur gemäß. Dies führt im Ergebnis natürlich zur Ausdehnung der Herrschaft des Menschen über die objektiven Prozesse, indem er diese voll-ständiger erkennt und zu nutzen vermag, im Sinne der Erkenntnis und deren Nutzung zu menschli­chen Zwecken.

Der marxsche Kulturbegriff sieht Kultur als "Gradmesser der menschlichen Wesenskräfte" (Marx, MEW 1, 541) Diese Rich­tungsvorgabe ist unverzichtbar, da anderenfalls Kultur als reines Kriterium des Ergebnisses ver­bliebe. Ein Dilemma, in welchem die jeweils reaktionäre Klasse steckt. Soweit sie fortschrittlich auftritt, entwickelt sie kulturel­len Fortschritt. Ab jenem Punkt, da ihr Kampf auf Verhinderung weiteren Fortschritts gerichtet ist, blockiert sie in jedem Punk­te die Kultivierung. Hier haben wir den gar nicht so seltenen Fall der zwei Wortbedeutungen. Da die nunmehr reaktionäre Klasse gezwungen ist, ihre geistig rück­wärts gewandte Manipulation als Kultur darzustellen, wird für ge­wöhnlich in Ermangelung eines passenderen Begriffes bei den reaktionären Geist-Ent­äußerun­gen von Kultur gesprochen, wäh­rend diese tatsächlich Kultur­ver­hinderer sind.

Da haben wir nicht nur allerlei Ringelpietz in Film und Litera­tur. Wir haben auch einen Herrn Krass mit sauer­töpfischer Miene die Rolle des Kulturträgers ge­bend. Nicht nur dessen formale Vergorenheit, das säuerliche Text-Werk, die ungeschickte Sprache, schlimmer: Sein kulturelles Un­geschickt-Sein ganz und gar, auf­gefüllt mit Kriegserotik, lassen uns den Scharlatan* genauer be­trachten. Diese militaristische Pseudo-Erotik - als "Literatur" in Abwesenheit von Fortschritt der Sprachkultur hat dennoch ei­nen Sinn: Die Deutschen zu ver­wirren anhand ihrer Geschichte. Auch dazu brauchte er nochmals die Waffen-SS, die er vermittels seiner Autobiographie zu Kapi­talzuwachs einsetzt wie weiland der Herr Krupp. Er braucht sie auch, um Durcheinander zu stif­ten, nicht um zu klären, sondern um zu verdunkeln heraustrom­melnd sein Blech. Er ist Bündnis-Partner der herrschenden Klasse. Sein Streben ist stets darauf ge­richtet, sich nicht auf die Schli­che kommen zu lassen, sowenig wie ihr... Solcher Krasse gibt es Millionen, kleine und große.

Dieser Anti-Kulturkampf, der mittels aller denkbaren Mittel und Medien rückwärtsgewand­te Ansichten, Vorstellungen und Ablenkungen in die Massen trägt, ist demnach in Wirklich­keit der reine Klassenkampf hin­ter der Fassade unpolitischer Äs­thetik oder Anti-Ästhetik, sämt­­lich oberflächlich und formal. Das kulturlose, also unmensch­liche Niveau sowohl des öffent­lichen als auch des Bezahl-Fern­sehens ist kein Zufall. Es folgt nicht aus mangelndem Bewusst­sein gegenüber den menschli­chen Wesenskräften, sondern im pragmatischen Sinne des Macht­erhalts GEGEN die weitere Kul­tivierung. Jede Gesellschafts­formation entwickelt einen eige­nen Gradmesser. In dem was ge­meinhin unter "Kultur" verstan-den wird, schlagen sich, wie in ei­nem trojanischen Pferde, die herr­schenden Eigentumsverhältnisse nieder.

Nehmen wir eine geringere Stufe der Kultur als es die Künste sind, das Essbesteck. In den Zei­ten, als das Essbesteck Gemein­gut wurde, geriet das kulturelle Wesen der Sache, die Indikation bewusst hygienischer Ernährung, aus dem Blick der herrschenden Klasse zugunsten der Erschei­nung, von übertriebenem Zierrat und Vergoldung.

Th. Waldeck
*übernommen

Alles muss durch den Kopf - Wo ist da Idealismus?

Die Äußerlichkeiten wie Zier­rat, Vergoldung am Essbesteck, treten an die Stelle des kultu­rellen Fortschritts und erheben selbst Anspruch, Kultur zu sein - eine glatte Fälschung. Der rei­fende und erwachende Wider­stand der unterdrückten Klassen richtet sich zwangsläufig gegen die "reaktionäre Kultur".

Auf einer anderen Ebene tritt das Problem von Wesen und Erscheinung bei den Maschi­nenstürmern auf. Die Aktionen gegen Maschinen statt gegen deren Eigentümer verschleißen Kräfte, zeitigen Schaden, und lähmen deshalb letztlich den Wi­derstand. Das heißt, nun sehen wir eine opportunistische Rich­tung, die wissenschaftsfremd po­litisiert, anstatt den Fortschritt zu suchen. Sie richtet sich immer wieder auf Erscheinungen, statt auf das Wesen, sie zieht es vor (überspitzt gesagt) mit den Händen zu essen, da ein Besteck Ausdruck bürgerlicher Dekadenz sei, ohne zu fragen, welchem Sinn das Besteck dient.

Die menschlichen Talente und Anlagen finden eine uneinge­schränkte Grundlage erst in der klassenlosen Gesellschaft: Den Übergang in dieses Stadium bildet die sozialistische Kultur­revolution.

Für die Gesellschaft wird dieser Kultursprung erst mit der Beseitigung der Kapitalisten als Klasse beginnen. Die mensch­lichen Talente und Anlagen kommen aber vollständig in der klassenlosen Gesellschaft zur Entfaltung. Das heißt, ein un­über­schaubarer revolutionärer Er­kenntnis-Gewinn wird ermög­licht, der einher geht mit dem Aussterben der bisher lebens­prägenden menschen­feindlichen Entfremdung der Menschen un­ter­einander und von der Natur.

Für die Gesamtgesellschaft wird dieser Kultursprung nach dem Absterben des Staates, also nach der ersten Phase des Über­ganges beginnen. In der kom­munistischen Bewegung schlägt sich die bewusste allseitige Ent­wicklung der Schöpferkräfte be­reits jetzt nieder.

Für dialektische und histori­­sche Materialisten, die diesen Zu­sammen­hang überblicken, liegt auf der Hand, Erneuerung und Ent­wicklung der Schöpfer­kräfte schon jetzt einzufordern und dadurch die heutigen sys­tembedingten Grenzen deut­lich zu machen. Wenn, vom Marxschen Kulturbegriff aus­gehend, kultureller Fortschritt zugleich kommunistische Rei­fung einschließt, also Stärkung der Bewusst­seinskräfte der un­terdrückten Klasse, so ist jeder Schritt kommunistischer Bewe­gung immer eine kulturelle Leis­tung. Das heißt allerdings auch, dass keine Bewusst­seins­entfal­tung ohne kulturellen Gehalt geschieht. Dieser Allgemein­­platz wird erst lebendig, wenn er in jeder Situation in jeder Stadt, jeder Straße mit Leben erfüllt wird. Das geschieht, wenn man die Wirkung kultureller Leis­tung auf Denken und Bewusst­sein betrachtet. Zitieren wir dazu kurz Engels, bevor wir ins Detail gehen:

"Zweitens ist es nun aber nicht zu vermeiden, dass alles, was

einen Menschen bewegt, den Durchgang durch seinen Kopf machen muss - sogar Essen und Trinken, das infolge des von ver­mittelst des Kopfs empfundenen Hunger und Durst begonnen und infolge von ebenfalls vermittelst des Kopfs empfundener Sätti­gung beendigt wird. Die Einwir­kungen der Außenwirkungen der Außenwelt auf den Menschen drücken sich in seinem Kopf aus, spiegeln sich darin als Gefüh­le, Gedanken, Triebe, Willens­bestimmungen, kurz als "ideale Strömungen", und werden in dieser Gestalt zu "idealen Mäch­ten". Wenn nun der Umstand, dass dieser Mensch überhaupt "idealen Strömungen" folgt, und "idealen Mächten" einen Ein­fluss auf sich zugesteht - wenn dies ihn zum Idealisten macht, so ist jeder einigermaßen normal entwickelte Mensch ein gebor­ner Idealist, und wie kann es da überhaupt noch Materialisten geben." (Engels "Ludwig Feuer­bach und der Ausgang der klassi­schen deutschen Philosophie")

Th. Waldeck

Präzision ist Kunsthandwerk

Die objektive Kulturstufe bezeich­net das Ergebnis der Schöpfungs­kraft des Menschen bei konkreten gesellschaftlichen Bedingungen und Herausforderungen unter denen sich diese entfaltet.

Dabei können die Schöpferkräf­te durchaus rückwärtsgewandt sein, das heißt, angewendet werden. Die Äußerungen der menschlichen We­senskräfte sind insofern auch Herr­schaftsinstrument der herrschenden Klasse. Damit ist die Kultur der re­aktionären Klasse in ihrer Entwick­lungsstufe der revolutionären nicht unterlegen, sondern sie ist dieser oft in vielen Fragen überlegen. Da die höher stehende Kultur die nied­riger stehende prägten, ist die Revo­lution stets dann siegreich, wenn sie die höchste Stufe der menschli­chen Entwicklungspotentiale und die Stufe des dafür nötigen gesell­schaftlichen Rahmens erreicht. Le­nin schreibt 1922:

"Die ökonomische Macht, die der pro­letarische Staat Rußlands in den Hän­den hat, genügt vollauf, um den Über­gang zum Kommu­nismus zu sichern. Woran also mangelt es? Es liegt klar auf der Hand, woran es mangelt: Es man­gelt der Schicht von Kommunisten, die leitende Funktionen in der Verwaltung ausüben, an Kultur. "*

Die Regel gilt überall, auch für den revolutionären Aufruf, die Pro­paganda - und selbstverständlich für die Organisation. Das heißt, sie gilt überall, wo es etwas zu tun gilt, um es so wirksam, so ziel­genau wie nur möglich zu tun. Bekanntlich kann etwas Halb­getanes, schlecht Geta­nes größeren Schaden bedeuten, als wäre es ausgeblieben.

Die artikulierten Schöpferkräf­te in Rückwirkung auf Bewusstsein kommen in der erklärten Kunst, der literarischen Prosa, der Malerei, der Musik zum Tragen, aber eben auch im gekonnten Organisieren, und bei­des passiert im Kampf. Ohne die­se Artikulation und Konzentration der menschlichen Schöpferkräfte

auf ALLE Felder wird der Kampf verloren.

Bei Bildender, Angewandter, Darstellender Kunst ist die Verwur­zelung in der Reflexion der Welt und Sinnklärung eigener Existenz sehen. Nicht im Bestreben, aus dem Kreis der materiell unmittelbar notwendi­gen Existenzsicherung herauszutre­ten, liegt die Motivation des frühen Künstlers. Weil er die Möglichkeit hat, herauszutreten, strebt er nach Befriedigung durch Erkenntnisfort­schritt im Austausch mit seinem Re­zipienten. Indem er eine verdichtete Aussage einer komplexen Ansicht als Kommunikationsgrundlage an­bietet, tritt er sofort in die Selbst­prüfung.

Erfahrung führt zu Bewusstsein. Die innerlich durch Reflexion der Außenwelt gesammelte Erfahrung wird selbst zur Außenwelt und wirkt dadurch wieder auf das Innere des Menschen ein. Gemein­same Klas­senerfahrung führt zu gemeinsa­mem Klassen­bewusst­sein. Erfahren­­heiten werden exemplarisch ergänzt zu Verständnis­ketten. Es erfolgt die Vervoll­ständigung unterschiedlicher Erfah­rungen zu zusammenhän­gender Erkenntnis. Kunsterlebnis kann zu Erkenntnis­zuwachs bei je­der überzeugenden Darstellung und Vermittlung führen.

Genauso kommt es durch will­kürliche, unsortierte Vermittlung von Erfahrungsfragmenten zur ver­zerrten Wahrnehmung im Kopf des Menschen. Deshalb ist Grundlage der höchsten Kulturstufe die philo­sophische Wahrheit.

Im Faschismus werden Klassen­erfahrungen aufgegriffen und demago­gisch falsch erklärt - unter Zuhil­fe­nahme einzelner Mittel der Kunst, so dass ein geschickt gedrehter Go­ebbelsscher Propa­gandafilm den höchsten menschlichen Schöpfer­kräften zwar ent­sprechen kann, aber nur im handwerklichen Bereich, da ihm die Grundlage der philosophi­schen Wahrheit fehlt.

Th. Waldeck
* Lenin, Werke Bd. 33, 275

novumn - Februar/März 2007
Kommunistische Kulturtheorie

Bewusstsein bestimmt zugleich das Sein

Die Kulturfrage -Folge 5

Alles, was durch den Kopf des Menschen geht, bewegt diesen. Zugleich sind seine Handlungen messbar an den geselischaflichen Bedürfnissen.

Aber sie sind immer Ergebnis des­sen, was vorher durch seinen Kopf ging. Das Sein bestimmt das Be­wusstsein. Scheinbare Umkehrung ist der Satz: Das Bewusstsein be­stimmt das Sein. Tatsächlich ist die­se Aussage nicht philosophisch des­sen Gegenteil. Beides bildet eine funktionelle Einheit.

Marx und Engels haben immer daran gewirkt, auch unmittelbar po­litisch wirksam zu sein. Sie waren sowohl Philosophen als auch Ver­änderer der Welt. Damit waren die Erfahrungen der aktuellen Kämp­fe wertvoll.

Im Augenblick der heißen Schlacht des philosophischen Ma­terialismus gegen den philosophi­schen Idealismus konnte die primä­re Bewusstseinsrolle nur zurückhal­tend bewertet werden, um erkennt­­nistheoretisch die grundsätzlich pri­märe Bedeutung des Seins zu veran­kern. Die Objektivität, das Wirken von Gesetz­mäßigkeiten in der Ent­wicklung, galt es zu vertreten. In diesem grundlegenden philosophi­schen Streit war unbedingt der Sieg zu erringen. Denn dieser ist der Bo­den für die bewusste Veränderung der Welt und Orientierung der Ar­beiterklasse im Streit der Klassen­kräfte. Dieser Kampf vereinte sei­nerzeit auch dialektischen und me­chanischen Materialismus in der po­litischen Wirkung. Philosophisch gibt es kaum Berührung. In der po­litischen Einfluss­nahme bildet die Einheit den Humus für die Nieder­­ringung des modernisierten und ver­hüllten Idealismus. Gesetzmäßig trat die Beachtung der anderen Seite zurück: Die Ausprägung des Seins durch das Bewusstsein, die unab­dingbarer Bestandteil revolutio­nä­rer Bewegung ist.

Im Moment sich drastisch ver­schärfenden Widerspruchs zwi­schen den Produktionsverhältnissen und Produktivkräften begann die so­zialistische Revolution zu keimen. Die Arbeiterbewegung wuchs rasch, bedingt durch die Verelendung. Das war die Gelegenheit für den schon halb überwundenen mechanischen Materialismus und den metaphy­sischen Materialismus, wieder das Haupt zu erheben.

Unter der Flagge des Kampfes ge­gen den Idealismus von gestern, zo­gen und ziehen sie nun gegen die materialistisch-dialektische Aner­kennung ideeller Triebkräfte.

Ihre Verfechter übersehen dabei, dass sie selbst idealistisch vorge­hen, d. h. "ihr Tun aus ihrem Den­ken erklären, statt aus ihren Bedürf­nissen",* die dabei im Kopf sich wi­derspiegeln, zum Bewusstsein kom­men.

Der Idealismus sieht die Reali­tät ohne Gedanken als unmöglich, so wie der Gedanke ohne Realität nicht vorstellbar ist.

Der Gedanke basiert zwar immer auf der Realität, aber aus einer un­übersehbar zusammengesetzten Re­­alität, die im Einzelnen voll­ständig nicht erfassbar ist, so dass jeder Ein­druck sich als Extrakt unübersehbar vieler Einflüsse herausbildet. Dieser Extrakt stimmt genauso wenig mit dem jedes anderen Menschen über­ein wie überhaupt niemand mit ei­nem anderen übereinstimmt. Zwi­schen den Erfahrungen zweier Men­schen, gibt es unzählige Unterschie­de. Dennoch stimmen viele grund­legende Erfahrungen einer Gruppe von Menschen mit vergleichbaren Lebensumständen überein. Die An­gehörigen einer Klasse ziehen glei­che Erfahrungen aus ihrer Stellung zu den Produktionsmitteln. Aber im Alltag jedes einzelnen Angehörigen dieser Klasse und seinen besonderen Einzel­erfahrungen gibt es unzählige Be­sonderheiten. Beides; die verbin­den­den wie die trennenden Erfah­rungen innerhalb einer Klasse, ha­ben Auswirkungen auf ihr Bewusst­sein.

T. Waldeck
* Engels "Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen"
(M./E. Werke, Bd. 20. S. 444)

novum - April/Mai 2007
Die Kulturfrage -Folge 6

Fortschritt und Poesie - Integraler Bestandteil

Im Alltag jedes Klassenangehöri­gen gibt es unzählige individuelle Einzelerfahrungen, die mit ande­ren nicht übereinstimmen. Diese individuellen Erfahrungen prägen in ihrer Verschiedenheit die Gesamt-Erfahrung teils stärker, teils schwächer. Teils überlagern sie gemeinschaftliche Erkenntnisse.

Je nach Klassenbefürfnis werden die gemeinsamen Erfahrungen so be­deutsam, dass alles weitere zurück­tritt. Klassenbewusstein entsteht. Aber die individuelle Verschieden­artigkeit der Erfahrung wird durch die Kultur der Bourgeoisie geschickt ausgenutzt. So agieren in Literatur und Film hauptsächlich Individuen und keine Kollektive. Zumeist ste­hen sie obendrein gegeneinander im Kampf oder in Behauptung ihrer Individualität.
Daraus ergeben sich Fragen: Wie kann die Gemeinsamkeit durch Verbindung verwandter individu­eller Erfahrungen gestärkt werden? Wie wird die Verschiedenartigkeit individueller Erfahrung in der Wahrnehmung der ausgebeuteten Klasse zurückgedrängt? Um die gemeinsamen Erfahrungen als verbindend sichtbar zu machen, wendet man sich an ein einziges Subjekt: Das Individuum. Die Erkenntnis, dass individuelle Ein­zel­erfahrungen schwächen, indem sie Klassen­erfahrungen überlagern ist individueller Aus­gangs­punkt, um Erfahrungen, soweit sie ihrer Natur nach offensichtlich dem Charakter der eigenen entsprechen, mit der eigenen zu ergänzen.
Das offfenkundig übereinstimmende Moment ist demnach die Voraussetzung für ein bereitwilliges Übernehmen der mitgeteilten Erfah­rungen.
Der Mensch, der eine Weinfla­sche und ein Weinglas vor sich sieht, sofern sein Geschmackssinn des Weins kundig, verbindet mit dem Öffnen der Flasche und dem Fül­len des Glases erfahrenen Genuss. Darum wird er diesen Genuss aus­kosten; nicht die offene Flasche an die Lippen setzen, sondern das Glas füllen. Die Erfahrung lehrt ihn, dass der Geschmack des Weines dem Glas als Trink­gefäß angemessen ist. Es macht ihn sichtbar und erfüllt die sinnliche Wahr­nehmung durch den Geruch, was Genuss hervorruft und die Freude steigert.
Dies ist verbreitete und überein­­stimmende Erfahrung weintrinken­der Menschen. Wenn wir nun die Qualität des Eigentlichen, nämlich des Weines, betrachten wollen, brauchen wir nicht über Gläser nachzudenken; aber nur deswegen, weil alle Betreffenden, wenn es zur Sache (dem Trinken) kommt, aus­nahmslos ein Weinglas benutzen werden. Wie günstig! Und wie scha­de, dass es nicht um den Wein geht!
Das Glas ist zugleich Bestandteil des Erfahrens, leitet zu diesem hin und über. Das Glas ist dabei gemeinsame Basis für die ver­gleichende Erfahrung. Wenn ein Weinvertreter einen Pappbecher oder Strohhalm darbietet, verkauft er schlecht, wenngleich er denkt, sein Wein sei so gut, dass er auch in dieser Form erfolgreich ist.
Was heißt es, wenn man gesell­schaftliche Erfahrungen unendlich vielfältig transformieren, also allge­mein kompatibel oder vergleichbar machen will? Es heißt, die Gemein­samkeit zu vermitteln, möglichst aber so, dass des Hörers oder Lesers Interesse durch die +Berufung+ auf die Gemeinsamkeit nicht von der Gemeinsamkeit selbst abgelenkt wird! Es besteht die Notwendigkeit, möglichst #viel# "Berufung" zu geben, +ohne+ diese deutlich zu machen, was nichts weiter heißt, als sie zu verdichten.
Das ist Sache und Beruf der Dichter, also einzelner, die natür­lich einen Klassenauftrag haben. Das heißt für uns, die gegnerischen Verdichter zu überwinden, selbst kompetent zu werden. Poesie ist Be­dingung für Stärkung. Unsere Form ist nicht beliebig, sondern notwendi­ge Bedingung für erfolgreiche Mit­teilung und damit selbstverständlich zugleich Inhalt. Thomas Waldeck