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novum - Januar / Februar 2006 posthum veröffentlicht
Nur unter den Umständen ist der Mensch des Menschen Wolf.
Der Kapitalist war lange nicht der Feind des Proletariers. Der Fabrikbesitzer war schlicht die personifizierte andere Seite des insgesamt progressiven Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit. Das Kapital hat die Lohnarbeit hervorgebracht und kommt ohne diese nicht aus. Zum Zwecke massenhafter Lohnarbeit musste das Kapital Menschenmassen aus feudaler Leibeigenschaft befreien. Von dieser fernen Befreiung her hat der Freiheitsbegriff selbst als leere Worthülse einen Schimmer behalten.
Natürlich muss der Kapitalist revoltierende Arbeiter niederschießen lassen, um das System Lohnarbeit/Kapital, in das beide verflochten sind, zu erhalten. Aber bei Strafe seines Unterganges kann das Kapital die arbeitenden Klassen nicht vernichten. Die Arbeitsteilung in Profitplanung und arbeitsamer Verwirklichung muss in diesem System aufrecht erhalten bleiben. Metzeleien geschehen aber immer im Namen der Freiheit: Aufstand der Lyoner Seidenweber; Junischlacht 1830 inParis; Pariser Kommune 1871; Spartakusaufstand 1919 in Berlin...
Im Ergebnis der sozialistischen Oktoberrevolution in Russland wurde dort das System Kapital/Lohnarbeit ansatzweise außer Kraft gesetzt. Schon dadurch geriet im übrigen Europa das System ins Wanken.
Der Überfall deutschfaschistischer Heere auf die Sowjetunion 1941 unter heimlicher Unterstützung durch alle übrigen kapitalistischen Staaten war der überdimensionale Versuch, die sowjetstaatlich organisierte Arbeiterklasse doch noch einmal niederzuschießen: Dazu gelang es dem deutschen Kapital, die Arbeiter und Bauern im eigenen Staat gegen die Arbeiter und Bauern im Sowjetstaat ins Feld zu schicken.
Dieser Versuch endete kläglich. Der Weltimperialismus hatte in Gestalt des deutschen Faschismus..."gegen die Bolschewiken" ... eine Sau rausgelassen. Stalins Wort vom "Schweinerüssel des Imperialismus im Sowjetgarten" ging um die Welt. Die damaligen Westmächte mussten der Anti-Hitler-Koalition beitreten, um diese 'Sau' wieder einzufangen, ehe sie von der Roten Armee ganz totgeschlagen wurde. Das Untier ist wieder drinnen. Wir vernehmen sein Grunzen durch alle deutschen Gaue und nennen es beschwichtigend 'Rechtsextremismus' - natürlich in Parenthese zur gemeinten Hauptgefahr, dem 'Linksextremismus'.
Im deutschen Westen gelang es, den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit zu erhalten. Weltweit kam es zu einem vorübergehenden Waffenstillstand zwischen sozialistischem und kapitalistischem Lager trügerisch als 'friedliche Koexistenz' bezeichnet.
In Ermangelung militärischer Kräfte zur umfassenden Wiederherstellung des durchbrochenen Status quo wurde der 'Kalte Krieg' grundsätzlich von der Kapitalseite geführt. Der Übergang zur heißen Phase des sozusagen zwischenstaatlichen Klassenkampfes wurde dabei nie aus den Augen gelassen.
Diese neue heiße Phase wäre mit Sicherheit ein Atomkrieg geworden. Die Reichsten unter den Reichen ließen sich atomsichere Bunker bauen. Für die Volksmassen der Welt war das keine Lösung. Die Befürchtungen der Menschen in den sozialistischen Ländern ihr Einlenken vor der drohenden Atomkatastrophe begünstigten dort den Revisionismus. Dieser konnte die als dogmatisch verschrieenen Ideen der kommunistischen und Arbeiterparteien vorübergehend paralysieren.
To dogma, aus dem Griechischen überkommen, heißt: Beschluss, feste Meinung. Das Aufweichen solch fester Meinung ist von allen revisionistischen Strömungen beabsichtigt. Eine Niederlage der kommunistischen Idee zur Aufhebung des lösungsbedürftigen Hauptwiderspruchs Kapital / Arbeit bedeutete die Entkrampfung des Dogmas keineswegs. Sie ersparte der Welt zuförderst den Atomkrieg.
Der Weltekel schwillt an.
Natürlich haben die Klügeren nicht grundsätzlich nachzugeben, die Welt würde sonst immerdar von Scheinklugen und Bösewichtern regiert. Ein amerikanischer Präsident triumphierte: "Mit Gottes Hilfe haben wir den Kalten Krieg gewonnen." Gottes Hilfe erwies sich als die kollektive Klugheit der sozialistischen Völker. Sie haben dafür zunächst mit dem Verlust ihrer sozialen Errungenschaften bezahlt. Ein hoher Preis für den Weltfrieden und für erweiterte Denkräume. Ein GORBATSCHOW, vermeintlicher Initiator der notwendigen Einlenkungsbewegung humanistischer Hauptkräfte, darf sich diese Gottesfeder gern an den Hut stecken.
Der Hauptwiderspruch Kapital / Arbeit wurde global restituiert - um den Preis weiterer krisenhafter Zuspitzung, die nun erst recht einer weltweiten Lösung zustrebt. Die Kapitalkräfte sind nicht stärker, sondern anfälliger geworden. Noch mögen ihre hektisch aufgestellten Krisenreaktionstruppen zur Niederschießung, neuerdings Niederbombung, lokal begrenzter Aufstände ausreichen.
Der Weltekel vor dem geistlosen Prinzip des mechanischen Materialismus, als welches sich das Kapitalprinzip darstellt, schwillt an.
Zwei komplementierende Erscheinungen prägten das
Aufkommen des mechanischen Materialismus im 15. - 16. Jahrhundert: Der Glockenguss und die Kanonengießerei. Kanonen brauchte man zum Aufknacken feudaler Zwingburgen, um Arbeitskräfte freizuschießen. Kanonen brauchte die Bourgeoisie, um diese Arbeitermassen in Schach zu halten und neue Märkte zu erobern. Des Glockenklanges bedurfte es, um die jeweils angerichteten Leichenfelder sakral einzuläuten. Über Atomwüsten her werden die metallischen Klöppelklänge nichts mehr zu bewegen haben.
Der Ruf "Wir sind das Volk!", diese intelligible Kollektivweisheit, konnte nur in jahrzehntelanger Sozialismuserfahrung, ihrer Defizite, vor allem aber ihrer Bildungskraft, heranreifen. Dieser Ruf hat die Grenzen, innerhalb derer er aufkam, überschritten. Grenzübergreifend wirkt zudem, dass von den DDR-Sicherheitskräften kein einziger Schuss auf das Volk abgefeuert wurde, sehr zum Ärger der kapitalseitig manipulativ tätigen Kräfte.
Harmonischer Widerspruch zwischen Mensch und Natur
Nichts geschieht außerhalb von Naturgesetzen. Imposante Zeugen menschlicher Tätigkeit, von den Pyramiden bis zu den Glaspalästen heutiger Bankenwelt, sind Ausdruck und zugleich Blendwerk wirkender Widersprüche.
Die Eroberung des Weltraumes setzt einen anderen Widersprach voraus, den zur Harmonie gewordenen Widerspruch zwischen Mensch und Natur. Dieses Paradoxon kann die Profitmaschinerie nicht lösen.
Noch herrscht die Lüge: Kapitaleigner verstehen das Planungsgewerbe, deshalb sitzen sie in Chefetagen; Arbeiter, Angestellte, Dienstleister verstehen dieses Handwerk nicht, deshalb sind sie lohnabhängig, bevölkern eigentumslos Werkhallen und Gossen. Dieser angebliche Wahrspruch sei durch den Zusammenbruch des Sozialismus bewiesen. Der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit teilt die Menschheit in eine führende Elite und die nichtdenkfähige, daher stets angeführte Masse. Dieser Dissens wurde mit Waffengewalt hergestellt und wird mit Waffengewalt instand gehalten. Arbeitern, Technikern, Wissenschaftlern, die Waffen und Munition fabrizieren, darf Denkfaulheit, wenn nicht Schlimmeres durchaus vorgehalten werden.
Die Partei der Mehrheit kann sich dieser Schmach nur entledigen, wenn sie diesen Widerspruch auflöst, indem sie sich zur Partei des wahrhaftigen Denkens durch konsequentes Handeln aufschwingt.
Inzwischen steht dem Kapital ein ureigener Feind ins Haus. Es ist der Widerspruch zwischen Kapital und Überkapital, das an den Börsen als Rechenmasse hinundher geschoben wird. Ursprüngliche Kapitalakkumulation konnte einst in vergegenständlichte Arbeit umgewandelt werden. Heute wird das Aktienkapital zur Deponie arithmetischen Überhanges, dessen Höhe jede Vergegenständlichung übersteigt.
Noch kommen hier und dort 'nur' aufgetürmte Halden von Wohlstandsmüll ins Rutschen und begraben armselige Abfallsucher unter sich. Die Botschaft: "Wir sind das Volk!" verlangt vom Volke, zu verhindern, dass die gesamte Menschenwelt in den Abgrund gerissen wird, wenn die Billionenmassen aufgehäuften Geisterkapitals ins Rutschen kommen. Das Gespenst der Inflation geht um. Dabei gibt
es nichteinmal mehr soviele Wälder, die angestauten Wertegutschriften in Papiergeld umzuwandeln. Kapital, als Ordnungsprinzip schon lange fragwürdig, hebt sich dann im selbstgemachten Chaos auf.
Es rette sich, wer kann, beizeiten in das Denkprinzip der sozialistischen Planwirtschaft und der kommunistischen Arbeit (LENIN, Werke, Bd. 29 ab S. 400, insbes. S. 417).
Die Alternative 'Barbarei (die schon längst Erscheinung ist) oder Sozialismus!', in dieser Umkehrung gesehen, ist nicht länger zu verdrängen.
Erich Köhler (März 2001)
Kapital als Ordnungsprinzip hebt sich im selbstgemachten Chaos auf.
Es rette sich, wer kann, in das Denkprinzip sozialistischer Planwirtschaft.