Heiner Müller: Froschkönig
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Lehmann: Seit über tausend Jahren liegt der Findling hier. Brauske: Seit der letzten Eiszeit. Lehmann: Seit der Erschaffung der Welt, meinetwegen, taub und stumm. Und nun kommt der. (1. Akt, 4. Szene)
Erich Köhler gehört, nach Werk und Biographie, zu dem Dutzend für die DDR repräsentativer Schriftsteller von Rang. DER GEIST VON CRANITZ ist kein perfektes Theaterstück. Das Material des Gegenstandes sperrt sich, wie 1930 für Brecht das Petroleum, gegen die fünf Akte. Das Material des Autors widersteht der Pointe, die den Gegenstand der Abendunterhaltung ausliefert. Figuren und Vorgänger schnurren ihm nicht zum abgekarterten Spiel ein, das die Theatermaschine zum Billard mit Schrumpfköpfen einlädt. Er weiß durch Talent und Erfahrung, daß nicht mit jedem Schlag der Nagel auf den Kopf getroffen wird. Mancher trifft den Daumen auf den Nagel, und was die Rechte tut, muß die Linke ausbaden. Er ist kein Spielmeister; mit seinem Gegenstand steht er selbst auf dem Spiel. Zum Theater stellt er sich zunächst einmal quer. Verhandelt wird ein Fall von Kulturrevolution. Im Streit um die Kröte, die der Genossenschaftsbauer und ehemalige Knecht aus dem Feldstein herausschlägt, artikuliert sich das Selbstbewußtsein der neuen Bauernklasse, in der der Widerspruch von Knecht und Herr aufgehoben ist wie der Prinz in der Kröte.
Es artikuliert sich in Fremdsprachen: Märchenmotiv und Fibelton, Träume der Sklaven und Argot der Unterdrücker. Die neue Freiheit hat ihre Sprache noch nicht gefunden. Auf der Suche danach gerät der Vers ins Handgemenge mit der Prosa; alte Reime stoßen sich am ungereimten Neuen, auf das sie sich noch keinen Vers machen können.
Der Übergang zur Kooperation, zweiter Schritt in die Industrialisierung, ist mehr als Hintergrund: auf dem neuen weiteren Feld geht ein Gespenst und Wiedergänger von Klassenkampf um, steht die Frage nach dem Verhältnis zum Eigentum neu. Daß Köhler den Aufbruch seines Helden in die Kunst an diesem Drehpunkt ansetzt, macht die Qualität seines Entwurfes aus. Als Knecht Kulturträger im Wortsinn, auf seinem Rücken wurde Kultur gemacht, seine Klasse Nährboden von Klassik, gerät der Genossenschaftsbauer, im Sozialismus befreit auch zur Kunstproduktion, in den Widerspruch, daß eben dieser Sozialismus die Autonomie der Kunst in Frage stellt, indem er den Makel ihrer Geburt aus der Ehe mit dem Privateigentum aufdeckt. Der Enteignung der Güter muß die Enteignung der Kulturgüter folgen. Lange genug hat die Kröte als Folie für den Prinzen Dienst getan, an die Wand geworfen, wenn sie auf ihren Lohn bestand. Jetzt hat die Kröte ihre Chance. Wer braucht Prinzen.
Heiner Müllersiehe auch:
Philoktet von Heiner Müller
entnommen dem Programmheft 2 der Spielzeit 1971/72
Volksbühne am Luxenburgplatz, Berlin
siehe auch www.volksbuehne-berlin.de
weiter im Theaterheft zu lesen:
Das Theater bleibt lebendig durch neue Stücke, es wird blutarm ohne sie. Suchen nach neuer Dramatik sowie Einsatz für die Aufführung unbekannter Werke sind Lebensaufgabe des Theaters. Wie die Theaterkunst diesen gesellschaftlichen Auftrag erfüllt, danach wird sie von ihren Zeitgenossen und späteren Zeiten vor allem beurteilt.
Erich Köhler schrieb eine Erzählung "Der Geist von Cranitz", die bisher nicht veröffentlicht ist. Die Volksbühne regte ihn im Winter 1970 an, den Stoff für das Theater zu bearbeiten. Es wurde ein Vertrag geschlossen. Im Sommer 1971 legte der Autor die erste Fassung des Stücks vor, im Herbst eine verbesserte zweite. Nach gründlicher Prüfung entschloß sich das Theater kurzfristig, "Der Geist von Cranitz" in den Spielplan 1971/72 aufzunehmen. Das Publikum sollte ohne Verzögerung ein ungewöhnliches Stück und einen neuen Theaterdichter kennenlernen. Im Dezember 1971 begann die Arbeit mit der Probenfassung.
Der Versuch ist das schöpferische Bewährungsfeld des sozialistischen Menschen, er ist es ebenso für das Kollektiv sozialistischer Theaterleute. Die Volksbühne stellt sich erneut ihrem Auftrag.