Unvollständiges über Erich Köhler
von Hinnerk Einhorn
in: »Büchermagazin« Heft 2/1980
Als ich mit Köhler und seinem schon zur literarischen Figur gewordenen Hund Kuno durch den »Gespensterwald von Altzauche« im Spreewald streifte, rügte er mich, weil ich - Asphalt gewöhnt - Pilze und Tierspuren nicht sah, die er längst entdeckt hatte. Mit Köhler läßt sich bei jedem Wetter querfeldein gehen oder angeln, man kann mit ihm alte Schnulzen singen oder Volkslieder zur »Zerrwanstbegleitung«. Über literarische Pläne redet er nicht gern, über Literatur im allgemeinen und besonderen schon gar nicht, Kategoriengeklapper haßt er. Seine Bezugspunkte sind die Äußerungen von Schriftstellern selbst; ich glaube, er ist »Goethe-fest«.

Eher läßt sich mit ihm über den Zustand der Welt reden, über Afghanistan oder Kampuchea, über das Rinderkombinat vor seiner Tür oder die tägliche Zeitung.
Es kann auch passieren, daß er einem Manuskripte vorlegt, die ihm häufig geschickt werden. Konkret will er dann wissen, worum es sich lohnt. Einen literarischen Zirkel zu leiten, erwies er sich allerdings als unfähig, er kann nicht relativieren, er entmutigte. Er geizt mit seiner Arbeitszeit, und er klagt ständig, einfach nichts zu schaffen. Doch die verdutzten Kollegen bemerken, daß er ein Buch nach dem anderen herausbringt: in seinem Stammverlag Hinstorff nach »Nils Harland«, »Der Krott« und »Hinter den Bergen« nun mit »Hartmut und Joana« bereits das vierte, im Kinderbuchverlag nach »Platekatel-Banzkosumirade« und »Der Schlangenkönig« nun »Die Denkmaschine« und im Verlag Neues Leben nach »Reise um die Erde in acht Tagen« nun die »Kiplag-Geschichten«. Theaterstücke wurden aufgeführt am Deutschen Theater, in der Volksbühne und am Theater der Freundschaft. Inzwischen schreibt er an einem neuen, größeren Roman.
Köhler, 1928 geboren, seit der Veröffentlichung seiner Erzählung »Das Pferd und sein Herr« (1956) im Bewußtsein der Öffentlichkeit, hatte es allerdings nicht leicht, seine Literaturauffassung durchzusetzen. Er sagt: »Ein Autor muß Feldforscher sein, auf seinem Terrain weiter sehen, tiefer gehen, dem allgemein entwickelten Sensorium voraus sein.«
Mit Rezeptionsschwierigkeiten der Leser findet er sich nicht ab, das übergeht er nicht leichthin:
»Das Leseverhalten läßt sich nur in engstem Zusammenhang mit der materiellen Seite unseres Lebens sehen. Es geht um eine Qualität, die den Lesebedürfnissen unter den eben geschilderten Umständen (hoher Einsatz nervlicher und geistiger Kräfte im Arbeitsprozeß, H. E.) entgegenkommt, was oft fälschlicherweise als Volkstümlichkeit in der Literatur apostrophiert wird. Die höchste Qualität der Literatur ist, wenn sie möglichst auch diesen Verhältnissen entgegenkommt, ohne sich davon herabziehen zu lassen, das ist unser Problem. Ich neige allerdings selbst dazu, die Leute mehr zu fordern als nötig. Das hängt mit meiner eigenen Situation zusammen. Das Bildungserlebnis ist mein Grunderlebnis, und so wie ich schreibe, bilde ich mich gleichzeitig.«
In seinem neuen Buch »Kiplag-Geschichten« (Illustriert von Albrecht von Bodecker - Etwa 344 Seiten - Pappband mit Schutzumschlag 7,70 M) sind drei recht eigenwillige Gestalten unterwegs, Kiplag, Kapitän Rebhuhn und der anonyme Erzähler. Sie erleben verschiedene Abenteuer - mit doppeltem Boden -, die Besteigung eines Fünftausenders, sie suchen einen sagenhaften Schatz, streiten ums Überleben der Wollhauptschlange und erfahren die seltsamen Begebenheiten auf der Insel Amöbien, wo Gestalten ihre Identität tauschen können. In allen diesen zugleich spannenden und phantastischen Geschichten geht es um heutige Lebenserfahrungen, um Probleme der ethischen und ästhetischen Bildung, die Köhler heiter, ironisch, gelegentlich satirisch und stets anspornend aufzeichnet.
Ich kann mir vorstellen, daß Erich Köhler auch mit diesem Buch die Erwartungen seiner Freunde erfüllt und viele neue hinzugewinnt.
Hinnerk Einhorn
erschienen 1980 in der Zeitschrift Büchermagazin
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Erich Köhlers Lebensdaten