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Neuerscheinung
Bucheinband der Neuerscheinung: Sture und das deutsche Herz

Sture und das deutsche Herz
-ein Troll-Roman
Verlag KULTURMASCHINEN Berlin 2009


Mitten in der Abwicklung der DDR erschien dieser fulminante Roman und wurde kaum wahrgenommen. Dabei hätte er es mehr als verdient, denn der Kommunist Erich Köhler unternimmt eine grimmige, erstaunlich klarsichtige Heerschau von Geistesgeschichte und Geschichte Deutschlands seit den 20er Jahren. Er läßt seinen Protagonisten Sture die Zeitläufe als von außen Kommenden miterleben und kommentieren. Nach Krieg und Faschismus landet Sture in der DDR und gehört dort zur den radikalen Vorprellern, die sich manche Beule am Hut holen. Zum Schluß finden wir Sture auf der Mauerkrone mitten in Berlin wieder, und das stand schon im Frühjahr 1989 so im Manuskript. [Literatur - DDR BELLETRISTIK]

 
 
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Rezensionen zu
Erich Köhlers Werken
Erich Köhler ca. 1990

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Schatzsucher

 

 

Hinter den Bergen

 


Sture-Buch-Einband

   jw-logo     abgedruckt in:    junge Welt vom 28.12.2005

Annäherung an einen Autor
mit Hilfe seiner Romanfigur

von Gabriele Lindner

Der Schriftsteller Erich Köhler wäre am 28.Dezember 77 Jahre alt geworden. Er ist am 16.Juli 2003 verstorben.

Die Literaturwissenschaftlerin Karin Hirdina nannte Köhlers Bücher "Glücksfälle" der DDR-Literatur. In der öffentlichen Resonanz spiegelte sich das so nicht wider. Seine Wortmeldungen im Schriftstellerverband und seine Essayistik provozierten vor allem die Kollegen und ließen sie auf Distanz gehen.

"Sture und das deutsche Herz" ist nach "Schatzsucher" (1964) und "Hinter den Bergen" (1976) der dritte Roman des Erzählers, Essayisten, Kinderbuch-, Theater- und Hörspielautors. Mit dem Untertitel wird der Leser eingestimmt: "Sture" ist "Ein Trollroman". Der erste des aus drei Teilen bestehenden Romans war 1985 fertig gestellt. Erschienen ist das Ganze im März 1990. Die Buchpremiere fand als letzte Kulturveranstaltung im Volkseigenen Gut Radensdorf, Kreis Lübben, statt. "Draußen zwischen den Boxen trieben sich westdeutsche Viehverkäufer herum. Hochtragende Färsen wurden zur Abschlachtung mit Kreuzen aus roter Ölfarbe beschmiert. Der damals bereits 'unabhängigen' Ostpresse war dieser Skandal keine Zeile wert. In der Westpresse lief eine Kampagne zur Umfälschung unserer laktosefreien Zuchtrinder in laktoseverdächtige. Unsere Tierärzte hatten kein Mitspracherecht. Die "Treuhand" hatte gegen solcherart kriminelle Preisdrückerei nichts einzuwenden." Das berichtet ein "Epilog" in "Credo" (2000). An diesen war noch nicht zu denken, als der zum Roman gehörende Prolog entstand:

Auf Almskulle/Schweden wird der Sippe Thorson ein Sohn geboren, für den Mutter Ranke liebevoll einen Singsang improvisiert "...Sei nie so stark, daß dich Schwache beneiden/nie so kühn, daß alle dich meiden/ nie so stolz, daß kein Leid dich rührt/ nie so klug, daß nichts dich betört/ Sei nie so fromm, Gott nie so nahe/ daß kein Mensch dir helfen kann..." Doch Pfarrer Läskevatten erkennt in dem Neugeborenen einen braunäugigen Abweichling, einen verworfenen Keim, einen Troll eben. Das Kind wird Ranke gewaltsam entrissen und "zurück gegeben", bei den Trollsteinen abgelegt, aus denen der (herrschenden) Sage nach das Böse in die Welt gekrochen ist. Die mit Brachialgewalt gebändigte Ranke kann ihrem Jungchen nur noch einen Namen nachschreien: "Sture!"

Im ersten Teil, "Seelenwanderung", agiert ein Sture Thorson in bizarren, sonderbar verfremdenden und ihm selbst den Tod bringenden Rollen in sieben Phasen westeuropäischer Geschichte. Die Wanderung beginnt in der Februarrevolution 1948 in Paris und ihrer brutalen Niederschlagung, inmitten des Streits der Umstürzler über den Weg zu einer gerechten Ordnung. Sture bleibt mit seinem Wissen aus der "Edda" über den Untergang der Götter unverstanden und bezahlt das en passant mit dem Leben. Die bis zu Verdrängungskämpfen zwischen Jäger- und Sammler- und Ackerbauer- und Viehzüchter-Clans zurück gehenden Ereignisse sind turbulent, nicht an festgeschriebenen historischen Wertungen orientiert. Wertungen sind aus dem Agieren der jeweiligen Verkörperung Stures zu gewinnen. Bis zum Ende des 6. Kapitels ist das Prolog-Geschehen als Nach-und-Nach-Verdämmern des Säuglings aufgenommen. Am Schluss des 7. heißt es: "Jahrhunderte verfliegen wie Hüttenrauch. Namen vergehen. Völker verschmelzen. Die Vorstellung von den Trollen allerdings wuchert wie Wurzelwerk weiter bis auf unsere Zeit." Und so mischen sich denn am Beginn des zweiten Teiles an den Trollsteinen turbulente Wetterereignisse mit Gestalten aus der Edda, sonstigen altgermanischen Geisterscharen und Seelen. Das sterbende Sprösslein wird von einer Altmutter mit urwüchsiger Zähigkeit ausgestattet. Es kann nun seine Wanderung durch das politische Geschehen des 20. Jahrhunderts antreten, mit fast grenzenloser Leidensfähigkeit ausgestattet, verständnislos innerhalb der politischen Kämpfe in Deutschland zwischen 1918 und 1945 und deren Auswirkungen auf ihn und die Welt und zugleich auf verschrobene Weise an ihnen beteiligt. Blind geschossen und mit gesteigerter Wahrnehmungskraft ruft er antike Weltbilder ebenso auf wie vergessene schädliche Geister, deren moderne Formen er herausfindet. Er lernt beim Marxismus-Lehrer Duncker und reagiert auf alles mit unverstandenen Gedichten, nimmt den in die Falle getappten deutschen Michel und seine Dichter wahr, einen davon mit uneingeschränkter Bewunderung: bb.

Zu Beginn des dritten Roman-Teiles schließlich strömen auf kahlem Berge unterschiedlichste Gestalten zusammen und wenden sich nach West oder Ost. Hastig gen Osten vor allem geistige Leitfiguren mit Koffern voller Manuskripte. Ihm weist niemand den Weg. Er landet im westlichen Teil inmitten einer gespenstischen Operation. Der deutsche Michel ist kaum zu retten, also wird von namentlich gemachten Repräsentanten aus Politik und Wirtschaft sein rechtes Bein Onkel Sam zum Tanzen auf dem Weltparkett angeflickt. Möglicherweise wird das linke Bein im Osten beansprucht. Auf jeden Fall steht ein permanentes Ringen um seinen Geist bzw. seine Gehirnmasse bevor. Sture begibt sich in den Ostteil Deutschlands.

Die hier skizzierte Geschichte entspricht keiner konventionellen Romanfabel. Die Kunstfigur des Sture Thorson organisiert ein surrealistisches, deftig sinnlich gezeichnetes Panorama, das eine Vielzahl historischer Figuren, Situationen und Denkweisen enthält, die in herkömmlichen Handlungssträngen nicht unterzubringen wären. Die abschließenden Stationen seines DDR-Daseins sind dichter an gesellschaftspolitische Realitäten gebunden. Gut bekannte Argumentationen zu Wirtschaft, Politik, Kunst, Volksbildung finden sich wieder. Und die Befremdlichkeit der Sture-Figur resultiert nunmehr aus Botschaften, die er zu vermitteln sucht. Es sind diejenigen, denen sich Erich Köhler selbst verschrieben hatte. Sie gehen aus dem Anspruch hervor, den Sozialismus nach Umkehrung der Eigentumsverhältnisse als radikal alternative Lebensweise zu ermöglichen (nicht zu verordnen). Köhler hat diese Alternative als Schriftsteller gelebt, sich per Vertrag dem Volkseigenen Gut Radensdorf angeschlossen, die Einnahmen aus seiner literarischen Produktion dem Betrieb zukommen lassen und von diesem ein monatliches Fixum bezogen. Befreiung literarischen Schaffens aus den Zwängen des Warencharakters von Literatur. Aus Erfahrung und Überzeugung, dass am Ende käuflich ist, wer auf Geld reagiert. Im Troll-Roman macht er seine Hauptfigur zum agent provocateur. Der lässt Menschen Freude, Genuss an der Arbeit verspüren, wenn die mal nicht möglichst viel Geld einbringen soll. Das Geleistete bewirkt gehobenes Selbstwertgefühl (wenn auch noch nicht Stures Fähigkeit, sich schwebend über die Dinge zu erheben). Arbeit als erhebende Verbindung zwischen Menschen, nicht als Ware, die ihren Preis hat. Vor allem Kinder lassen sich durch seinen Schwebetrick anlocken. Um dann festzustellen, dass ihnen schließlich aufgedrängelt wird, auf Geld, Zensuren, Leistungsnachweise, Punkte zu schielen. "Da lernen wir ja nie den Schwebetrick".. Der agent provokateur wird ruhig gestellt, außer Betrieb gesetzt. Und bleibt der Rufer in der Nacht, unentwegt auf einer Alternative bestehend, die den Weg zu einer Kulturmenschheit ebnet. "Utopia...kann der Mensch niemals erleben, er muß es leben, zu seiner Zeit..."

Sture kennt alle bösen Geister der Vergangenheit, die diesen Kulturwandel verhindern, insonderheit die KLEMS, deren Untergang es wäre, wenn das Angebot an käuflicher Arbeitskraft ausginge. Auch WICHTE, SCHMAROTZER, BILMEN. Jetzt hat er eine neue Variante vor sich, oder nur ein neues Wort für schon zu allen Zeiten bekannte Geister?: BONZEN "..gewiefte Handhaber systemimmanenter Möglichkeiten für sich selbst, großgewordene geistige Kleinbürger; im Gegensatz zu den Wichten zwar leicht zu durchschauen, aber ebenso wie jene, schwer haftbar zu machen, da sie sich als Stützen der Gesellschaft geben."

Erich Köhler hat seinen "Sture" im letzten Jahrzehnt der DDR geschrieben, ist in Mythen, Geschichte und Weltbildern auch den HEINZE begegnet, kleinen, arbeitsamen Geistern, die sich nie wichtig machen. Er findet sie auch am Ende als Ausgelieferte vor, in Ost und West und sich dieses Ausgeliefertseins nicht bewusst. So reproduziert sich alte Geschichte nach alten Regeln. Der Roman enthält zunehmend Klartext über das, was den Troll-Roman ausgelöst haben mag. "Wenn das Dumpfrevolutionäre in den Massen nur bürgerlich situiert und materiell saturiert wird, bliebe besser alles beim alten, denn dort strebt es dann hin." Nach Auskunft des Verlages enthielt das Manuskript bereits im Frühjahr 1989 die Schlussszene: Sture zerschunden auf der Mauerkrone. Ex-Nazi Schnittke: "Wenn wir diese Mauer eindrücken, der Rest, auf dem du liegst, bleibt stehn, ...als Denkmal für die Utopie." Sture hält dagegen. Und: "Ich habe mich gestellt". "Sture" - eine Assoziation liegt nahe zu "stur", im Niederdeutschen ursprünglich "standfest", erst umgangssprachlich mit abwertender Bedeutung unterlegt.

Schwer vorstellbar, dass der Roman in der DDR hätte erscheinen können. Als Systemkritiker war der Autor von der alten Bundesrepublik noch weniger zu vereinnahmen. Für ihn war Kritik am Sozialismus nur von links möglich. Nach dem Ende der DDR ins PEN-Zentrum (Ost) aufgenommen, lehnte er vor der Vereinigung von Ost- und West-PEN die Tätigkeit des Ehrenrates ab, der sich mit ihm als "IM Heinrich" zu befassen gedachte. Zu einem freiwilligen Austritt war er nicht bereit. Im April 2002 wurde er ausgeschlossen. Nach äußerst kritischer Wahrnehmung der PDS wurde er Mitglied der DKP.

»Hier« finden sie einen Auszug des »Sture und das deutsche Herz«