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»Gestaltung der noch wider­spruchs­vollen Be­zie­hung von Künst­ler, Kunst und Ar­bei­ter­klasse. (..) Ganz in diesem Sinne widersetzt er sich mittels scharf­sinnig komponierter komischer Konflikte ideeller und ästheti­scher Bequemlichkeit, zielt er auf wachsende Kreativität und Souveränität des Arbeiters unter gegen­wärtigen Bedin­gungen, auf die Bewältigung des noch nicht Bewältigten.« (Waltraut Schröder)

aus:
Positionen 4
Wortmeldungen zur DDR-Literatur

Mitteldeutscher Verlag Halle-Leipzig 1988

  Zu einigen phantastischen
  Satiren Erich Köhlers

von Waltraut Schröder

Seit etwa drei Jahrzehnten fesseln Köhlers Arbeiten durch den herausragenden Sinn für das Komische. Am Werk fas­zinieren das originelle Fabulieren, die kraftvolle, scharf­sin­nige Metaphorik und Symbolik der Bildsprache, das hinter­gründig-skurrile Spiel der Phantasie mit dem Phantasti­schen und die Klarheit der epischen Analyse. Das poetisch Komische erwächst aus realistischer Durchdringung des Widerspruchsvollen; erst hieraus entfaltet sich die literari­sche Antizipation.

Nekrolog

von Hinnerk Einhorn
für Waltraud Schröder,
Berlin Friedrichsfelde

In Reih und Glied hat man dich eingegraben
Nach Dienstrang, außen links im Ehrenfeld
Die Steingemeinde mußt du nun ertragen
Der Kampfgenossen, die kein Skrupel quält

Unschuldge Asche, einst belebt vom Schwärmen
Der bessren Welt - so rasch versteint
Wie sollte Eine solch ein Heer erwärmen
Das Feigheit, Kaderwelsch und Dünkel eint

Wie eine Skatpartie ging Land verloren
Wir sinnen über hingewehten Karten
Und sollen müßig auf die Tage warten
Da wir in Reih und Glied ins Feld geboren

aus:
Hinnerk Einhorn
Voyage au Paradis
Texte einer deutschen Wende
Gollenstein Verlag Merzig 2000

Es spricht für den heutigen Entwicklungsstand des Sozialismus, daß mehr und mehr das Komische in der Kunst Ausdruck erhält - auch in der theoretisch-kunstkritischen Reflexion. Daß dennoch sich wider­spre­chende Positionen lebendig sind, zeigten symptomatisch die Debatten um Volker Brauns Hinze und Kunze und Günter de Bruyns »Neue Herrlichkeit«; sie entbehrten selbst nicht des Komischen. Wie auch andere Werke der Kunst markieren beide Bücher Anzeichen einer neuen Qualität des komisch-sou­veränen Umgangs mit den selbst erzeugten Lebens­be­dingungen.

Nicht zufällig stieß Erich Köhler mit der Mehr­zahl sei­ner Manuskripte auf Unverständnis. Der in der Kunst­gestalt seiner Werke nahezu universelle Gebrauch des Komischen ist wohl Aus­druck von dessen Wider­sprüchlich­keit und demokra­tisie­render Funktion, konnte aber in den ideo­logisch-ästhetischen Debatten, die bis in die siebziger Jahre hinein statt­fanden, nicht voll erschlossen werden. Den da­maligen Umgang mit dieser ästhetischen Kategorie drückt meines Erachtens M. Kagan in seinen »Vorlesungen zur marxistisch-leninistischen Ästhetik« aus, wenn er schreibt: »Das ästhetische Wesen des Komischen besteht ... in einem ... Konflikt des Realen mit dem Idealen, in dem das Reale von den Postionen des Ideals aus negiert, bloßgestellt, verurteilt, entlarvt, abgelehnt oder kritisiert wird.« (Berlin 1974, 5.199) Durch die geschichts­philosophische Ent­leerung der Kategorie blieb Kagan hinter Hegel und Marx zurück, vor allem weil er die Subjekt-Objekt-Dialektik des Komischen ignorierte und die Wirklichkeit dem bloßen Verwurf preis­gab. 1975 bemerkte Wolfgang Heise in »Bild und Begriff«: »... tragisch und komisch, schön und häßlich sind deshalb Bestimmungen ästhetischer Aneignung, in denen die Indi­viduen und Klassen sich selbst in ihrem Verhältnis zum je­weiligen Gegenstand erkennen.« (S.236)

Erich Köhlers realistische Komik ist Wider­schein soziali­stischer Entwicklung. Sein Werk integriert originell weltli­terarische Traditionen und ist, gleich dem Majakowskis, der Arbeiterklasse in besonderem Maße ideell-künstlerisch ver­bunden. Marx bezeichnete 1851 die Maskierungen der An­fangs­phase der Französischen Revolution als notwendig, um die »gegebene Aufgabe in der Phantasie zu übertrei­ben«. (MEW, Bd. 8, S. 116) Auch Lenin forderte den univer­sellen Einsatz der Phantasie im sozialen Um­ge­stal­tungs­pro­zeß. Brechts Konzept und Technik der Verfremdung scheint eine innere gedankliche Beziehung hierzu zu haben. So­wohl die didaktische Konzeption des epischen Theaters als auch das besondere Hervortreten, Herausheben im ver­fremdenden Spiel nutzen innerhalb der künstle­rischen Me­thode die phantasievolle Übertreibung. In den Vorgängen, schrieb er, sei das Verhalten der Personen »nicht ein schlechthin menschliches, unwandelbares, es hat be­stimmte Besonderheiten, es hat durch den Gang der Ge­schichte Über­holtes und Überhol­bares und ist der Kritik vom Stand­punkt der jeweilig darauf folgenden Epoche un­ter­worfen.« (Kurze Beschreibung einer neuen Technik der Schauspielkunst, in: Versuche, H. 11)
Augenfällig stellt sich hier eine geistige Synthese der Ver­fremdung mit dem Komischen her - als besondere Art und Weise der Widerspiegelung des Widersprüchlichen; in der komischen Ver­frem­dung erfährt das Subjekt die eigene Souveränität gegenüber dem Objekt des Lachens. - Köh­lers Arbeiten zeigen in ihrer Mehrzahl das Phantastische als verfremdende Spielform des Komischen.

Wie Wolfgang Heise am Beispiel Brechts hervorhob, faßt der dem Sozialismus verbundene Künstler das komische Ver­hältnis als demokratische Einmischung und als ein Erhellen der Widerspruchselemente auf. Jedoch kann der progressive Epo­chen­prozeß in seiner Gesamtheit nicht verlacht werden. So sieht Köhler in der Marx­schen Metapher des heiteren Ab­schied­nehmens von der Vergangen­heit kein ästhetisches Muster zur Bewertung der eigenen sozialen Lebens­verhält­nisse. Geht es doch bei den vielfältigen Spielformen des Komischen nicht nur um die Dialektik der bewegten Real­geschichte, sondern um die künstle­rische Wahrheits­fin­dung - als Lachen über uns selbst.

Unter diesem konzeptionellen Gesichtspunkt tritt in Köhlers Satiren ein Charakte­ristikum hervor: die beißende Satire geht eine ideell-sinnliche Synthese mit dem Humor ein. Dieser fungiert nicht, wie bei Hegel, in verkittender Funktion, als versöhnliches Lächeln; Humor ist hier objek­tiver und subjektiver künstlerischer Ausdruck der ge­schichts­philoso­phischen Position und poetischen Antizipa­tion, welche Köhler bis zur Utopie führt. Ohne die Satire aufzuheben, tangiert die komische Wertung gerade durch diese Synthese das Schöne und deckt die innere Dialektik des Komischen und Schönen auf. Thematisch widerspiegelt sich Köhlers Haltung - beson­ders in den phantastischen Satiren - in der Gestaltung der noch widerspruchsvollen Beziehung von Künstler, Kunst und Arbeiterklasse. Dieses Problem steht im Zentrum sei­ner Überlegungen zu den Perspektiven der Literatur. In der Formierung der modernen Massen­kommuni­kations­mittel sieht Köhler neue Heraus­forderungen an den Schrift­steller. Ganz in diesem Sinne widersetzt er sich mittels scharf­sinnig komponierter komischer Konflikte ideeller und ästheti­scher Bequemlichkeit, zielt er auf wachsende Kreativität und Souveränität des Arbeiters unter gegen­wärtigen Bedin­gungen, auf die Bewältigung des noch nicht Bewältigten.

II
Köhlers Satire ist tiefsinnig gedanken­reich; ihre Gegen­stände werden nicht willkürlich gewählt; der komische Konflikt zwischen Schein und Sein, Wollen und Können wird nicht morali­sierend behandelt, sondern gründet sich auf dialektische Widerspruchsstrukturen, ohne jemals in platte Abbildung zu verfallen; mittels phantastischer Ver­fremdung vermag der Autor genauer und unbefangener in Widersprüche einzudringen. Der Genuß am komisch­ streitbaren OEuvre dieses Erzählers vereint sich mit lust­vol­ler Aneignung von Sinn­zusammen­hängen, von Schlüssel­bildern unserer Zeit.

Erst 1979 erschien die phantastische Erzählung »Reise um die Erde in acht Tagen« im Verlag Neues Leben; Hu­morlosigkeit hatte sie über ein Jahrzehnt in Schubfächer verbannt. Die Originalität des epischen Einfalls wird von Heiterkeit im Marxschen Sinne geprägt: Kurz vor der Ge­sellen­prüfung verschwindet der Schuster­lehrling Gerhard Fiebig, in einer Kleinstadt ansässig, spurlos aus dem Wohn­heim. Als er erneut auftaucht, will er die Gründe des Ver­schwindens nur dem gesamten Kollektiv nennen. Den ge­spannt Versammelten tischt er eine imaginäre Reise um die Erde auf, für die leitmotivisch ein hinter­gründiges Gleich­nis gilt: Ein Goldkäfer entkommt pfiffig durch die Maschen der Gardine des Markt­cafes. Köhler zeichnet das Bild eines gewitzten, phantasie­reichen Jungen, der, wohl­behütet wäh­rend der Ausbildung, für seine über­quellende Phantasie Bewährungs­räume und Selbst­tätigkeit sucht. Zum Subjekt des Lachens gerät er, weil er im Wider­spruch zwischen Sein und Schein, Wollen und Können über sich selbst hin­aus­wächst und unge­ahnte Fähig­keiten entfaltet. Köhlers Adaption der Idee von Jules Vernes berühmter Erzählung »Reise um die Erde in achtzig Tagen« macht die abstruse Größe und Bombastik des Erdachten besonders auffällig. Zugleich zeigt sich der Lehrling als Subjekt und Objekt des Lachens. Er stellt sich als Erfinder des »Fiebig­schen Trompeteneffekts« dar, dessentwegen er nach dem Staate EMERICI eingeladen worden sei. Das rasante Aben­teuer gen Osten, über die Sowjetunion, China, Japan und eine Kino-Traum-Insel, offenbart, daß hier nicht Jules Verne allein Pate des Phantastischen ist; Science-fiction, Western, Comics, Krimis, E. A.Poe und eine bunte Medien­welt machen das Konglomerat poetischer Phantasie zum abgründigen Gegenstand der Verlachung.

Andererseits betätigt ein Arbeiter­junge seine schöpferi­sche Fabulierfreude. In viel­schichtiger Situations­komik, in verschmitzt satirischen Einfällen offenbart sich seine Ur­teils­fähigkeit als Souveränität. So wandelt sich das verlach­bare Spiel zum Symbol der Kraft der Phantasie, des Erzäh­lens. Die Schalkgestalt des Jungen verführt zum Hören und Mitlachen; an drei langen Abenden folgen die Zuhörer lust­voll hingerissen dem bunt­schillernden Bilderstrom. Sie, die auf Selbstkritik und Bekenntnisse aus waren, geraten in den zauberischen Bann der viel­deutigen Wortspiele und kurio­sen Erfindungen. Insofern fungiert die objektiv komische Imagination innerhalb der gesamten Erzähl­struktur auch als Antizipation des Verhält­nisses von Literatur und Mas­sen­kommunikation.

Vor allem die literarische Figur demonstriert in den ge­witzten Eulen­spiege­leien eine souveräne Realitäts­bewer­tung. Die Schulungs­stunden tragen reiche Früchte, wenn sich der Schuster­junge listig, gleich Phileas Fogg, zum Kämpfer für Gerechtigkeit und zum Superman des Klas­sen­kampfes aufschwingt. Ein dubioser Reise­gefährte er­scheint, ähnlich den Comic-Typisierungen, mal als imperia­listischer Agent, als Betrüger oder Kumpel und schließlich als Wissen­schaftler aus dem ominösen EMERICI, wo er sich noch zum Mit­streiter von Berg­arbeitern verwandelt. Gleichzeitig ergreifen die großen Gesten Fiebigs epochale Themen wie Faschismus und Atom­krieg, Friedens­gefähr­dung und Entspannungs­politik. Die listige Reverenz ans Gelernte tritt innerhalb der Erzähl­struktur und des epi­schen Geschehens immer wieder als Anspruch hervor, sich mittels der Phantasie in der sichtbaren und unsichtbaren Wirklichkeit Erfahrens- und Erlebens­räume herstellen zu wollen.

Keineswegs gestaltet Köhler die kurios-fiktiven Ereig­nisse als durch Sciene-fiction drapierte Welt­sehnsucht oder als vorder­gründiges Heraus­springen aus dem Alltags­kor­sett. Gerade die Dialektik von Schein und Sein enthüllt den Schein nicht als bloße Selbst­illusion, sondern als Antizipa­tion, die das utopische Moment der freien Individualität in sich birgt.

Aus diesem Grunde trifft die Satire in schneidender Schärfe jene Surrogate der Unter­haltung, in denen die Epo­chen­kämpfe zum hirn­losen Spiel­ball von Produzenten und Rezipienten geraten. Bewußt kritisch organisiert der Autor die Ver­lachung an Hand monströs aufge­bauschter Sprach­bilder und Sujets aus der Kolportage. Daß er sich gleichzei­tig in erheiternd­ster Weise darüber lustig macht, erhöht den ästhetischen Genuß: Die Flucht der fiktiven Helden aus EMERICI glückt haupt­sächlich durch den Einsatz von Fiebigs Schuster­draht; in letzter Sekunde will der Lehrling aus Professor PENGS Rakete abge­sprungen sein, gerade­wegs an einen FKK-Strand der Ostsee.

Dieses mit Augen­zwinkern inszenierte, phantastische Spiel bringt offensichtlich des Autors komisch verkehrte Rezeption von E. T. A. Hoffmanns phantastischen Satiren zur Anschauung. Im »Meister Floh« erwächst die humane Antizipation aus Unversöhnlichkeit zur Realität. Die Poe­sie muß, innerlich notwendig, der merkantilisch verkruste­ten, gewalt­tätigen Welt entfliehen; nur in ihrem Reich kann sich das eigentlich menschliche, das geistig-poetische Spiel erfüllen. Hierin zeigt sich Hoffmann als romantischer Dich­ter, dessen Realismus aus der Negation hervorgeht. Auch Köhlers Held Fiebig entflieht unbefrie­digendem Dasein, aber im Gegensatz zu den poetischen Gestalten des »Mei­ster Floh« wird ihm das phantastische Erleben individueller Bewährungs­raum für das reale. Es ist der Anspruch eines jungen Arbeiters von hier und heute auf die Erweiterung seiner Aktions­ebenen und seines Lebenshorizonts. Inso­fern bringt die verfremdend-phantastische Gestalt des Ima­ginären auch Entfremdung von potentieller Kreativität und Subjektivität zu Bewußtsein. Der kuriose Griff des Lehr­lings nach dem Erden­schicksal symbolisiert die Einmi­schung in Großes und Kleines, Nahes und Entferntes. Ob­wohl die literarische Figur selbst im Konflikt von Sein und Schein agiert, wird dieser zugleich listig gehandhabt. Köhler gestaltete den Widerspruch zwischen Einbildungs­kraft und epischer Realität einerseits als notwendig, andererseits als aufhebbar in der humor­vollen Antizipation, wobei die pro­vinzielle Existenz des Helden ein retardierendes Moment ist.

Hier könnte eine gewisse Beziehung zu Wilhelm Raabes kauzig-verschrobenem Klein­stadt­helden Leonhard Hagebu­cher bestehen. Dieser agiert in seinen engen Verhält­nissen mittels Spott­lust und Humor; als hintergründiger Komiker hält er der in Konventionen erstarrten Gesellschaft den Spiegel vors Gesicht. ähnlich wie Fiebig erzählt er von du­biosen Abenteuern im Tumurkielande bei Madam Kulla Gulla. Seine besondere Identität erreicht er nur dadurch. Dagegen entfaltet Fiebigs Charakter sich im pfiffigen Agie­ren zwischen Wider­sprüchen, so wird er zur Schalk­figur. Indem Köhler der Haupt­gestalt eine kraft­volle Indivi­duali­tät verleiht, kann das befreiende Lachen das Schöne tangie­ren - Antizipation des aktions­reichen Daseins eines jun­gen Arbeiters, die ins Allgemeine verweist.

Notwendig entsteht ein offener Schluß. Er hebt den sati­rischen Befund nicht auf, bindet ihn aber humorvoll ein in das viel­deutige, leit­motivische Scherzo des Endes: Fiebig findet in einem Stück Meisendreck die noch schimmernden überreste seines Golfkäfers; »Gold geht unverdaut durch derbe Mägen«, verkündet er hintersinnig, woraus sich epi­sche Unendlichkeit des Konfliktstoffes komisch vermittelt.

Die präzise Skizzierung des kleinen Figuren­ensembles der Rahmen­handlung vertieft die Gesellschafts­satire durch tref­fenden Bezug auf die Kunst­debatten der sechziger Jahre. Zwei Lehrer streiten sich um das »Ausgedachte«. Während der erste den Erfin­dungen der Phantasie Wahrheit bestä­tigt, verlangt der zweite die Wahrheit des Faktischen; man sollte ihm EMERICI auf der Landkarte nachweisen!

Sowohl die besondere Kunstgestalt der Erzählung als auch die des komischen Helden widerspiegeln des Autors poetisches Konzept: vereinigen sich hier doch Arbeiter und Poet zu einer geschichtlich neuen Synthese von Arbeit und Kunst, in der die Utopie klar aufscheint.

III
Wirklichkeitsbesessenheit und poetische Phantasie paaren sich auch in den »Kiplag-Geschichten« zu seltener Origina­lität. 1964 geschrieben, wurden auch sie erst 1980 (Verlag Neues Leben) veröffentlicht. Bereits am Beginn der sechzi­ger Jahre war Köhlers Werk Ausdruck zielstrebigen Enga­gements gegen eine verflachende vulgär­materialistische Wirklichkeits­rezeption. Heute gilt die phantastische Ge­staltung als anerkannte realistische Schreib­weise.

Die vier Parabeln enthalten phantastische Erzähl­struktu­ren, deren satirisch-komische Verfremdung scharfe und lustvolle Detail­treue auszeichnet. Vordergründig ist das überreale, abstruse epische Geschehen rasant abenteuerlich organisiert; hintergründig vollzieht sich die Wider­spiege­lung sozialer Wider­sprüche der Ent­stehungs­zeit als bril­lante Gesellschafts­satire: Kurios verfremdet enthüllen sich die heißen Debatten um Realismus oder Formalismus, um ästhetische Maßstäbe; die Kritik von Anna Seghers an Schein­pathetik, Sonn­tags­deutsch und Scholastik scheint durch sowie ethisch-ideelle Vorgänge, die in der Losung »Vom Ich zum Wir« zum Ausdruck kamen - also ein Kom­plex sozialer und geistiger Widerspruchs­verhältnisse, aus denen die Beziehung von Kunst und Arbeiter­klasse sym­ptomatisch herausragt.

Dennoch bindet Köhler weder Gehalt und Gestalt noch das Figuren­ensemble ausschließlich an aktuelle Konflikte; die Erzähler­perspektive öffnet den Blick weit für künftige Denk- und Lebens­weisen. Satirisches Erzähl­instrument sind primär die reflektierenden Tagebuch­aufzeich­nungen eines naiv-kindhaften Jünglings; sein Erstaunen über die Welt vertieft das Gelächter ebenso wie das Abenteuer mit dem Schlosser Kiplag und dem permanent spekulativen Kapitän Rebhuhn. Die komischen Verstrickungen und vertrackten Handlungen des Trios enthüllen zugleich die Dialektik rea­ler Bewegung.

Das vieldeutige Motiv der Schatz­suche führt die drei Helden in der ersten Parabel auf die »Glücksinsel«. Im Ge­gensatz zu R. L. Stevensons berühmten Helden aus »Trea­sure Island« von 1883, die zwischen Gut und Böse unter­scheiden und letzt­lich das Gold sittlich veredeln, erhalten Köhlers Figuren ihre dubiose Motivation aus dem Streben nach Erfolg. Der Autor führt die Schatz­legende als ein Kunst­märchen ein, in dessen Zentrum voller Witz und Iro­nie die Mär vom Schätze hortenden König Techtl Mechtl steht. In seinem Hintersinn enthält das Spiel mit Namen und Metaphern eine poetische Auseinandersetzung mit der Geschichte und dem Sinn des Habens. Das Tal, in dem der Schatz ruhen soll, ist glutrot angefüllt mit der Pflanze »Tod­leben«.

Mit epischer Plastizität und sinnreicher Sprach­gestaltung symbolisiert Köhler hier die Dialektik des Tragischen und Komischen, wenngleich die Sicht des überlegenen komi­schen Subjekts überwiegt. Die Figuren handeln klar diffe­renziert: Während dem Arbeiter Kiplag der Spaß am ge­schichts­trächtigen Kot der Schatzgrube bald vergeht, drän­gen Rebhuhns Geist und des Jungen romanti­sierender Dichter­blick auf den Anblick der gold­schimmernden Schätze. Kein Wortspiel erhält im Erzähl­vordergrund eine nur zufällige Bedeutung, jedes ist, dem Parabel­charakter entsprechend, Sinn­träger. Köhlers listiges Entfalten des Sa­tirischen ermöglicht erst die Antizipation, die humorvolle Sicht auf das Tun der drei: Alles war ein Alptraum; nur in diesem wurde der Sinn des Habens überwunden, der Erfolg blieb nebulös wie der Spezi, der die Taten beflügelte. Ge­wonnen wurden Neugier und Lebens­sinn.

Anders als Swift in »Gullivers Reisen ...« verwendet Köhler die Idee des phanta­stischen Ländchens in der zwei­ten Parabel nicht als Ausdruck bitteren, sarkastischen Ge­lächters über verkommene Gesellschaftszustände; dennoch erhält die messer­scharfe Satire auf die abstrusen Vorgänge im Staat der »Wiren« Bedeutung als »hoch­komische Farce« (Marx) ideeller und ästhetischer Konzepte. Die Sicht des naiven Ich-Erzählers erhöht das satirische Gelächter. Denn in das blitzsaubere Land gerät der arglose Junge just, als Rowdys eine schimmernde, wehrlose Schlange zu Tode martern. Zu seiner großen Über­raschung gelangt er ins Ge­fängnis, weil er einem von ihnen eine deftige Ohrfeige ver­abreicht hatte: Er verletzte das erhabene Bildungsprinzip des Staates.

Über Schlange und Täter entbrennt zwischen »Wiren« und wieder auftauchenden »Ihren« ein heftiger Streit. Köhler zeich­net bissig-entlarvende Bilder von der Ignoranz und Lebens­fremdheit der Schön­geister des Wir­landes; dozie­rend thront die Kurie des schönen Geistes über bewegten Vorgängen. Es entbehrt allerdings auch nicht der Komik, wenn der Arbeiter Kiplag für die lebendige Schön­heit aktiv wird: Von der Schönheit an sich verstehe er nichts, allen­falls von der von Frauen. Aber dem Lebendigen verbunden, setzt er den sagen­haften Mythos der Hydra zur Verteidi­gung ein. Köhlers Mythos­rezeption wird hier zum Sym­bol­träger für das kritische Bewußt­sein der Subjekte des La­chens. Ist die Schlange auch nur noch schwacher Abglanz einst mächtiger Ahnen, macht ihr Blut den Jungen doch noch sehend, erinnert sie an des Herkules tapferen, listen­reichen Kampf gegen die Lernäische Schlange und an ihre mächtige Gestalt in Legenden und Märchen.

Im Kontrast dazu fordert der dem Abstrakten zuge­wandte Reb­huhn die Ausrottung des Tiers - es müsse end­lich ein Zoon ästhetikum werden können! Hier führt Köhler die skurrilen Vorgänge zum Höhe­punkt satirischer Entlar­vung, denn die Rowdys geraten nun - in erneuter komi­scher Ver­kehrung - an den Pranger, und die Tradition kommt in Gang; monumentale Denkmäler und eine Sou­venir­flut charakterisieren eine neue Stufe ästhetischer An­eig­nung des einst lebendigen Reptils. In der Tradition der Aufklärung zeigt Köhler sich hier als welt­anschaulich inspirierter Satiriker, der lebens­ferne Konzepte verlacht, gleichzeitig aber die historisch bedingten Subjekt-Objekt-Verhältnisse durchscheinen läßt. Das poetische Gelächter richtet sich besonders gegen die Scholastik, die, wie Dide­rot schrieb, der »Geist« sei, »der Pläne aufstellt und Welt­sy­steme bildet, denen er dann die Erscheinungen wohl oder übel anzupassen versucht.« (vgl. Diderot, Philosophische Schriften, Bd. 1, S. 402) Köhlers Helden entfliehen letztlich dem Begriffs- und Ideen­schwulst. Logisch hieran schließt die Idee der »Draufsicht« in der dritten Parabel. Die drei See­leute besteigen einen Berg von unbekannter Größe. Das exakte Er­rechnen der unbe­kannten Höhe durch Reb­huhn ist Gleichnis für den komisch-mu­tigen Griff nach dem anscheinend Unmöglichen. In welch heroisch-komischer Weise die drei sich dem Gipfel nähern, unter Ver­wendung von Tricks und auch un­lauteren Mit­teln, erzählt Köhler in verkehrt-romantischen Sprach­bil­dern, die das erhabene Wagnis mitunter dem Lächer­lichen nähern: An der errechneten Höhe fehlen drei Meter, und - sie waren auch nicht die ersten auf dem Gipfel. Die Fülle der hinter­sinnigen Meta­phorik, die Symbolik des Sujets, die indirekten Anspie­lungen auf historische Abenteuer­literatur stecken voll satiri­scher Ent­hüllungen: Die besondere, individuelle Sicht der Ich-Reflexionen distan­ziert gleichzeitig die Helden humorvoll von den entlar­venden Vor­gängen: Sie waren schließ­lich die ersten See­leute auf dem Gipfel, so bleiben ihr Optimismus und ihr Griff nach dem Unbe­kannten als Tat unbestritten. Gleich­zeitig behandelt der Autor die Idee der Gipfel­besteigung einer Allegorie ähnlich, welche die Komple­xität der Erschei­nun­gen nicht wider­spiegeln kann; Subjekt und Objekt des La­chens durch­dringen sich komisch verschmitzt; der Traum vom künftig Mach­baren, die Dialektik von Wirklichkeit und Möglichkeit scheinen auf.

In der phantastischen Kunst­parabel kann Köhler den ko­mischen Konflikt von Wollen und Können, Schein und Sein voll ausspielen; dennoch erweist er sich selbst als par­tei­lich in die Dialektik des Komischen verstrickt; die Er­zählung ist »Objekti­vierung des Subjektiven im ideellen Repro­duzieren des Gesell­schaft­lichen und zugleich Stel­lung­nahme zu dessen Realität«. (W. Heise, Bild und Begriff, S.199)

Die vierte Parabel ist Höhepunkt und Resümee groß­arti­ger Komik. Nach laster­haften Abenteuern strebt Rebhuhns spekula­tiver Geist nur noch zum Land OHNE, nach Amö­bien, wo die Bewohner bei unver­muteter Berührung die Identität tauschen, was zu einem geradezu natur­not­wendi­gen demokratischen Staats­gefüge führt. Dieser groteske, der Science-fiction-Literatur nahe Einfall bringt entlar­vende Multi­perspektive ins Spiel und erhält dennoch die Tage­buch­perspektive des Ich-Erzählers. An Amöbiens Welt­theater, wohin der Junge geriet, führt ihn seine sich komisch wandelnde Identität vom Bühnen­bildner bis zur Rolle der weiblichen Leiterin des praktischen Büros.

Mittels dieser Erzähltechnik enthüllt der Autor um die Auf­führung des Stückes »Der große Laligei« einen ge­schwätzigen Theater­betrieb. Köhlers komische Verkehrung von Brechts Idee zu »Leben des Galilei« verschärft das Sati­rische ungemein, kulminiert den komischen Konflikt um das Problem der poetischen Wahr­heits­findung.

Anna Seghers schrieb 1961, Brechts Stück zeige »das Pro­blem eines Mannes, der, um sein Leben vor der Inquisition zu retten, auf wissen­schaftliche Wahr­heit verzichtet.« (vgl. über Kunst­werk und Wirklich­keit, Bd. 1, Berlin 1970, S.138) Genuß und Qualen des Galilei verwandeln sich in die öde Angepaßtheit der Laligei-Figur, die Amöbiens würfe­li­ges Welt­bild nur wieder repro­duziert. Erst ein Phantasie­streich des Jungen, nun Bühnen­bildner, bewirkt den entlar­venden Umbruch der Ereig­nisse: Anstatt des gewünschten Kubus entwirft er einen anstößigen »Kreiß«. Die Metapher selbst verweist auf Köhlers hintersinnig-komische »Faust«-Rezeption, sie symbolisiert den Schöpfungs­gedan­ken - wie schon die Licht-Metapher der ersten Parabel. In der grell-bunten Über­realität Amöbiens zeugt der »Kreiß« von der Wider­sprüchlich­keit des Entstehenden, das immer aus Beharrendem hervorgeht. Gerade diese gedankliche Evidenz erzeugt die humor­volle Antizipation und deren Utopie: Der Junge, WEIB geworden, gelangt endlich zur Vereini­gung mit dem im Theater­keller werkenden Bühnen­arbeiter Kiplag.

In LIEBE harmonieren nun die personifizierte POESIE und die ARBEIT. Diese hinter­gründige Verkehrung der Schlußsätze vom zweiten Teil des »Faust« vertieft den Blick für die gesell­schaft­liche Dimension der Utopie; denn zum Ewig­weib­lichen hinan­gezogen wird auch der Arbeiter Kip­lag. Humorvoll bringt die witzige Ver­wandlung von Goethes Himmels­königin in die weibliche Leiterin des prakti­schen Büros die neue Qualität dieser poetischen Utopie zu Bewußtsein - das Bild einer tief mit dem Alltag verbunde­nen und dort lebendigen Kunst.

»Entwickeln von power«, schrieb Marx in den »Grund­ris­sen der Kritik der Poli­tischen Ökonomie«, »von Fähig­kei­ten zur Produktion und daher sowohl der Fähig­keiten wie der Mittel des Genusses.« Köhler realisiert diesen geistigen Anspruch episch auch dadurch, daß seine Helden zwischen naiver und senti­menta­lischer Haltung hin und her schwan­ken. Die vorder­gründig dick aufge­tragenen Sprach­bilder der Parabeln sind wohl Mittel komischer Entlarvung, sie repräsentieren aber auch die Kreativität und Spiel­fähig­keit.

Charaktere in Satiren sind typisiert zugespitzte, hier hebt sie die Kind­haftig­keit immer wieder aus der Verlachung heraus. Ebenso aber symbolisiert die deftige, gewitzte Indi­vidualität der Charaktere die notwendige, alltägliche Inspi­ration für Kunst. Hierin erinnern die Parabeln an Köhlers weit­gefaßte Antike­rezeption, an die burlesk-grotesken anti­ken Komödien, zum Beispiel an die einge­bildete Rede des Wurst­händlers aus Aristophanes' »Rittern«:
»So sprach ich zu mir:
Auf, auf! Kobolde, Kniff und Pfiff,
Alfanz und Schrettel,
Butz und Muck und Schabernack,
Und Gasse, die du als Knabe mich erzogen hast,
Nun gilt es Stirn und wohlgeschmiertes Zungenspiel
Und freches Maulwerk.«

IV
Zum Grundtyp der Parabel gehören die folgenden Erzäh­lungen nicht. 1976 erschien »Der Krott oder Das Ding un­term Hut« im Hinstorff Verlag, episches Resultat eines Auf­enthalts Köhlers in einem Lausitzer Kraftwerk.

Über die Schwierigkeit künstlerischer Umsetzung des Unmittel­baren sprach Köhler mit Eva Kaufmann:
»Die Poe­sie braucht, glaube ich, eine größere über­setzungs­stufe. Die literarische Skizze ist ein dem Wirklich­keits­erlebnis angemessenes Genre, weil es sowohl Fiktion als auch Do­kumenta­risches und Didak­tisches und Kontempla­tives mi­schen kann, ohne dem großen Anspruch einer rein fiktiven Fabel genügen zu müssen.« (Nichts gegen Homer, Rostock 1986, S.7/72)

Die von Köhler als problematisch bezeichnete Rezeption von ver­frem­dender Reflexion dürfte heute eine andere Qualitätsstufe erreicht haben. Im Erschei­nungs­bild der DDR-Lite­ratur besitzt die Erzählung unverminderte poeti­sche und geistige Bedeutung, in seltener Origi­nalität wer­den hier Produktions­prozeß und -arbeiter in ihrer histori­schen Funktion episch sinnfällig und wird die wider­spruchs­volle Dialektik von Arbeit und Kunst im Sozialis­mus gestaltet.

Die innere, reflektierende Erzählperspektive ist die eines Kultur­funktionärs, dessen konflikt­reiches Wirken im Kraft­werk komisch-satirische Zuspitzungen erfährt. Der Held, ein emphatisch-philoso­phierender Charakter, besitzt von vorn­herein kritisches Bewußt­sein gegen­über seiner ku­riosen Existenz. Während ihn im Traum die paradie­sische Sehnsucht nach der Einheit von Mensch und Natur be­wegt, denkt er im praktischen Alltag sehnsuchts­voll an die Arbeiter, die wissen, »was der Tag verlangt«.

Der komische Konflikt erhält seine Verschär­fung aus Jor­dans Arbeits­gegen­ständen: tag­täglich schlägt er sich herum mit Sitzungen, ÖKULEI, BKV, der Vergabe von Auto­gut­scheinen und anderem mehr. Die Selbst­ironie geht vom Bewußt­sein aus, das fünfte Rad im Kraft­werk zu sein. Köhler macht die gesamte Konflikt- und Erzähl­struktur zum Instru­ment komischer Sinn­gebung. Der Konflikt des Helden entfaltet sich desto tiefer, je mehr der Autor kraft­voll poetische Bilder der gewaltigen Arbeits­land­schaft aus­breitet.

Die Mythosrezeption fungiert auch hier, über das vor­der­gründige Geschehen hinaus, als sinn­bildend. Übermäch­tig, schein­bar unbezwing­lich, wirken die Produktions­stät­ten aus Jordans Sicht, dieser arbeitende Riese verbindet ihn geistig tief mit dem Mythos Erde. So sind die Mono­loge über Sonne, Mond und Sterne wohl komisch, aber dem Ge­lächter gibt Köhler sie nicht preis. Denn im komischen Wider­spruch scheinen nicht nur die Dialektik des Tragischen und Komischen in der Geschichte der Arbeit auf, sondern auch Fort­schritts­gläubigkeit und über­fluß­produktion in all ihrer Problematik. In welch groteskem Gegen­satz steht hierzu die sinnlos bürokra­tische Verzette­lung des individu­ellen Vermögens des Kultur­obmanns!

So symbolisiert das Tauchen im Baggersee weit mehr als den Wider­spruch zwischen Mikro- und Makro­kosmos; mit der Metapher »Welten­grube« weitet Köhler es bis zum anti­ken Mythos aus, der das Weltende als Eingang in die dunkle, fruchtbare Welt des Pluto dachte. Pluto galt als Herrscher über die Reichtum spendende Erden­tiefe. Die Über­sensibi­lisierung des komischen Helden kommt vordergründig durch den Krott zustande, der ihn im Bagger­see anschei­nend befällt und womit Köhler einen sinn­trächtigen To­pos der Volks­dichtung einsetzt.

Besonders das Krott-Kapitel macht des Autors Affinität zur unheim­lich materiali­sierten Erzähl­weise E. A. Poes be­wußt. Durch über­höhte Exakt­heit der Beschreibung wirkt die Existenz des Krott irreversibel, gleich­sam schwebend; aber zugleich wird humor­voll Jordans Ausweg angedeutet: Nur ein sensibel geführter Hammerschlag könne den Krott besiegen - der kann nur real ausgeführt werden. So sati­risch disponiert, eilt der Held los, zertrümmert Sinnloses, versteckt seine unklare Identität in einer voluminösen Ar­beits­montur und läuft durch Produktions­hallen, in denen Arbeiter wie Zauberer mit ihrem mächtigen Arbeits­gegen­stand umgehen. Köhler entfaltet hier gewaltige Bilder der Arbeit, zum Beispiel das eines »von eisernen Schlangen ge­würgten Laokoon«, die Kessel­anlagen verweisen auf die »Anatomie der Drachen«, auf Plutos Reich, wo die »Erde zermahlen und verbrannt« wird.

Nicht nur vordergründig wird hier die entfrem­dete Di­stanz des Helden zu seinem Arbeits­gegen­stand analysiert; auch hinter­gründig zielt der Einsatz des Mythos auf verall­gemei­nerungs­fähige, noch existierende Entfrem­dungs­be­zie­hungen zwischen Arbeiter und Künstler, Produktion und Kunst. Hierzu gehört gleich­falls die satirisch zuge­spitzte Sprach­kritik an sinn­losen Sprach­würmern, Berichts­fetischis­mus und Wort­artistik. Im großartig komischen Gegen­satz zur inneren Hektik und Bered­samkeit Jordans steht die humor­voll ausge­gli­chene literarische Gestalt des Arbeiters Stärschie. Mit ihr erzeugt Köhler in köst­lichen Episoden voller Verschmitzt­heit die Heiter­keit des Spiels. Mal großspurig, mal listig die »führende Rolle« ausspielend, kontrastiert und antizipiert diese Figur Jordans Sehnsucht nach Identität. Satire in der Tradition Majakowskis klingt in der komisch durch­triebe­nen Arbeiter­gestalt auf, wenn sie sich listig und zugleich praktisch handelnd in den Situationen zurechtfindet. Star­schies Erschei­nungs­bild vermittelt Souveränität humorvoll, es macht ihn zum Subjekt des Lachens. Er respektiert den außer sich geratenen Jordan, weil er dessen Ansprüche be­greift.

Der sanfte Hammerschlag und Jordans »Befreiung« füh­ren zu umwerfender Situationskomik, deren Verkehrungen nicht nur die Sprach­kritik fortführen, sondern auch Satire und Humor zur bedeutungs­vollen Antizipation heraus­for­men: Jordan träumt nun spielerisch die Synthese von Ar­beit und Genuß, von praktischer und geistiger Schöpfung. Sein komisches Pathos führt zur lust­vollen Erkenntnis der individuellen und historischen Aufgabe.

V
Scheinbar gehört die Filmerzählung »Hartmut und Joana oder Geschenk für Kinder« von 1980 (Hinstorff Verlag) nicht zur Thematik Arbeit und Kunst. Wiederum gibt Köh­ler den Beweis für seine differen­zierende Satire­konzeption; die lachende Entlarvung vollzieht sich auch hier im Bezug auf einen ganzheitlich verstandenen Gesellschaftsprozeß des Sozialismus, aus der die historische Funktion der Arbeiter­klasse sich in Thematik und Sujet klar vermittelt. Satirisch überhöht erzählt Köhler den Konflikt zwischen dem Ethos eines Arbeiters und dem »normalen« Alltag der anderen Kunst­figuren, wobei die Dialektik des Besonderen und All­ge­meinen scharf konturiert wird.

Das ereignishafte Spiel steigert die sati­rische Zu­spitzung von Szene zu Szene, jedes Detail besitzt tiefe Bedeutung, aus jedem Bild erwächst ein neues bis zum Furioso des ebenso grotesken wie humorvollen Schlusses.

Die Idee des selbstlosen Arbeiters, der dreißig Jahre lang das Berg­auf­schütten für die Kinder einer trostlosen, flachen Industrie­land­schaft unternimmt, wird von Köhler nicht als Anlaufen des einzelnen gegen über­mächtige Ver­hältnisse interpretiert; er gestaltet die dem Geschehen inne­wohnen­den Tendenzen und Wider­sprüche als komisch durch­schaubar. Die poetischen Bilder der rutschenden, rodeln­den, fröhlich im Dreck spielenden Kinder wieder­holen das Ethos der Arbeiter­gestalt; das kindlich-naive Spiel prägt im Grunde auch diesen Arbeiter, es verweist auf die Utopie schöpfe­risch-humaner Lebens­ver­hältnisse der Zukunft und symbolisiert die historische Aufgabe der Arbeiter­klasse weit über die Gegenwart hinaus.

Im spartanischen Des­inter­esse am wachsenden Wohl­stand - der einstigen Liebsten Joana und der Kollegen - erinnert diese Arbeiter­figur an das Pathos des Berufs­revo­lutionärs; hier­durch gestaltet Köhler literarische Distanz. Anderer­seits markiert er scharf den Gegen­satz zum gedan­ken­losen Konsum der anderen Kunst­figuren. Denn der ent­stehende Berg wächst zum Kunst­werk heran, weil er ur­eigen­ster Beitrag des Arbeiters zum Ganzen ist.

Aus der Tiefe der ereignishaft komponierten Konflikt­struktur, die das Beharrende der Normalität schockierend entlarvt, entsteht ein rasant satirisches Spiel, in dem die Phantastik nicht sich selbst tragendes Element ist, sondern ein poetisches Mittel der Wahrheits­findung: Wagner stirbt unauffällig, als sein Berg über Nacht dem planmäßigen Bau einer Klär­anlage weichen muß. Er erscheint nun jenen als GEIST, die Uneinge­löstes zur Aufgabe haben.

Insofern faßt Köhler das Symbol des Berges nicht als Ge­gen­utopie auf; innerhalb des komischen Konflikts zwi­schen dem Arbeiter und seiner Gemein­schaft ist es ideell tragendes, auch episch retar­die­rendes Moment. Wenn schließlich mittels gewaltiger Technik und durch kurios entlarvende Leiter-Initiativen ein viel höherer, mit SCHNEE bedeckter Berg in der Ebene entsteht, treten diese perfekte Inszenierung und die lebens­lange originäre Tat des Arbeiters in ihrem Gegen­satz, doch auch in ihrer dialek­tischen Verknüpfung klar hervor. Einer­seits ist der WEISSE Berg auch Metapher neuer Wege schöpfe­rischer Arbeit; anderer­seits entlarvt ihn die bomba­stische Einwei­hungs­feier als Gleichnis für Anmaßung und Selbst­illusio­nen. Köhler inszeniert eine entlarvende Abschluß­szene: An­statt der aufge­reihten Kinder saust jauchzend der Stadt­bau­direktor Sebastian vom Gipfel seiner Kinder­sehn­sucht und auf einem Kinder­schlitten auf die surrenden Fernseh­kameras zu und stiehlt die Show. Mit dieser zugleich schönen Antizipation klingt das Werk des Transport­arbeiters wieder auf; über den satirischen Befund hinaus verweist sie auf die »Realität der Träume« (Max Beckmann), symbolisiert sie den Anspruch an künftig Notwendiges.

VI
Köhlers Satireverständnis hat eine große Bedeutung für die DDR-Lite­ratur. Seine Erzäh­lungen weisen ihn nicht nur als herausragenden Gestalter der Gesell­schafts­satire und Ver­fechter humanistischer Tradition aus; er ist vor allem auch ein eminent origineller Streiter für die Dialektik des Komischen, das lange Zeit in seiner Bedeu­tung für die sinn­lich-geistige Aneig­nung unserer Lebens­prozesse verkannt wurde.

»Das Komische«, schrieb Wolfgang Heise im Sonntag 31/1971, »ist überhaupt in der ganzen Breite seiner Beziehungs­möglich­keiten und Darstel­lungs­mittel eine Weise, gegen­über dem Gegenstand das Verhältnis des Änderns (aktions­fähigen Subjekts zum Objekt), der Überlegenheit, der Freiheit zu gewinnen.« Daß das Hervorbringen heiterer Souveränität - im Sinne der geschichts­philoso­phischen Be­stimmung der Heiter­keit durch Marx - zum Realismus der Handlungen und zu deren Antizipation führt, demonstrie­ren Köhlers Satiren plastisch.

So abstrus die komischen Verwicklungen auch erschei­nen mögen, ent­hüllen die poetischen Strukturen und deren ideelle Inspiration immer die Lust am »Entdecken der eige­nen Kraft« (vgl. W. Heise). Daher fungiert auch die Phanta­stik nicht nur als technisches Mittel der Verfrem­dung; Köhler gibt ihr den spiele­rischen Ausdruck der Mobilität und Kreativität schöpferischer Phantasie - keinesfalls ist sie der Ausdruck skurriler Kauzigkeit. In dieser Besonderheit gerät sie über das vordergründige Geschehen hinaus durchweg zum Sinnträger der Aktions­fähig­keit des poetischen Sub­jekts.

Alle hier behandelten epischen Strukturen werden von Köhlers besonderem Gegenstand geprägt: dem historischen Schicksal, den Daseins­bedingungen und Perspektiven der Arbeiter­klasse in unserer Epoche. Seit Jahr­zehn­ten wird diese Analyse poetisch beständig vorgenommen; aus den li­te­rarischen Werken tritt dem Leser das Bild neu entstehen­der Souveränität des Arbeiters im Sozialismus, inmitten realer und geistiger Wider­sprüche unserer Zeit, hervor.

Bis heute sind solch hinter­sinnig-komische Arbeiter­ge­stalten wie die Erich Köhlers, deren epische Ver­strickun­gen gleichnishaft die all­täg­lichen widerspiegeln, innerhalb der DDR-Litera­tur nicht häufig anzutreffen. Sie sind in all ihren Erschei­nungs­formen immer weit mehr als die reale, erfahr­bare Wirk­lich­keit.

Brecht sprach vom »Vergnügen« an der »Meisterungs­möglich­keit« des mensch­lichen Schick­sals - dies alles voll­zieht sich in hohem Maße beim sinnlich-geistigen Aneig­nen der komischen Kunst­gestalten Erich Köhlers.

aus:
»Positionen 4 - Wortmeldungen zur DDR-Literatur«
 
herausgegeben von Eberhard Günther und Hinnerk Einhorn

Mitteldeutscher Verlag Halle und Leipzig 1988