aus:
Positionen 4
Wortmeldungen zur DDR-Literatur
Mitteldeutscher Verlag Halle-Leipzig 1988
Zu einigen phantastischen
Satiren Erich Köhlers
von Waltraut Schröder
Seit etwa drei Jahrzehnten fesseln Köhlers Arbeiten durch den herausragenden Sinn für das Komische. Am Werk faszinieren das originelle Fabulieren, die kraftvolle, scharfsinnige Metaphorik und Symbolik der Bildsprache, das hintergründig-skurrile Spiel der Phantasie mit dem Phantastischen und die Klarheit der epischen Analyse. Das poetisch Komische erwächst aus realistischer Durchdringung des Widerspruchsvollen; erst hieraus entfaltet sich die literarische Antizipation.
Nekrolog
von Hinnerk Einhorn
für Waltraud Schröder,
Berlin Friedrichsfelde
In Reih und Glied hat man dich eingegraben
Nach Dienstrang, außen links im Ehrenfeld
Die Steingemeinde mußt du nun ertragen
Der Kampfgenossen, die kein Skrupel quält
Unschuldge Asche, einst belebt vom Schwärmen
Der bessren Welt - so rasch versteint
Wie sollte Eine solch ein Heer erwärmen
Das Feigheit, Kaderwelsch und Dünkel eint
Wie eine Skatpartie ging Land verloren
Wir sinnen über hingewehten Karten
Und sollen müßig auf die Tage warten
Da wir in Reih und Glied ins Feld geboren
aus:
Hinnerk Einhorn
Voyage au Paradis
Texte einer deutschen Wende
Gollenstein Verlag Merzig 2000
Es spricht für den heutigen Entwicklungsstand des Sozialismus, daß mehr und mehr das Komische in der Kunst Ausdruck erhält - auch in der theoretisch-kunstkritischen Reflexion. Daß dennoch sich widersprechende Positionen lebendig sind, zeigten symptomatisch die Debatten um Volker Brauns Hinze und Kunze und Günter de Bruyns »Neue Herrlichkeit«; sie entbehrten selbst nicht des Komischen. Wie auch andere Werke der Kunst markieren beide Bücher Anzeichen einer neuen Qualität des komisch-souveränen Umgangs mit den selbst erzeugten Lebensbedingungen.
Nicht zufällig stieß Erich Köhler mit der Mehrzahl seiner Manuskripte auf Unverständnis. Der in der Kunstgestalt seiner Werke nahezu universelle Gebrauch des Komischen ist wohl Ausdruck von dessen Widersprüchlichkeit und demokratisierender Funktion, konnte aber in den ideologisch-ästhetischen Debatten, die bis in die siebziger Jahre hinein stattfanden, nicht voll erschlossen werden. Den damaligen Umgang mit dieser ästhetischen Kategorie drückt meines Erachtens M. Kagan in seinen »Vorlesungen zur marxistisch-leninistischen Ästhetik« aus, wenn er schreibt: »Das ästhetische Wesen des Komischen besteht ... in einem ... Konflikt des Realen mit dem Idealen, in dem das Reale von den Postionen des Ideals aus negiert, bloßgestellt, verurteilt, entlarvt, abgelehnt oder kritisiert wird.« (Berlin 1974, 5.199) Durch die geschichtsphilosophische Entleerung der Kategorie blieb Kagan hinter Hegel und Marx zurück, vor allem weil er die Subjekt-Objekt-Dialektik des Komischen ignorierte und die Wirklichkeit dem bloßen Verwurf preisgab. 1975 bemerkte Wolfgang Heise in »Bild und Begriff«: »... tragisch und komisch, schön und häßlich sind deshalb Bestimmungen ästhetischer Aneignung, in denen die Individuen und Klassen sich selbst in ihrem Verhältnis zum jeweiligen Gegenstand erkennen.« (S.236)
Erich Köhlers realistische Komik ist Widerschein sozialistischer Entwicklung. Sein Werk
integriert originell weltliterarische Traditionen und ist, gleich dem Majakowskis, der
Arbeiterklasse in besonderem Maße ideell-künstlerisch verbunden. Marx bezeichnete 1851
die Maskierungen der Anfangsphase der Französischen Revolution als notwendig, um die
»gegebene Aufgabe in der Phantasie zu übertreiben«. (MEW, Bd. 8, S. 116) Auch Lenin
forderte den universellen Einsatz der Phantasie im sozialen Umgestaltungsprozeß.
Brechts Konzept und Technik der Verfremdung scheint eine innere gedankliche Beziehung
hierzu zu haben. Sowohl die didaktische Konzeption des epischen Theaters als auch das
besondere Hervortreten, Herausheben im verfremdenden Spiel nutzen innerhalb der
künstlerischen Methode die phantasievolle Übertreibung. In den Vorgängen, schrieb er, sei
das Verhalten der Personen »nicht ein schlechthin menschliches, unwandelbares, es hat
bestimmte Besonderheiten, es hat durch den Gang der Geschichte Überholtes und Überholbares
und ist der Kritik vom Standpunkt der jeweilig darauf folgenden Epoche unterworfen.«
(Kurze Beschreibung einer neuen Technik der Schauspielkunst, in: Versuche, H. 11)
Augenfällig stellt sich hier eine geistige Synthese der Verfremdung mit dem Komischen
her - als besondere Art und Weise der Widerspiegelung des
Widersprüchlichen; in der komischen Verfremdung erfährt das Subjekt die eigene Souveränität
gegenüber dem Objekt des Lachens. - Köhlers Arbeiten zeigen in ihrer Mehrzahl das
Phantastische als verfremdende Spielform des Komischen.
Wie Wolfgang Heise am Beispiel Brechts hervorhob, faßt der dem Sozialismus verbundene Künstler das komische Verhältnis als demokratische Einmischung und als ein Erhellen der Widerspruchselemente auf. Jedoch kann der progressive Epochenprozeß in seiner Gesamtheit nicht verlacht werden. So sieht Köhler in der Marxschen Metapher des heiteren Abschiednehmens von der Vergangenheit kein ästhetisches Muster zur Bewertung der eigenen sozialen Lebensverhältnisse. Geht es doch bei den vielfältigen Spielformen des Komischen nicht nur um die Dialektik der bewegten Realgeschichte, sondern um die künstlerische Wahrheitsfindung - als Lachen über uns selbst.
Unter diesem konzeptionellen Gesichtspunkt tritt in Köhlers Satiren ein Charakteristikum hervor: die beißende Satire geht eine ideell-sinnliche Synthese mit dem Humor ein. Dieser fungiert nicht, wie bei Hegel, in verkittender Funktion, als versöhnliches Lächeln; Humor ist hier objektiver und subjektiver künstlerischer Ausdruck der geschichtsphilosophischen Position und poetischen Antizipation, welche Köhler bis zur Utopie führt. Ohne die Satire aufzuheben, tangiert die komische Wertung gerade durch diese Synthese das Schöne und deckt die innere Dialektik des Komischen und Schönen auf. Thematisch widerspiegelt sich Köhlers Haltung - besonders in den phantastischen Satiren - in der Gestaltung der noch widerspruchsvollen Beziehung von Künstler, Kunst und Arbeiterklasse. Dieses Problem steht im Zentrum seiner Überlegungen zu den Perspektiven der Literatur. In der Formierung der modernen Massenkommunikationsmittel sieht Köhler neue Herausforderungen an den Schriftsteller. Ganz in diesem Sinne widersetzt er sich mittels scharfsinnig komponierter komischer Konflikte ideeller und ästhetischer Bequemlichkeit, zielt er auf wachsende Kreativität und Souveränität des Arbeiters unter gegenwärtigen Bedingungen, auf die Bewältigung des noch nicht Bewältigten.
II
Köhlers Satire ist tiefsinnig gedankenreich; ihre Gegenstände werden nicht willkürlich
gewählt; der komische Konflikt zwischen Schein und Sein, Wollen und Können wird nicht
moralisierend behandelt, sondern gründet sich auf dialektische Widerspruchsstrukturen,
ohne jemals in platte Abbildung zu verfallen; mittels phantastischer Verfremdung vermag
der Autor genauer und unbefangener in Widersprüche einzudringen. Der Genuß am komisch
streitbaren OEuvre dieses Erzählers vereint sich mit lustvoller Aneignung von
Sinnzusammenhängen, von Schlüsselbildern unserer Zeit.
Erst 1979 erschien die phantastische Erzählung »Reise um die Erde in acht Tagen« im Verlag Neues Leben; Humorlosigkeit hatte sie über ein Jahrzehnt in Schubfächer verbannt. Die Originalität des epischen Einfalls wird von Heiterkeit im Marxschen Sinne geprägt: Kurz vor der Gesellenprüfung verschwindet der Schusterlehrling Gerhard Fiebig, in einer Kleinstadt ansässig, spurlos aus dem Wohnheim. Als er erneut auftaucht, will er die Gründe des Verschwindens nur dem gesamten Kollektiv nennen. Den gespannt Versammelten tischt er eine imaginäre Reise um die Erde auf, für die leitmotivisch ein hintergründiges Gleichnis gilt: Ein Goldkäfer entkommt pfiffig durch die Maschen der Gardine des Marktcafes. Köhler zeichnet das Bild eines gewitzten, phantasiereichen Jungen, der, wohlbehütet während der Ausbildung, für seine überquellende Phantasie Bewährungsräume und Selbsttätigkeit sucht. Zum Subjekt des Lachens gerät er, weil er im Widerspruch zwischen Sein und Schein, Wollen und Können über sich selbst hinauswächst und ungeahnte Fähigkeiten entfaltet. Köhlers Adaption der Idee von Jules Vernes berühmter Erzählung »Reise um die Erde in achtzig Tagen« macht die abstruse Größe und Bombastik des Erdachten besonders auffällig. Zugleich zeigt sich der Lehrling als Subjekt und Objekt des Lachens. Er stellt sich als Erfinder des »Fiebigschen Trompeteneffekts« dar, dessentwegen er nach dem Staate EMERICI eingeladen worden sei. Das rasante Abenteuer gen Osten, über die Sowjetunion, China, Japan und eine Kino-Traum-Insel, offenbart, daß hier nicht Jules Verne allein Pate des Phantastischen ist; Science-fiction, Western, Comics, Krimis, E. A.Poe und eine bunte Medienwelt machen das Konglomerat poetischer Phantasie zum abgründigen Gegenstand der Verlachung.
Andererseits betätigt ein Arbeiterjunge seine schöpferische Fabulierfreude. In vielschichtiger Situationskomik, in verschmitzt satirischen Einfällen offenbart sich seine Urteilsfähigkeit als Souveränität. So wandelt sich das verlachbare Spiel zum Symbol der Kraft der Phantasie, des Erzählens. Die Schalkgestalt des Jungen verführt zum Hören und Mitlachen; an drei langen Abenden folgen die Zuhörer lustvoll hingerissen dem buntschillernden Bilderstrom. Sie, die auf Selbstkritik und Bekenntnisse aus waren, geraten in den zauberischen Bann der vieldeutigen Wortspiele und kuriosen Erfindungen. Insofern fungiert die objektiv komische Imagination innerhalb der gesamten Erzählstruktur auch als Antizipation des Verhältnisses von Literatur und Massenkommunikation.
Vor allem die literarische Figur demonstriert in den gewitzten Eulenspiegeleien eine souveräne Realitätsbewertung. Die Schulungsstunden tragen reiche Früchte, wenn sich der Schusterjunge listig, gleich Phileas Fogg, zum Kämpfer für Gerechtigkeit und zum Superman des Klassenkampfes aufschwingt. Ein dubioser Reisegefährte erscheint, ähnlich den Comic-Typisierungen, mal als imperialistischer Agent, als Betrüger oder Kumpel und schließlich als Wissenschaftler aus dem ominösen EMERICI, wo er sich noch zum Mitstreiter von Bergarbeitern verwandelt. Gleichzeitig ergreifen die großen Gesten Fiebigs epochale Themen wie Faschismus und Atomkrieg, Friedensgefährdung und Entspannungspolitik. Die listige Reverenz ans Gelernte tritt innerhalb der Erzählstruktur und des epischen Geschehens immer wieder als Anspruch hervor, sich mittels der Phantasie in der sichtbaren und unsichtbaren Wirklichkeit Erfahrens- und Erlebensräume herstellen zu wollen.
Keineswegs gestaltet Köhler die kurios-fiktiven Ereignisse als durch Sciene-fiction drapierte Weltsehnsucht oder als vordergründiges Herausspringen aus dem Alltagskorsett. Gerade die Dialektik von Schein und Sein enthüllt den Schein nicht als bloße Selbstillusion, sondern als Antizipation, die das utopische Moment der freien Individualität in sich birgt.
Aus diesem Grunde trifft die Satire in schneidender Schärfe jene Surrogate der Unterhaltung, in denen die Epochenkämpfe zum hirnlosen Spielball von Produzenten und Rezipienten geraten. Bewußt kritisch organisiert der Autor die Verlachung an Hand monströs aufgebauschter Sprachbilder und Sujets aus der Kolportage. Daß er sich gleichzeitig in erheiterndster Weise darüber lustig macht, erhöht den ästhetischen Genuß: Die Flucht der fiktiven Helden aus EMERICI glückt hauptsächlich durch den Einsatz von Fiebigs Schusterdraht; in letzter Sekunde will der Lehrling aus Professor PENGS Rakete abgesprungen sein, geradewegs an einen FKK-Strand der Ostsee.
Dieses mit Augenzwinkern inszenierte, phantastische Spiel bringt offensichtlich des Autors komisch verkehrte Rezeption von E. T. A. Hoffmanns phantastischen Satiren zur Anschauung. Im »Meister Floh« erwächst die humane Antizipation aus Unversöhnlichkeit zur Realität. Die Poesie muß, innerlich notwendig, der merkantilisch verkrusteten, gewalttätigen Welt entfliehen; nur in ihrem Reich kann sich das eigentlich menschliche, das geistig-poetische Spiel erfüllen. Hierin zeigt sich Hoffmann als romantischer Dichter, dessen Realismus aus der Negation hervorgeht. Auch Köhlers Held Fiebig entflieht unbefriedigendem Dasein, aber im Gegensatz zu den poetischen Gestalten des »Meister Floh« wird ihm das phantastische Erleben individueller Bewährungsraum für das reale. Es ist der Anspruch eines jungen Arbeiters von hier und heute auf die Erweiterung seiner Aktionsebenen und seines Lebenshorizonts. Insofern bringt die verfremdend-phantastische Gestalt des Imaginären auch Entfremdung von potentieller Kreativität und Subjektivität zu Bewußtsein. Der kuriose Griff des Lehrlings nach dem Erdenschicksal symbolisiert die Einmischung in Großes und Kleines, Nahes und Entferntes. Obwohl die literarische Figur selbst im Konflikt von Sein und Schein agiert, wird dieser zugleich listig gehandhabt. Köhler gestaltete den Widerspruch zwischen Einbildungskraft und epischer Realität einerseits als notwendig, andererseits als aufhebbar in der humorvollen Antizipation, wobei die provinzielle Existenz des Helden ein retardierendes Moment ist.
Hier könnte eine gewisse Beziehung zu Wilhelm Raabes kauzig-verschrobenem Kleinstadthelden Leonhard Hagebucher bestehen. Dieser agiert in seinen engen Verhältnissen mittels Spottlust und Humor; als hintergründiger Komiker hält er der in Konventionen erstarrten Gesellschaft den Spiegel vors Gesicht. ähnlich wie Fiebig erzählt er von dubiosen Abenteuern im Tumurkielande bei Madam Kulla Gulla. Seine besondere Identität erreicht er nur dadurch. Dagegen entfaltet Fiebigs Charakter sich im pfiffigen Agieren zwischen Widersprüchen, so wird er zur Schalkfigur. Indem Köhler der Hauptgestalt eine kraftvolle Individualität verleiht, kann das befreiende Lachen das Schöne tangieren - Antizipation des aktionsreichen Daseins eines jungen Arbeiters, die ins Allgemeine verweist.
Notwendig entsteht ein offener Schluß. Er hebt den satirischen Befund nicht auf, bindet ihn aber humorvoll ein in das vieldeutige, leitmotivische Scherzo des Endes: Fiebig findet in einem Stück Meisendreck die noch schimmernden überreste seines Golfkäfers; »Gold geht unverdaut durch derbe Mägen«, verkündet er hintersinnig, woraus sich epische Unendlichkeit des Konfliktstoffes komisch vermittelt.
Die präzise Skizzierung des kleinen Figurenensembles der Rahmenhandlung vertieft die Gesellschaftssatire durch treffenden Bezug auf die Kunstdebatten der sechziger Jahre. Zwei Lehrer streiten sich um das »Ausgedachte«. Während der erste den Erfindungen der Phantasie Wahrheit bestätigt, verlangt der zweite die Wahrheit des Faktischen; man sollte ihm EMERICI auf der Landkarte nachweisen!
Sowohl die besondere Kunstgestalt der Erzählung als auch die des komischen Helden widerspiegeln des Autors poetisches Konzept: vereinigen sich hier doch Arbeiter und Poet zu einer geschichtlich neuen Synthese von Arbeit und Kunst, in der die Utopie klar aufscheint.
III
Wirklichkeitsbesessenheit und poetische Phantasie paaren sich auch in den »Kiplag-Geschichten«
zu seltener Originalität. 1964 geschrieben, wurden auch sie erst 1980 (Verlag Neues Leben)
veröffentlicht. Bereits am Beginn der sechziger Jahre war Köhlers Werk Ausdruck zielstrebigen
Engagements gegen eine verflachende vulgärmaterialistische Wirklichkeitsrezeption. Heute
gilt die phantastische Gestaltung als anerkannte realistische Schreibweise.
Die vier Parabeln enthalten phantastische Erzählstrukturen, deren satirisch-komische Verfremdung scharfe und lustvolle Detailtreue auszeichnet. Vordergründig ist das überreale, abstruse epische Geschehen rasant abenteuerlich organisiert; hintergründig vollzieht sich die Widerspiegelung sozialer Widersprüche der Entstehungszeit als brillante Gesellschaftssatire: Kurios verfremdet enthüllen sich die heißen Debatten um Realismus oder Formalismus, um ästhetische Maßstäbe; die Kritik von Anna Seghers an Scheinpathetik, Sonntagsdeutsch und Scholastik scheint durch sowie ethisch-ideelle Vorgänge, die in der Losung »Vom Ich zum Wir« zum Ausdruck kamen - also ein Komplex sozialer und geistiger Widerspruchsverhältnisse, aus denen die Beziehung von Kunst und Arbeiterklasse symptomatisch herausragt.
Dennoch bindet Köhler weder Gehalt und Gestalt noch das Figurenensemble ausschließlich an aktuelle Konflikte; die Erzählerperspektive öffnet den Blick weit für künftige Denk- und Lebensweisen. Satirisches Erzählinstrument sind primär die reflektierenden Tagebuchaufzeichnungen eines naiv-kindhaften Jünglings; sein Erstaunen über die Welt vertieft das Gelächter ebenso wie das Abenteuer mit dem Schlosser Kiplag und dem permanent spekulativen Kapitän Rebhuhn. Die komischen Verstrickungen und vertrackten Handlungen des Trios enthüllen zugleich die Dialektik realer Bewegung.
Das vieldeutige Motiv der Schatzsuche führt die drei Helden in der ersten Parabel auf die »Glücksinsel«. Im Gegensatz zu R. L. Stevensons berühmten Helden aus »Treasure Island« von 1883, die zwischen Gut und Böse unterscheiden und letztlich das Gold sittlich veredeln, erhalten Köhlers Figuren ihre dubiose Motivation aus dem Streben nach Erfolg. Der Autor führt die Schatzlegende als ein Kunstmärchen ein, in dessen Zentrum voller Witz und Ironie die Mär vom Schätze hortenden König Techtl Mechtl steht. In seinem Hintersinn enthält das Spiel mit Namen und Metaphern eine poetische Auseinandersetzung mit der Geschichte und dem Sinn des Habens. Das Tal, in dem der Schatz ruhen soll, ist glutrot angefüllt mit der Pflanze »Todleben«.
Mit epischer Plastizität und sinnreicher Sprachgestaltung symbolisiert Köhler hier die Dialektik des Tragischen und Komischen, wenngleich die Sicht des überlegenen komischen Subjekts überwiegt. Die Figuren handeln klar differenziert: Während dem Arbeiter Kiplag der Spaß am geschichtsträchtigen Kot der Schatzgrube bald vergeht, drängen Rebhuhns Geist und des Jungen romantisierender Dichterblick auf den Anblick der goldschimmernden Schätze. Kein Wortspiel erhält im Erzählvordergrund eine nur zufällige Bedeutung, jedes ist, dem Parabelcharakter entsprechend, Sinnträger. Köhlers listiges Entfalten des Satirischen ermöglicht erst die Antizipation, die humorvolle Sicht auf das Tun der drei: Alles war ein Alptraum; nur in diesem wurde der Sinn des Habens überwunden, der Erfolg blieb nebulös wie der Spezi, der die Taten beflügelte. Gewonnen wurden Neugier und Lebenssinn.
Anders als Swift in »Gullivers Reisen ...« verwendet Köhler die Idee des phantastischen Ländchens in der zweiten Parabel nicht als Ausdruck bitteren, sarkastischen Gelächters über verkommene Gesellschaftszustände; dennoch erhält die messerscharfe Satire auf die abstrusen Vorgänge im Staat der »Wiren« Bedeutung als »hochkomische Farce« (Marx) ideeller und ästhetischer Konzepte. Die Sicht des naiven Ich-Erzählers erhöht das satirische Gelächter. Denn in das blitzsaubere Land gerät der arglose Junge just, als Rowdys eine schimmernde, wehrlose Schlange zu Tode martern. Zu seiner großen Überraschung gelangt er ins Gefängnis, weil er einem von ihnen eine deftige Ohrfeige verabreicht hatte: Er verletzte das erhabene Bildungsprinzip des Staates.
Über Schlange und Täter entbrennt zwischen »Wiren« und wieder auftauchenden »Ihren« ein heftiger Streit. Köhler zeichnet bissig-entlarvende Bilder von der Ignoranz und Lebensfremdheit der Schöngeister des Wirlandes; dozierend thront die Kurie des schönen Geistes über bewegten Vorgängen. Es entbehrt allerdings auch nicht der Komik, wenn der Arbeiter Kiplag für die lebendige Schönheit aktiv wird: Von der Schönheit an sich verstehe er nichts, allenfalls von der von Frauen. Aber dem Lebendigen verbunden, setzt er den sagenhaften Mythos der Hydra zur Verteidigung ein. Köhlers Mythosrezeption wird hier zum Symbolträger für das kritische Bewußtsein der Subjekte des Lachens. Ist die Schlange auch nur noch schwacher Abglanz einst mächtiger Ahnen, macht ihr Blut den Jungen doch noch sehend, erinnert sie an des Herkules tapferen, listenreichen Kampf gegen die Lernäische Schlange und an ihre mächtige Gestalt in Legenden und Märchen.
Im Kontrast dazu fordert der dem Abstrakten zugewandte Rebhuhn die Ausrottung des Tiers - es müsse endlich ein Zoon ästhetikum werden können! Hier führt Köhler die skurrilen Vorgänge zum Höhepunkt satirischer Entlarvung, denn die Rowdys geraten nun - in erneuter komischer Verkehrung - an den Pranger, und die Tradition kommt in Gang; monumentale Denkmäler und eine Souvenirflut charakterisieren eine neue Stufe ästhetischer Aneignung des einst lebendigen Reptils. In der Tradition der Aufklärung zeigt Köhler sich hier als weltanschaulich inspirierter Satiriker, der lebensferne Konzepte verlacht, gleichzeitig aber die historisch bedingten Subjekt-Objekt-Verhältnisse durchscheinen läßt. Das poetische Gelächter richtet sich besonders gegen die Scholastik, die, wie Diderot schrieb, der »Geist« sei, »der Pläne aufstellt und Weltsysteme bildet, denen er dann die Erscheinungen wohl oder übel anzupassen versucht.« (vgl. Diderot, Philosophische Schriften, Bd. 1, S. 402) Köhlers Helden entfliehen letztlich dem Begriffs- und Ideenschwulst. Logisch hieran schließt die Idee der »Draufsicht« in der dritten Parabel. Die drei Seeleute besteigen einen Berg von unbekannter Größe. Das exakte Errechnen der unbekannten Höhe durch Rebhuhn ist Gleichnis für den komisch-mutigen Griff nach dem anscheinend Unmöglichen. In welch heroisch-komischer Weise die drei sich dem Gipfel nähern, unter Verwendung von Tricks und auch unlauteren Mitteln, erzählt Köhler in verkehrt-romantischen Sprachbildern, die das erhabene Wagnis mitunter dem Lächerlichen nähern: An der errechneten Höhe fehlen drei Meter, und - sie waren auch nicht die ersten auf dem Gipfel. Die Fülle der hintersinnigen Metaphorik, die Symbolik des Sujets, die indirekten Anspielungen auf historische Abenteuerliteratur stecken voll satirischer Enthüllungen: Die besondere, individuelle Sicht der Ich-Reflexionen distanziert gleichzeitig die Helden humorvoll von den entlarvenden Vorgängen: Sie waren schließlich die ersten Seeleute auf dem Gipfel, so bleiben ihr Optimismus und ihr Griff nach dem Unbekannten als Tat unbestritten. Gleichzeitig behandelt der Autor die Idee der Gipfelbesteigung einer Allegorie ähnlich, welche die Komplexität der Erscheinungen nicht widerspiegeln kann; Subjekt und Objekt des Lachens durchdringen sich komisch verschmitzt; der Traum vom künftig Machbaren, die Dialektik von Wirklichkeit und Möglichkeit scheinen auf.
In der phantastischen Kunstparabel kann Köhler den komischen Konflikt von Wollen und Können, Schein und Sein voll ausspielen; dennoch erweist er sich selbst als parteilich in die Dialektik des Komischen verstrickt; die Erzählung ist »Objektivierung des Subjektiven im ideellen Reproduzieren des Gesellschaftlichen und zugleich Stellungnahme zu dessen Realität«. (W. Heise, Bild und Begriff, S.199)
Die vierte Parabel ist Höhepunkt und Resümee großartiger Komik. Nach lasterhaften Abenteuern strebt Rebhuhns spekulativer Geist nur noch zum Land OHNE, nach Amöbien, wo die Bewohner bei unvermuteter Berührung die Identität tauschen, was zu einem geradezu naturnotwendigen demokratischen Staatsgefüge führt. Dieser groteske, der Science-fiction-Literatur nahe Einfall bringt entlarvende Multiperspektive ins Spiel und erhält dennoch die Tagebuchperspektive des Ich-Erzählers. An Amöbiens Welttheater, wohin der Junge geriet, führt ihn seine sich komisch wandelnde Identität vom Bühnenbildner bis zur Rolle der weiblichen Leiterin des praktischen Büros.
Mittels dieser Erzähltechnik enthüllt der Autor um die Aufführung des Stückes »Der große Laligei« einen geschwätzigen Theaterbetrieb. Köhlers komische Verkehrung von Brechts Idee zu »Leben des Galilei« verschärft das Satirische ungemein, kulminiert den komischen Konflikt um das Problem der poetischen Wahrheitsfindung.
Anna Seghers schrieb 1961, Brechts Stück zeige »das Problem eines Mannes, der, um sein Leben vor der Inquisition zu retten, auf wissenschaftliche Wahrheit verzichtet.« (vgl. über Kunstwerk und Wirklichkeit, Bd. 1, Berlin 1970, S.138) Genuß und Qualen des Galilei verwandeln sich in die öde Angepaßtheit der Laligei-Figur, die Amöbiens würfeliges Weltbild nur wieder reproduziert. Erst ein Phantasiestreich des Jungen, nun Bühnenbildner, bewirkt den entlarvenden Umbruch der Ereignisse: Anstatt des gewünschten Kubus entwirft er einen anstößigen »Kreiß«. Die Metapher selbst verweist auf Köhlers hintersinnig-komische »Faust«-Rezeption, sie symbolisiert den Schöpfungsgedanken - wie schon die Licht-Metapher der ersten Parabel. In der grell-bunten Überrealität Amöbiens zeugt der »Kreiß« von der Widersprüchlichkeit des Entstehenden, das immer aus Beharrendem hervorgeht. Gerade diese gedankliche Evidenz erzeugt die humorvolle Antizipation und deren Utopie: Der Junge, WEIB geworden, gelangt endlich zur Vereinigung mit dem im Theaterkeller werkenden Bühnenarbeiter Kiplag.
In LIEBE harmonieren nun die personifizierte POESIE und die ARBEIT. Diese hintergründige Verkehrung der Schlußsätze vom zweiten Teil des »Faust« vertieft den Blick für die gesellschaftliche Dimension der Utopie; denn zum Ewigweiblichen hinangezogen wird auch der Arbeiter Kiplag. Humorvoll bringt die witzige Verwandlung von Goethes Himmelskönigin in die weibliche Leiterin des praktischen Büros die neue Qualität dieser poetischen Utopie zu Bewußtsein - das Bild einer tief mit dem Alltag verbundenen und dort lebendigen Kunst.
»Entwickeln von power«, schrieb Marx in den »Grundrissen der Kritik der Politischen Ökonomie«, »von Fähigkeiten zur Produktion und daher sowohl der Fähigkeiten wie der Mittel des Genusses.« Köhler realisiert diesen geistigen Anspruch episch auch dadurch, daß seine Helden zwischen naiver und sentimentalischer Haltung hin und her schwanken. Die vordergründig dick aufgetragenen Sprachbilder der Parabeln sind wohl Mittel komischer Entlarvung, sie repräsentieren aber auch die Kreativität und Spielfähigkeit.
Charaktere in Satiren sind typisiert zugespitzte, hier hebt sie die Kindhaftigkeit immer
wieder aus der Verlachung heraus. Ebenso aber symbolisiert die deftige, gewitzte Individualität
der Charaktere die notwendige, alltägliche Inspiration für Kunst. Hierin
erinnern die Parabeln an Köhlers weitgefaßte Antikerezeption, an die burlesk-grotesken
antiken Komödien, zum Beispiel an die eingebildete Rede des Wursthändlers aus Aristophanes'
»Rittern«:
»So sprach ich zu mir:
Auf, auf! Kobolde, Kniff und Pfiff,
Alfanz und Schrettel,
Butz und Muck und Schabernack,
Und Gasse, die du als Knabe mich erzogen hast,
Nun gilt es Stirn und wohlgeschmiertes Zungenspiel
Und freches Maulwerk.«
IV
Zum Grundtyp der Parabel gehören die folgenden Erzählungen nicht. 1976 erschien »Der Krott
oder Das Ding unterm Hut« im Hinstorff Verlag, episches Resultat eines Aufenthalts Köhlers
in einem Lausitzer Kraftwerk.
Über die Schwierigkeit künstlerischer Umsetzung des Unmittelbaren sprach Köhler mit Eva
Kaufmann:
»Die Poesie braucht, glaube ich, eine größere übersetzungsstufe. Die literarische
Skizze ist ein dem Wirklichkeitserlebnis angemessenes Genre, weil es sowohl Fiktion als
auch Dokumentarisches und Didaktisches und Kontemplatives mischen kann, ohne dem großen
Anspruch einer rein fiktiven Fabel genügen zu müssen.« (Nichts gegen Homer, Rostock 1986,
S.7/72)
Die von Köhler als problematisch bezeichnete Rezeption von verfremdender Reflexion dürfte heute eine andere Qualitätsstufe erreicht haben. Im Erscheinungsbild der DDR-Literatur besitzt die Erzählung unverminderte poetische und geistige Bedeutung, in seltener Originalität werden hier Produktionsprozeß und -arbeiter in ihrer historischen Funktion episch sinnfällig und wird die widerspruchsvolle Dialektik von Arbeit und Kunst im Sozialismus gestaltet.
Die innere, reflektierende Erzählperspektive ist die eines Kulturfunktionärs, dessen konfliktreiches Wirken im Kraftwerk komisch-satirische Zuspitzungen erfährt. Der Held, ein emphatisch-philosophierender Charakter, besitzt von vornherein kritisches Bewußtsein gegenüber seiner kuriosen Existenz. Während ihn im Traum die paradiesische Sehnsucht nach der Einheit von Mensch und Natur bewegt, denkt er im praktischen Alltag sehnsuchtsvoll an die Arbeiter, die wissen, »was der Tag verlangt«.
Der komische Konflikt erhält seine Verschärfung aus Jordans Arbeitsgegenständen: tagtäglich schlägt er sich herum mit Sitzungen, ÖKULEI, BKV, der Vergabe von Autogutscheinen und anderem mehr. Die Selbstironie geht vom Bewußtsein aus, das fünfte Rad im Kraftwerk zu sein. Köhler macht die gesamte Konflikt- und Erzählstruktur zum Instrument komischer Sinngebung. Der Konflikt des Helden entfaltet sich desto tiefer, je mehr der Autor kraftvoll poetische Bilder der gewaltigen Arbeitslandschaft ausbreitet.
Die Mythosrezeption fungiert auch hier, über das vordergründige Geschehen hinaus, als sinnbildend. Übermächtig, scheinbar unbezwinglich, wirken die Produktionsstätten aus Jordans Sicht, dieser arbeitende Riese verbindet ihn geistig tief mit dem Mythos Erde. So sind die Monologe über Sonne, Mond und Sterne wohl komisch, aber dem Gelächter gibt Köhler sie nicht preis. Denn im komischen Widerspruch scheinen nicht nur die Dialektik des Tragischen und Komischen in der Geschichte der Arbeit auf, sondern auch Fortschrittsgläubigkeit und überflußproduktion in all ihrer Problematik. In welch groteskem Gegensatz steht hierzu die sinnlos bürokratische Verzettelung des individuellen Vermögens des Kulturobmanns!
So symbolisiert das Tauchen im Baggersee weit mehr als den Widerspruch zwischen Mikro- und Makrokosmos; mit der Metapher »Weltengrube« weitet Köhler es bis zum antiken Mythos aus, der das Weltende als Eingang in die dunkle, fruchtbare Welt des Pluto dachte. Pluto galt als Herrscher über die Reichtum spendende Erdentiefe. Die Übersensibilisierung des komischen Helden kommt vordergründig durch den Krott zustande, der ihn im Baggersee anscheinend befällt und womit Köhler einen sinnträchtigen Topos der Volksdichtung einsetzt.
Besonders das Krott-Kapitel macht des Autors Affinität zur unheimlich materialisierten Erzählweise E. A. Poes bewußt. Durch überhöhte Exaktheit der Beschreibung wirkt die Existenz des Krott irreversibel, gleichsam schwebend; aber zugleich wird humorvoll Jordans Ausweg angedeutet: Nur ein sensibel geführter Hammerschlag könne den Krott besiegen - der kann nur real ausgeführt werden. So satirisch disponiert, eilt der Held los, zertrümmert Sinnloses, versteckt seine unklare Identität in einer voluminösen Arbeitsmontur und läuft durch Produktionshallen, in denen Arbeiter wie Zauberer mit ihrem mächtigen Arbeitsgegenstand umgehen. Köhler entfaltet hier gewaltige Bilder der Arbeit, zum Beispiel das eines »von eisernen Schlangen gewürgten Laokoon«, die Kesselanlagen verweisen auf die »Anatomie der Drachen«, auf Plutos Reich, wo die »Erde zermahlen und verbrannt« wird.
Nicht nur vordergründig wird hier die entfremdete Distanz des Helden zu seinem Arbeitsgegenstand analysiert; auch hintergründig zielt der Einsatz des Mythos auf verallgemeinerungsfähige, noch existierende Entfremdungsbeziehungen zwischen Arbeiter und Künstler, Produktion und Kunst. Hierzu gehört gleichfalls die satirisch zugespitzte Sprachkritik an sinnlosen Sprachwürmern, Berichtsfetischismus und Wortartistik. Im großartig komischen Gegensatz zur inneren Hektik und Beredsamkeit Jordans steht die humorvoll ausgeglichene literarische Gestalt des Arbeiters Stärschie. Mit ihr erzeugt Köhler in köstlichen Episoden voller Verschmitztheit die Heiterkeit des Spiels. Mal großspurig, mal listig die »führende Rolle« ausspielend, kontrastiert und antizipiert diese Figur Jordans Sehnsucht nach Identität. Satire in der Tradition Majakowskis klingt in der komisch durchtriebenen Arbeitergestalt auf, wenn sie sich listig und zugleich praktisch handelnd in den Situationen zurechtfindet. Starschies Erscheinungsbild vermittelt Souveränität humorvoll, es macht ihn zum Subjekt des Lachens. Er respektiert den außer sich geratenen Jordan, weil er dessen Ansprüche begreift.
Der sanfte Hammerschlag und Jordans »Befreiung« führen zu umwerfender Situationskomik, deren Verkehrungen nicht nur die Sprachkritik fortführen, sondern auch Satire und Humor zur bedeutungsvollen Antizipation herausformen: Jordan träumt nun spielerisch die Synthese von Arbeit und Genuß, von praktischer und geistiger Schöpfung. Sein komisches Pathos führt zur lustvollen Erkenntnis der individuellen und historischen Aufgabe.
V
Scheinbar gehört die Filmerzählung »Hartmut und Joana oder Geschenk für Kinder« von 1980
(Hinstorff Verlag) nicht zur Thematik Arbeit und Kunst. Wiederum gibt Köhler den Beweis
für seine differenzierende Satirekonzeption; die lachende Entlarvung vollzieht sich auch
hier im Bezug auf einen ganzheitlich verstandenen Gesellschaftsprozeß des Sozialismus, aus
der die historische Funktion der Arbeiterklasse sich in Thematik und Sujet klar vermittelt.
Satirisch überhöht erzählt Köhler den Konflikt zwischen dem Ethos eines Arbeiters und dem
»normalen« Alltag der anderen Kunstfiguren, wobei die Dialektik des Besonderen und
Allgemeinen scharf konturiert wird.
Das ereignishafte Spiel steigert die satirische Zuspitzung von Szene zu Szene, jedes Detail besitzt tiefe Bedeutung, aus jedem Bild erwächst ein neues bis zum Furioso des ebenso grotesken wie humorvollen Schlusses.
Die Idee des selbstlosen Arbeiters, der dreißig Jahre lang das Bergaufschütten für die Kinder einer trostlosen, flachen Industrielandschaft unternimmt, wird von Köhler nicht als Anlaufen des einzelnen gegen übermächtige Verhältnisse interpretiert; er gestaltet die dem Geschehen innewohnenden Tendenzen und Widersprüche als komisch durchschaubar. Die poetischen Bilder der rutschenden, rodelnden, fröhlich im Dreck spielenden Kinder wiederholen das Ethos der Arbeitergestalt; das kindlich-naive Spiel prägt im Grunde auch diesen Arbeiter, es verweist auf die Utopie schöpferisch-humaner Lebensverhältnisse der Zukunft und symbolisiert die historische Aufgabe der Arbeiterklasse weit über die Gegenwart hinaus.
Im spartanischen Desinteresse am wachsenden Wohlstand - der einstigen Liebsten Joana und der Kollegen - erinnert diese Arbeiterfigur an das Pathos des Berufsrevolutionärs; hierdurch gestaltet Köhler literarische Distanz. Andererseits markiert er scharf den Gegensatz zum gedankenlosen Konsum der anderen Kunstfiguren. Denn der entstehende Berg wächst zum Kunstwerk heran, weil er ureigenster Beitrag des Arbeiters zum Ganzen ist.
Aus der Tiefe der ereignishaft komponierten Konfliktstruktur, die das Beharrende der Normalität schockierend entlarvt, entsteht ein rasant satirisches Spiel, in dem die Phantastik nicht sich selbst tragendes Element ist, sondern ein poetisches Mittel der Wahrheitsfindung: Wagner stirbt unauffällig, als sein Berg über Nacht dem planmäßigen Bau einer Kläranlage weichen muß. Er erscheint nun jenen als GEIST, die Uneingelöstes zur Aufgabe haben.
Insofern faßt Köhler das Symbol des Berges nicht als Gegenutopie auf; innerhalb des komischen Konflikts zwischen dem Arbeiter und seiner Gemeinschaft ist es ideell tragendes, auch episch retardierendes Moment. Wenn schließlich mittels gewaltiger Technik und durch kurios entlarvende Leiter-Initiativen ein viel höherer, mit SCHNEE bedeckter Berg in der Ebene entsteht, treten diese perfekte Inszenierung und die lebenslange originäre Tat des Arbeiters in ihrem Gegensatz, doch auch in ihrer dialektischen Verknüpfung klar hervor. Einerseits ist der WEISSE Berg auch Metapher neuer Wege schöpferischer Arbeit; andererseits entlarvt ihn die bombastische Einweihungsfeier als Gleichnis für Anmaßung und Selbstillusionen. Köhler inszeniert eine entlarvende Abschlußszene: Anstatt der aufgereihten Kinder saust jauchzend der Stadtbaudirektor Sebastian vom Gipfel seiner Kindersehnsucht und auf einem Kinderschlitten auf die surrenden Fernsehkameras zu und stiehlt die Show. Mit dieser zugleich schönen Antizipation klingt das Werk des Transportarbeiters wieder auf; über den satirischen Befund hinaus verweist sie auf die »Realität der Träume« (Max Beckmann), symbolisiert sie den Anspruch an künftig Notwendiges.
VI
Köhlers Satireverständnis hat eine große Bedeutung für die DDR-Literatur. Seine Erzählungen
weisen ihn nicht nur als herausragenden Gestalter der Gesellschaftssatire und Verfechter
humanistischer Tradition aus; er ist vor allem auch ein eminent origineller Streiter für
die Dialektik des Komischen, das lange Zeit in seiner Bedeutung für die sinnlich-geistige
Aneignung unserer Lebensprozesse verkannt wurde.
»Das Komische«, schrieb Wolfgang Heise im Sonntag 31/1971, »ist überhaupt in der ganzen Breite seiner Beziehungsmöglichkeiten und Darstellungsmittel eine Weise, gegenüber dem Gegenstand das Verhältnis des Änderns (aktionsfähigen Subjekts zum Objekt), der Überlegenheit, der Freiheit zu gewinnen.« Daß das Hervorbringen heiterer Souveränität - im Sinne der geschichtsphilosophischen Bestimmung der Heiterkeit durch Marx - zum Realismus der Handlungen und zu deren Antizipation führt, demonstrieren Köhlers Satiren plastisch.
So abstrus die komischen Verwicklungen auch erscheinen mögen, enthüllen die poetischen Strukturen und deren ideelle Inspiration immer die Lust am »Entdecken der eigenen Kraft« (vgl. W. Heise). Daher fungiert auch die Phantastik nicht nur als technisches Mittel der Verfremdung; Köhler gibt ihr den spielerischen Ausdruck der Mobilität und Kreativität schöpferischer Phantasie - keinesfalls ist sie der Ausdruck skurriler Kauzigkeit. In dieser Besonderheit gerät sie über das vordergründige Geschehen hinaus durchweg zum Sinnträger der Aktionsfähigkeit des poetischen Subjekts.
Alle hier behandelten epischen Strukturen werden von Köhlers besonderem Gegenstand geprägt: dem historischen Schicksal, den Daseinsbedingungen und Perspektiven der Arbeiterklasse in unserer Epoche. Seit Jahrzehnten wird diese Analyse poetisch beständig vorgenommen; aus den literarischen Werken tritt dem Leser das Bild neu entstehender Souveränität des Arbeiters im Sozialismus, inmitten realer und geistiger Widersprüche unserer Zeit, hervor.
Bis heute sind solch hintersinnig-komische Arbeitergestalten wie die Erich Köhlers, deren epische Verstrickungen gleichnishaft die alltäglichen widerspiegeln, innerhalb der DDR-Literatur nicht häufig anzutreffen. Sie sind in all ihren Erscheinungsformen immer weit mehr als die reale, erfahrbare Wirklichkeit.
Brecht sprach vom »Vergnügen« an der »Meisterungsmöglichkeit« des menschlichen Schicksals - dies alles vollzieht sich in hohem Maße beim sinnlich-geistigen Aneignen der komischen Kunstgestalten Erich Köhlers.
aus:
»Positionen 4 - Wortmeldungen zur DDR-Literatur«
herausgegeben von Eberhard Günther und Hinnerk Einhorn
Mitteldeutscher Verlag Halle und Leipzig 1988