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Buchhülle Schatzsucher


Nils Harland


 

 
Liebes- und andere Erklärungen-Schriftsteller über Schriftsteller
 

»Zum Augenblicke könnt ich sa­gen: Lange genug im Reso­nanz­kasten, voll der vier­wän­digen Im­pulse bis unter die Haar­wur­zeln, frei von jeg­licher Fach­de­zer­niert­heit, wäre ich wohl ein ganz brauch­barer Halb­leiter. Man könnte mich an einen Strom­kreis an­schlie­ßen, einen Laut­spre­cher da­zwi­schen­schal­ten und den gan­zen Schwin­gungs­salat ohne jeden Kom­men­tar über Betriebs­funk oder in der Holz­oper aus­strahlen. Viel­leicht wäre das ein Weg, gar bald das leb­haf­teste Inter­esse und die Teil­nah­me der Mas­sen am Modell­ge­sche­hen zu errei­chen.«....
aus:  Erich Köhler
»Bericht aus einer Hutschachtel«:
 

  Vermutungen über einen,
  zum Beispiel Schatzsucher

Wiederveröffentlichung
mit freundlicher Genehmigung des Autors

Manfred Jendryschik

Was für eine Landschaft, dieser Strich Erde: grün und blau, schön auch die Bäume, die die Schneise zum Wasser hinunter begleiten, in den anliegenden Gärten sind die Latten zu Zunder gedorrt, unterm Flugsand bleckt das Emailleschild: Vorsicht, bissiger Hund!, so heißt es in altertümlichem Gesang, oder man kommt von den Boots­stegen herauf, hat noch Zeißbergs Johannisbeerkuchen zwischen den Zähnen und blickt zur Terrasse, auf der sich die jungen beredsamen Dichter tummeln wie Windhunde vor dem Start, da tritt einer aus der Tür, der gar nicht zu passen scheint ins ehemalige Landhaus der Marika Rökk, in Joppe und Reitstiefeln etwa und der Kopf wie aus der Bauernzeitung, oval, schütteres Haar, schwarz gleich dem Schnauz­bart, der geht schweigend und lächelnd an den Freunden vorbei, die Schritte vorsichtig, leicht wiegend, der gedrungene Körper wenig nach vorn gebeugt, aber das kann Vermutung sein oder die Perspektive. Oder wir sitzen abends bei diesem schrecklichen Rotwein, Irm­traud, die Gauklerlegende, der animierte Czechowski und er, seine Kohlrabenaugen gucken intensiv und abwägend und neugierig, daß man sich die Worte überlegt, er schaut über den Rand seines Rotweinglases und dann auf Irmtrauds ägyptisches Haar, sagt end­lich etwas und sogleich ohne Übergangsfloskeln, das ist verwirrend in diesem gebildeten Haus, zum Beispiel, daß er einem Erkundungs­trupp des Kraftwerkes Lübbenau angehört, der sich mit Kyberneti­schem beschäftigt, Probleme über Probleme, also doch nicht Bauer, wie die Mutmaßung glaubte, eher Schatzsucher im Bereich der Formeln, der Zeichen, die ein Land verändern, unaufhörlich, unbe­dingt. Seine Stimme ist verhalten, abrupt, des öfteren nuschelnd, daß Demosthenes seine Freude gehabt hätte, denn dieser Mann bedeutete eine Lebensstellung, außerdem die Vokale wie erzgebir­gisch, und dann sagt er in seiner nuschelnden Unverschämtheit Sätze, zum Beispiel: Jedes Teilsystem soll für sich ultrastabil sein und ist als solches zugleich Bestandteil eines übergeordneten multi­stabilen Systems, und so weiter, daß man erst meint, man hätte sich verhört, aber dieses kleine Männchen hinter dem Rotweinglas bleibt in dieser Sprache einschließlich des ironischen Bekenntnisses: Ich bin die Grundzahl Mensch, im Exponenten eine Summe aus dem aufgehobenen Problem plus dem neugewonnenen Quentchen Zu­wachskraft, und allmählich merkt man, daß er nicht nur ein richtiger Schriftsteller ist.

BROCKHAUS ABC DER NATURWISSENSCHAFT UND TECHNIK Stichwort "Köhlerei":
Herstellung von Holzkohle durch Verschwelen von Holz im Kohlen­meiler, wo ... ein Teil der Stoffe des Holzes verflüchtigt und aus­gebrannt wird ... Zur Leitung des Verkohlungsvorganges stößt der Köhler Löcher in den Meiler oder füllt Höhlungen aus und regelt so den Luftzutritt.

Wie in seinem Leben, ist in seinen Schriftstücken viel Bedachtsames, Bedachtes und so nachdenklich Stimmendes, eine Schwerblütigkeit, die einhermarschiert mit hintergründiger Heiterkeit und für die ich kein anderes Wort finde als Böhmisches, ein dumpfes Umher­gehen im Gestrüpp vergangener Jahre und das allmähliche Ein­kreisen des Hexenringes, den es zu entzaubern gilt, das Zutreten, der plötzliche Schritt in den zentralen Punkt, der auch der prägnante genannt werden könnte: so bekommt Prosa etwas Zwingend-Novel­listisches, hat die Möglichkeit, ungeheure Räume auszusparen, und kann doch tun, als wären sie anwesend - eine fast kybernetische so­genannte schöne Literatur.

Das trifft in hohem Maße schon auf die beiden Erzählungen zu, mit denen er in die Epik eintrat, "Das Pferd und sein Herr" und "Die Teufelsmühle" - Titel, die den novellistischen Kern fassen, Ge­schichten, die den soldatischen Mitläufer und den politisch noch unbewußten Widerstand vorführen, psychologisch erstaunlich sicher, ja erschütternd, sensibel bei aller holzschnittartigen Verkürzung, ein­fach, und das trotz vieler verflochtener Momente: so wird eine ganze Epoche in die Sprache geholt (und mancher dick- wie hartleibige Roman über diese Zeit). Allein die mit wenigen Strichen gezeichnete Vita jener geschirrsammelnden nazistischen Nachbarin wächst zur symbolischen Biographie der deutschen Misere bis dahin.

Dann einige Jahre nichts, ein beinahe verschwundener Autor; dann ein paar Zeitungsvorabdrucke, Skizzen, verheißungsvoll, dann der Roman, der sich um echte und berechnende Schatzsucher müht, die außerordentlichen Umwälzungen zur sozialistischen Landwirtschaft, also unvermittelt und hinein in die Gegenwart, ein Buch, das mit­unter weniger naturalistisch sein könnte, aber mitreißend und in den brisanten Konflikten ohne Verkleisterung und von sympathischer Naivität und poetisch (Die Erde machte ihren Buckel krumm und ließ die Sonne aufsitzen) und verschiedentlich zärtlich und was es an Klappentextvokabular noch geben mag, es stimmt sogar. Heinrich Ramm, der abgelöste LPG-Vorsitzende, ist wohl Sinnbild des eigenen komplizierten Weges zur Kunst, der junge Malterer Gegen­satz zu einer Kindheit, die ärmlich und verworren war, eine leib­haftige Hoffnung; Pflock, Eisenkolb, der Instrukteur: sie alle suchen nach dem Schatz in sich und in anderen, sie alle sind unterwegs zu diesem und jenem.

Doch seinen Meisterstreich - neben dem eigenartigen, moordunstigen "Nils Harland", einer kleinen Epopöe von Schuld und Sühne - vollbrachte er, nach meiner Ansicht, mit der Erzählung "Die lange Wand", ein kaum gewürdigtes, weithin unbekanntes Prosastück: Einer, zwischen Elbe und Rhein, fand sich, Jahre nach dem ersten Weltkrieg heimgekehrt und als gefallen gemeldet, auf dem klein­städtischen Kriegerdenkmal eingemeißelt, erhält bei einem jüngsten Soldatentreffen von seinem Exoffizier den Befehl, bei behördlicher Stelle das zu korrigieren, und rennt nun von Amt zu Amt, doch niemand ist interessiert, wegen eines bloßen Menschenlebens die Ordnung zu stören - und ein jeder entlarvt sogar die eigenen impe­rialen Ideale: die parabolische Kraft dieses Berichtes läßt ihn zu einem hervorragenden Zeugnis über die westdeutsche Situation, über die Vergangenheit werden.

ANZEIGE ZUM ROMAN „SCHATZSUCHER": wiederaufgetaucht erich köhler geboren in karlsbad csr stop - seit besuch des literaturinsti­tutes johannes r becher leipzig verschollen stop - arbeitete früher als bäcker schneider portalwäscher kohlefahrer landarbeiter bergmann und in anderen berufen zuletzt genossenschaftsbauer stop -

Er sitzt dann an diesem nierenförmigen Tischchen, vor sich das Manuskript, sitzt in Joppe und Reitstiefeln und scheint noch immer nicht so recht ins gepolsterte Gestühl und neben den offenen Kamin zu passen, liest - wie gesagt - leise und stockend und manchmal unverschämt ungewöhnlich nuschelnd eine Geschichte über einen Stein, der natürlich, wie seine zitierte Erde, Symbolisches aufgebuckelt hat.

Der Weg bis zu diesem Tisch, bis zu dieser Geschichte und - wie vorsichtig angekündigt - einem neuen Roman, er führte über seltsame Stationen, die der Lebenslauf, ablesbar in Andeutungen aus seinen Darstellungen, nur ungenau wiedergeben kann: die einfache, oft naive, mitunter skurrile Auffassung von der Welt, die Schwierig­keiten, mit ihr fertig zu werden, die psychischen Störungen eines Jungen in einem geistig gestörten Land, das erste Begreifen, besonders sozialer Ungerechtigkeit, der Wahnsinn des Chauvinismus, der zweite Weltkrieg und danach der schwere Beginn in verschiedenen Berufen - noch von seinem Studium am Literaturinstitut läuft die Anekdote um, daß er, mißgelaunt über das großzügige Lernpensum, gesagt haben soll, er gebe seinen Hühnern auch nur zu picken, was sie brauchten...

Vermutungen über Vermutungen: der untersetzte, zurückhaltende Joppenmann und das epische Trommelfeuer in der Denkmals­parodie, das abwägende Bauerngesicht und die heiter gefaßte Kyber­netik, Sprechen und Sprache - wie soll das auf den ersten und zweiten Blick übereinkommen, verständlich sein für einen, der kaum Gesichertes weiß und ungern Rotwein trinkt, der Nils Harland vor Augen hat und die amüsierten Gesten seines Schreibers, der sieht, wie jener durch die Jahre geht und sich müht, mit mehr als vier Dezennien auf den Schultern, neue Wissensgebiete in den Schädel zu bringen, der Köhlers zuckelnden, doch unaufhörlichen Gang in Erinnerung hat, der hält sich da lieber und zu guter Letzt an den Lübbenau-"Bericht aus einer Hutschachtel": "Zum Augenblicke könnt ich sagen: Lange genug im Resonanzkasten, voll der vier­wändigen Impulse bis unter die Haarwurzeln, frei von jeglicher Fachdezerniertheit, wäre ich wohl ein ganz brauchbarer Halbleiter. Man könnte mich an einen Stromkreis anschließen, einen Laut­sprecher dazwischenschalten und den ganzen Schwingungssalat ohne jeden Kommentar über Betriebsfunk oder in der Holzoper ausstrahlen. Vielleicht wäre das ein Weg, gar bald das lebhafteste Interesse und die Teilnahme der Massen am Modellgeschehen zu erreichen."

aus:
»Liebes- und andere Erklärungen - Schriftsteller über Schriftsteller«
herausgegeben von Annie Voigtländer
mit Zeichnungen von
Harald Kretzschmar

copyright 1972 by Aufbau-Verlag Berlin und Weimar