erschienen in:
Streitbarer Materialismus
Ausgabe Nr. 11
Verlag zur Förderung der wissenschaftlichen Weltanschauung
Stefan Eggerdinger Verlag München 1988

Ausgabe Nr. 29 - 2009

Michael Seiler

Thesen zur Mikroelektronik und
zur industriellen Revolution

Es ist Mode geworden, im Zusammenhang mit Mikroelektronik und Computern von einer zweiten oder gar dritten industriellen Revolution zu sprechen. Leute, die Revolutionen ganz und gar nicht lieben und jeden Revolutionär am liebsten tot oder hinter Gittern sehen würden, sprechen mit Begeisterung von dieser "Revolution". Ja, es hat sogar den Anschein, als stehe die Bereitschaft, für sozialen Fortschritt zu kämpfen, im umgekehrten Verhältnis zur Begeisterung für den Fortschritt der Technik.

Die Vertreter der Reaktion sehen in dem technischen Fortschritt einen Beweis der Lebenskraft der Kapitalismus, sie hoffen außer- =179= dem, daß dadurch Verhältnisse entstehen, die jede revolutionäre Bewegung von selbst ad absurdum führen.

Auch Menschen, die sich als Marxisten verstehen, behaupten, mit der "wissenschaftlich-technischen Revolution" seien völlig neue Be­dingungen entstanden - und rechtfertigen damit ihren übergang zum Reformismus.

Mir geht es nicht darum, die revolutionäre Bedeutung technischer Entwicklungen zu leugnen. Aber diese Revolutionierung muß man konkret untersuchen, statt einen Mythos daraus zu machen. Statt die Entwicklung von Mikroelektronik und Computertechnik als et­was einzigartiges zu bestaunen, ist es notwendig, diese Entwicklung im Zusamenhang der industriellen Revolution zu sehen, die bereits im 18.Jahrhundert begann.

Die folgenden Thesen beleuchten einige Aspekte dieser Entwick­lung. Ich führe dabei viele Zitate an, vor allem aus dem Band 1 des "Kapital". Mir geht es darum, die Aktualität von Marx' Untersu­chung zu zeigen. Die wenigen Aspekte, die ich in diesem Rahmen anführe, können und sollen natürlich das Studium des "Kapitals" nicht ersetzen.

1.WAS IST
DIE INDUSTRIELLE REVOLUTION?

1.1 Der Sieg des Kapitals

Die industrielle Revolution im 18. und 19. Jahrhundert wird land­läufig mit der Dampfmaschine gleichgesetzt. Diese Revolution, so heißt es, ersetzte menschliche Muskelkraft durch Maschinen, wäh­rend heute menschliche Geisteskraft durch Maschinen ersetzt wird. =180=

Dieses landläufige Verständnis der industriellen Revolution erfaßt ihre Bedeutung ganz und gar nicht. Mit ihr kam nicht nur eine neue Maschine zum Einsatz, sie war nicht nur eine technische Revolu­tion, mit ihr entstand überhaupt erst das, was wir Industrie nennen, auf Grundlage einer völlig neuen Form der Produktion, der Fabrik. Erst mit der industriellen Revolution siegte die kapitalistische Pro­duktionsweise, und das in mehrfacher Hinsicht: Einerseits wurde die Industrie zum bestimmenden Wirtschaftszweig, andererseits wurde der Kapitalist zum unumschränkten Herrscher über den Ar­beiter. Vor der industriellen Revolution, als die Manufaktur noch die typische kapitalistische roduktionsweise war, hatten die Ka­pitalisten ein Problem:

"Da das Handwerksgeschick die Grundlage der Manufaktur bleibt und der in ihr funktionierende Gesamtmechanismus kein von den Arbei­tern selbst unabhängiges objektives Skelett besitzt, ringt das Kapital be­ständig mit der Insubordination der Arbeiter." (Karl Marx, Das Ka­pital, Kritik der politischen Ökonomie, Band 1, Marx Engels Werke, Band 23, Dietz-Verlag Berlin 1983, S. 389)

Mit der industriellen Revolution ändert sich das grundlegend:

"Als Maschinerie erhält das Arbeitsmittel eine materielle Existenz­weise, welche Ersetzung der Menschenkraft durch Naturkräfte und er­fahrungsmäßiger Routine durch bewußte Anwendung der Na­turwissenschaft bedingt. In der Manufaktur ist die Gliederung des ge­sellschaftlichen Arbeitsprozesses rein subjektiv, Kombination von Teilarbeitern; im Maschinensystem besitzt die große Industrie einen ganz objektiven Produktionsorganismus, den der Arbeiter als fertige materielle Produktionsbedingung vorfindet." (Ebenda, S. 407)

"Durch seine Verwandlung in einen Automaten tritt das Arbeitsmittel während des Arbeitsprozesses selbst dem Arbeiter als Kapital gegen-über, als tote Arbeit, welche die lebendige Arbeitskraft beherrscht und aussaugt. Die Scheidung der geistigen Potenzen des Produktionspro­zesses von der Handarbeit und die Verwandlung derselben in Mächte des Kapitals über die Arbeit vollendet sich, wie bereits früher ange­deutet, in der auf Grundlage der Maschinerie aufgebauten großen In­dustrie. Das Detailgeschick des individuellen, entleerten Maschinen­arbeiters verschwindet als ein winzig Nebending vor der Wissenschaft, den ungeheuren Naturkräften und der gesellschaftlichen Massenwbei4 die im Maschinensystem verkörpert sind und mit ihm die Macht des 'Meisters'(master) bilden." (Ebenda, S. 446)

Damit wird die Maschinerie "das machtvollste Kriegsmittel zur Nie­derschlagung der periodischen Arbeiteraufstände, strikes usw. wider die Autokratie des Kapitals." (Ebenda, S. 459)

Die Wirkung dieses Kriegsmittels wird an den Gesetzen über den Arbeitstag besonders deutlich: Vor Beginn der industriellen Re­volution versuchten die Kapitalisten jahrhundertelang, mit staatli­chen Zwangsgesetzen den Arbeitstag zu verlängern, was nur müh­sam gelang. Mit der Ausbreitung der großen Industrie konnten sie den Arbeitstag ohne alle gesetzliche Hilfe so über alle Grenzen ausdehnen, daß seither die Arbeiter Zwangsgesetze brauchen, um den Arbeitstag zu begrenzen.

Andererseits aber hören damit die Arbeiter auf, sich als einzelne Berufsgruppen mit dem Kapital auseinanderzusetzen, sie beginnen, sich zur Klasse zu organisieren.

1.2 Der objektive Produktionsorganismus

Diese Herausbildung eines "ganz objektiven Produktionsorganismus" ist wesentlich mehr als die Ersetzung von Muskelkraft. =182=

"Die Kenntnisse, die Einsicht und der Wille, die der selbständige Bauer oder Handwerker, wenn auch auf kleinem Maßstab, entwickelt, wie der Wilde alle Kunst des Kriegs als persönliche List ausübt, sind jetzt nur noch für das Ganze der Werkstatt erheischt. Die geistigen Po­tenzen der Produktion erweitern ihren Maßstab auf der einen Seite, weil sie auf vielen Seiten verschwinden. Was die Teilarbeiter verlieren, konzentriert sich ihnen gegenüber im Kapital. Es ist ein Produkt der manufakturmäßigen Teilung der Arbeit, ihnen die geistigen Potenzen des materiellen Produktionsprozesses als fremdes Eigentum und sie beherrschende Macht gegenüberzustellen. Dieser Scheidungsprozeß beginnt in der einfachen Kooperation, wo der Kapitalist den einzelnen Arbeitern gegenüber die Einheit und den Willen des gesellschaftlichen Arbeitskörpers vertritt. Er entwickelt sich in der Manufaktur, die den Arbeiter zum Teilarbeiter verstümmelt. Er vollendet sich in der großen Industrie, welche die Wissenschaft als selbständige Produktionspotenz von der Arbeit trennt und in den Dienst des Kapitals preßt." (Ebenda, S.382)

"Es erscheint hier also direkt die bestimmte Arbeitsweise übertragen von dem Arbeiter auf das Kapital in der Form der Maschine, und durch diese Transposition sein eignes Arbeitsvermögen entwertet. Da­her der Kampf der Arbeiter gegen die Maschinerie. Was Tätigkeit des lebendigen Arbeiters war, wird Tätigkeit der Maschine. So tritt dem Arbeiter grob-sinnlich die Aneignung der Arbeit durch das Kapital, das Kapital als die lebendige Arbeit in sich absorbierend - 'als hätt' es Lieb im Leibe' - gegenüber." (Karl Marx, Grundrisse der Kritik der poli­tischen Ökonomie, Europäische Verlagsanstalt Frankfurt, S. 591f)

1.3 Die Werkzeugmaschine

Unter diesem Gesichtspunkt wird auch klar, daß es falsch ist, die industrielle Revolution mit der Dampfmaschine gleichzusetzen, denn sie konnte nicht den objektiven Produktionsorganismus bil­ den, der die Trennung der geistigen Potenzen der Produktion vom Arbeiter vollendet.

"Alle entwickelte Maschinerie besteht aus drei wesentlich verschiednen Teilen, der Bewegungsmaschine, dem Transmissionsmechanismus, endlich der Werkzeugmaschine oder Arbeitsmaschine. ... Beide Teile des Mechanismus (Bewegungsmaschine und Transmissions­mechanismus - M.S.) sind nur vorhanden, um der Werkzeugmaschine die Bewegung mitzuteilen, wodurch sie den Arbeitsgegenstand anpackt und zweckgemäß verändert. Dieser Teil der Maschinerie, die Werk­zeugmaschine, ist es, wovon die industrielle Revolution im I8.Jahrhundert ausgeht. Sie bildet noch jeden Tag von neuem den Ausgangspunkt, sooft Handwerksbetrieb oder Manufakturbetrieb in Maschinenbetrieb übergeht." (Das Kapital, S. 394)

"Die Werkzeugmaschine ist also ein Mechanismus, der nach Mit­teilung der entsprechenden Bewegung mit seinen Werkzeugen die­selben Operationen verrichtet, welche früher der Arbeiter mit ähn­lichen Werkzeugen verrichtete. ... Der Unterschied springt sofort ins Auge, auch wenn der Mensch selbst noch der erste Motor bleibt. Die Anzahl von Arbeitsinstrumenten, womit er gleichzeitig wirken kann, ist durch die Anzahl seiner natürlichen Produktionsinstrumente, seiner eignen körperlichen Organe, beschränkt. ... Die Anzahl der Werkzeuge, womit dieselbe Werkzeugmaschine gleichzeitig spielt, ist von vomher­ein emanzipiert von der organischen Schranke, wodurch das Hand­werkszeug eines Arbeiters beengt wird." (Ebenda, S. 394)

Die Werkzeugmaschine ersetzt also keineswegs nur Muskelkraft, sondern ebenso Geschicklichkeit, Aufmerksamkeit, Verständnis des Arbeiters für den Arbeitsvorgang. Die 'geistigen Potenzen des Produktionsprozesses" werden unabhängig vom Arbeiter in der Ma­schine vergegenständlicht. =184=

"Die Natur baut keine Maschinen... Sie sind von der menschlichen Hand geschaffne Organe des menschlichen Hirns; vergegenständlichte Wissenskraft. Die Entwicklung des capital fixe zeigt an, bis zu welchem Grade das allgemeine gesellschaftliche Wissen, knowledge, zur un­mittelbaren Produktivkraft geworden ist, und daher die Bedingungen des gesellschaftlichen Lebensprozesses selbst unter die Kontrolle des general intellect gekommen, und ihm gemäß umgeschaffen sind. Bis zu welchem Grade die gesellschaftlichen Produktivkräfte produziert sind nicht nur in der Form des Wissens, sondern als unmittelbare Or­gane der gesellschaftlichen Praxis, des realen Lebensprozesses." (Grundrisse, S. 594)

1.4 Die automatische Fabrik

Die Automation wird allgemein als Entwicklung der letzten Jahre verstanden, auf jeden Fall als etwas Neues gegenüber der Industrie des 18. und 19. Jahrhunderts.

So schreibt z.B. das "Lehrbuch Politische Ökonomie" (1975):

"Was ist ein Automat und wodurch unterscheidet der sich von einer gewöhnlichen Maschine?

Die Steuerung einer gewöhnlichen Maschine setzt nicht nur die Arbeit des Gehims, sondern auch das ständige Eingreifen der Hände des Menschen voraus. Die automatische Maschine befreit dagegen Hände und Gehim des Menschen von der Steuerung der mechanischen Ar­beitsinstrumente und ersetzt sie durch Steuerungseinrichtungen. Da­durch wird es mÖglich, die Grenzen endgültig zu überwinden, die na­türliche Eigenschaften des menschlichen Organismus der Entwicklung der Produktion und der Steigerung der Arbeitsproduktivität setzen. Die Automatisierung der Produktion eröffnet ein neues Zeitalter in der Entwicklung der maschinellen Technik. Im Vergleich zur gewöhnli­chen Maschine besteht das Neue beim Automaten folglich darin, daß eine Steuerungsmaschine oder eine automatische Steuerungseinrich­tung entsteht. Der Automat besteht nicht nur mehr aus drei, sondern aus vier Hauptbestandteilen: dem Motor, dem Transmissionsmecha­nismus, der Arbeitsmaschine und der Steuerungseinrichtung." (Lehr­buch Politische Ökonomie - Vorsozalistische Produktionsweisen, 3. Auflage, (übersetzung aus dem Russischen), Verlag Marxisti­sche Blätter, Frankfurt/Main 1975, S. 218)

Im Gegensatz dazu sprach Marx - vor über 100 Jahren! - von Au­tomatisierung der Produktion, von der automatischen Fabrik etc.. Man könnte einwenden, daß Marx diesen Begriff anders verwen­det, als wir ihn heute kennen. Aber was ist "ein Mechanismus, der... dieselben Operationen verrichtet, welche früher der Arbeiter mit ähnli­chen Werkzeugen verrichtete" anderes als ein Automat? Auch die einfachste Werkzeugmaschine enthält nicht nur Werkzeuge, son­dern Einrichtungen, um die Bewegung dieser Werkzeuge so zu steuern, wie es früher der Arbeiter tat. So kann Marx Berichte aus dem Jahr 1866 von Fabriken anführen, "worin Mules (Spinn­maschinen) mit 2200 Spindeln von einem einzigen Mann und zwei Handlangerinnen überwacht... werden." (Das Kapital, S. 586)

Natürlich zeigt uns die weitere Entwicklung in diesen 100 Jahren, wie sehr zu Marx' Zeit die Automatisierung noch in den Kinder­schuhen steckte. Nur bei Webstühlen und Spinnmaschinen konnte man in größerem Umfang schon von Automatisierung sprechen. Aber es zeugt von Marx' Genie, daß er hierin und nicht in der lär­menden Dampfmaschine das Wesentliche der industriellen Revo­lution erkannte. =186=

1.5 Die industrielle Revolution
ist nicht zu Ende

Das "Programm" der industriellen Revolution war also von vorn­herein die Schaffung des objektiven Produktionsorganismus und damit die automatische Fabrik.

Die industrielle Revolution, die im 18.Jahrhundert begann, ist des­halb bis heute nicht abgeschlossen und kann im Kapitalismus gar nicht abgeschlossen werden. Einerseits liegt in der Herstellung des objektiven Produktionsorganismus schon die Notwendigkeit seiner ständigen Weiterentwicklung:

"Die moderne Industrie betrachtet und behandelt die vorhandne Form eines Produktionsprozesses nie als definitiv. Ihre technische Basis ist daher revolutionär, während die aller früheren Produktionsweisen we­sentlich konservativ war." (Das Kapital, S. 510f)

Andererseits wird die kapitalistische Anwendung der Maschinerie immer wieder zum Hindernis dieser Revolutionierung, denn die Einsparung von Arbeit nützt dem Kapitalisten nur dann, wenn sie gleichzeitig die Menge an unbezahlter Arbeit vergrößert.

"Es liegt also in der Anwendung der Maschinerie zur Produktion von Mehrwert ein immanenter Widerspruch, indem sie von den beiden Faktoren des Mehrwerts, den ein Kapital von gegebner Größe liefert, den einen Faktor, die Rate des Mehrwerts, nur dadurch vergrößert, daß sie den anderen Faktor, die Arbeiterzahl, verkleinert." (Das Kapital, S.429)

Immer wieder versucht daher das Kapital, die Rate des Mehrwerts durch andere Methoden zu erhöhen als den Einsatz von Maschine­rie. Für die Arbeiter bringt dieses Bremsen der Automatisierung keine Erleichterung, im Gegenteil: Sie müssen dafür zahlen durch längere Arbeitszeiten und schlechtere Löhne. Ohne den Kampf der Arbeiter um die Begrenzung der Arbeitszeit und um ihren Lohn wäre die Entwicklung der Maschinerie noch viel stärker durch das Kapital gebremst worden.

"Das Kapital ist selbst der prozessierende Widerspruch (dadurch), daß es die Arbeitszeit auf ein Minimum zu reduzieren strebt, während es andrerseits die Arbeitszeit als einziges Maß und Quelle des Reichtums setzt. Es vermindert die Arbeitszeit daher in der Form der notwendi­gen, um sie zu vermehren in der Form der überflüssigen; setzt daher die überflüssige in wachsendem Maß als Bedingung - question de vie et de mort - für die notwendige. Nach der einen Seite hin ruft es also alle Mächte der Wissenschaft und der Natur, wie dergesellschaftlichen Kombination und des gesellschaftlichen Verkehrs ins Lebens, um die Schöpfung des Reichtums unabhängig (relativ) zu machen von der auf sie angewandten Arbeitszeit. Nach der andren Seite will es diese so ge­schaffnen riesigen Gesellschaftskräfte messen an der Arbeitszeit; und sie einbannen in die Grenzen, die erheischt sind um den schon geschaffnen Wert als Wert zu erhalten. Die Produktivkräfte und gesell­schaftlichen Beziehungen - beides verschiedne Seiten der Entwicklung des gesellschaftlichen Individuums - erscheinen dem Kapital nur als Mittel, und sind für es nur Mittel, um von seiner bornierten Grundlage aus zu produzieren. In fact aber sind sie die materiellen Bedingungen, um sie in die Luft zu sprengen. Wahrhaft reich eine Nation, wenn statt 12 Stunden 6 gearbeitet werden. Wealth ist nicht Kommando von Sur­plusarbeitszeit'(realer Reichtum),'sondem disposable time außer der in der unmittelbaren Produktion gebrauchten für jedes Individuum und die ganze Gesellschaft.' (The Source and Remedy etc.1821,p.6)." (Grundrisse, S. 5931)

"(Wie mit der Entwicklung der großen Industrie die Basis, auf der sie ruht, Aneignung fremder Arbeitszeit, aufhört den Reichtum auszuma­chen oder zu schaffen, so hört mit ihr die unmittelbare Arbeit auf als solche Basis der Produktion zu sein, indem sie nach der einen Seite hin in mehr überwachende und regulierende Tätigkeit verwandelt wird; dann aber auch, weil das Produkt aufhört Produkt der vereinzelten unmittelbaren Arbeit zu sein und vielmehr die Kombination der gesell­schaftlichen Tätigkeit als der Produzent erscheint. ... Im unmittelbaren Austausch erscheint die vereinzelte unmittelbare Arbeit als realisiert in einem besondren Produkt oder Teil des Produkts und ihr gemein­schaftlicher gesellschaftlicher Charakter - ihr Charakter als Vergegen­ständlichung der allgemeinen Arbeit und Befriedigung des allgemeinen Bedürfnisses - nur gesetzt durch den Austausch. Dagegen in dem Produktionsprozeß der großen Industrie, wie einerseits in der Produktivkraft des zum automatischen Prozeß entwickelten Arbeits­mittels de Unterwerfung der Naturkräfte unter den gesellschaftlichen Verstand Voraussetzung ist, so andrerseits die Arbeit des Einzelnen in ihrem unmittelbaren Dasein gesetzt als aufgehobne einzelne, d.h. als gesellschaftliche Arbeit. So fällt die andre Basis dieser Pro­duktionsweise weg.)" (Grundrisse, S.596 f)

2.EINIGE ASPEKTE DER ENTWICKLUNG DER INDUSTRIELLEN REVOLUTION

2.1 Die drei Teile der Maschinerie und die Elektrifizierung

Marx unterscheidet, wie ich oben zitierte, drei Teile der Maschine­rie:
Antriebsmaschine,Transmissionsmechanismus und Arbeitsma­schine (Werkzeugmaschine). Man könnte diese Einteilung für überholt halten, wenn man sich moderne Fabriken ansieht: Der Antrieb der Arbeitsmaschinen über ein System von Transmissions­riemen durch eine zentrale Antriebsmaschine ist längst Vergan­genheit. Ja, selbst innerhalb der einzelnen Maschine ist diese Auf­teilung nicht mehr zu finden: Statt einem Zentralmotor verwendet man in der Regel mehrere Motoren und Elektromagneten, um den Aufwand an Transmissionsmechanismen möglichst klein zu halten. Betrachtet man aber den gesellschaftlichen Produktionsorganismus im Ganzen, so sieht die Sache anders aus:

Mit der Elektrifizierung wurden die beiden ersten Teile der Ma­schinerie bereits (kapitalistisch) vergesellschaftet. Es sind das die Kraftwerke und das Leitungsnetz. Nur noch die Werkzeugmaschi­nen stehen heute in den Fabriken (die haben natürlich ihrerseits Elektromotoren, aber die laufen nur, weil es in den Kraftwerken große Antriebsmaschinen gibt, die natürliche Rohstoffe in Elektri­zität umsetzen -- auf den ersten Blick scheint es daher, als wären die Fabriken durch die Elektrifizierung wesentlich "individueller" gestaltet: Es gibt nicht mehr die eine Dampfmaschine mit Trans­missionen zu allen Arbeitsmaschinen; die einzelnen Arbeitsma­schinen können unabhängig voneinander laufen (was den Antrieb betrifft) - ja, es ist sogar kleineren Kapitalisten (oder Handwer­kern) die maschinenmäßige Produktion möglich, die sich vorher eine Dampfmaschine gar nicht hätten leisten können. Aber diese "Individualisierung" ist nur die Nebenwirkung einer weiteren Ver­gesellschaftung der Produktion.)

2.2 Die verspätete Entwicklung im Maschinenbau

Während die Automatisierung z.B. in der Textilindustrie schon im 19.Jahrhundert schon sehr weit fortgeschritten war, blieb sie im Maschinenbau zurück. Es gab zwar Drehmaschinen u.ä., aber verglichen mit den automatischen Spinn- und Webmaschinen war das noch kaum als Automatisierung zu bezeichnen.

Erst in der Zeit des Übergangs zum Imperialismus - um das Jahr 1900 - begann auch im Bereich des Maschinenbaus die Massen­produktion. =190=

(Das 18./19.Jahrhundert kannte Massenproduktion hauptsächlich in der Textilindustrie.)

Diese Massenproduktion wurde möglich und erforderlich, weil im Maschinenbau nicht mehr nur Produktionsmittel hergestellt wur­den, sondern Rüstungsgüter und Autos.

2.3 Das Wiederaufleben der Manufaktur in der Fließbandproduk­tion

In gewisser Hinsicht - aber auf anderer wissenschaftlicher und technischer Grundlage - wiederholte sich im 20.Jahrhundert im Maschinenbau die Entwicklung, die die Textilindustrie im 18./19.Jahrhundert erlebt hatte:

Die Arbeit halbkünstlerischer Handwerker wurde in Einzelteile zerlegt - "taylorisiert" (Im Unterschied zum Ausgang des Mittelal­ters wurden dazu jetzt "wissenschaftliche" Methoden verwendet, Methoden, die Lenin bezeichnete als "Fortschritt in der Kunst der Schweißauspressung" (Lenin,Werke, Band 18, Dietz Verlag Berlin 1962, S. 589)). Es entstand die Manufaktur in neuer, riesenhafter Form: Die Fließbänder vor allem in den Autofabriken sind die Manufakturen des 20.Jahrhunderts. Träger der Produktion ist nicht die automatische Maschinerie sondern der Mensch. Die Produk­tion ist Handarbeit, aufgeteilt in allerkleinste Schritte. Wie früher in den Manufakturen stehen die Arbeiter als "lebende Automaten" (S. 381) an den Bändern - und können deshalb heute umso leichter durch echte Automaten ersetzt werden.

Automatisiert ist nur das Transportsystem - es wird dazu genützt, die menschliche Arbeit dem Takt der Maschine zu unterwerfen, obwohl die Arbeit noch mit der Hand ausgeführt wird. =191=

"Die Herstellung und Erhaltung des Zusammenhangs zwischen den isolierten Funktionen ernötigt beständigen Transport des Machwerks aus einer Hand in die andre und aus einem Prozeß in den andren. Vom Standpunkt der großen Industrie tritt dies als eine charakteristi­sche, kostspielige und dem Prinzip der Manufaktur immanente Be­schränktheit hervor." (Kapital, S. 364) Diese Beschränktheit wurde mit dem Fließband nicht aufgehoben, ihr wurde nur Rechnung ge­tragen durch die Mechanisierung des Transportsystems.

Diese Produktionsweise hat sich im 20.Jahrhundert so sehr durch­gesetzt, daß die Autofabrik mit Fließband heute als die klassische Fabrik gilt. Es ist aber festzuhalten, daß - vom Standpunkt der Automatisierung - diese Fabrik ein Rückschritt ist gegenüber den schon im 19.Jahrhundert entstehenden automatischen Fabriken; ein Rückschritt von der Fabrik zur Manufaktur. Natürlich war sie in den betroffenen Produktionszweigen ein Fortschritt - denn dort gab es vorher noch eine fast handwerkliche Produktionsweise. (Daran ist auch die Behauptung zu messen, wir lebten in einem "postindustriellen Zeitalter".)

3.DIE MIKROELEKTRONIK UND IHR EINSATZ IN DER PRODUKTION

3.1 Was ist neu an der
mikroprozessorgesteuerten Maschinerie?

Ein erhebliches technisches Hindernis für den Fortschritt der Au­tomatisierung bestand darin, daß für jedes technische Problem eine spezielle Lösung gefunden werden mußte, um einen automatischen Arbeitsablauf zu realisieren. Während für kontinuierliche Vor­gänge wie Spinnen und Weben die Automatisierung relativ leicht durchzuführen war, gab es für Aufgaben wie die Montage von Au­tos ohne die Hilfe der Elektronik fast unüberwindliche Probleme.

Mit dem Computer wurde ein universeller (abstrakter) Automat geschaffen, der mit dem entsprechenden Programm auf jeden for­mallogisch beschreibbaren Vorgang zugeschnitten werden kann. Mit dem Mikroprozessor und entsprechenden Ein- Ausgabegerä­ten kann dieser abstrakte Automat in einen konkreten Automaten verwandelt werden, wird also Automatisierung überall da möglich, wo sie vorher zu schwierig oder zu aufwendig war. Begrenzt ist das im Wesentlichen nur durch die Geschwindigkeit des Prozessors und die Leistungsfähigkeit der Ein-/Ausgabebausteine.

Mit dem Computer und der Mikroelektronik wird es möglich (dank der Geschwindigkeit und Billigkeit), den formallogischen Ablauf eines Prozesses abstrakt zu behandeln, getrennt von dem konkreten physikalischen Vorgang.

3.2 Vergesellschaftung der Arbeit

Dies bedeutet vor allem einen wichtigen Schritt in der unmittelba­ren Vergesellschaftung der Arbeit: Wenn einmal klar ist, wie ein bestimmter Arbeitsvorgang auszuführen ist, dann kann er mit pro­grammgesteuerten Maschinen beliebig oft und an beliebigen Orten wiederholt werden, ohne daß tausende von Arbeiter in ewigem Stumpfsinn die gleichen Handgriffe machen müssen. Die Arbeits­vorgänge nicht nur innerhalb einer Fabrik, sondern in den ver­schiedensten Fabriken können auf schnellstem Wege aufeinander und auf den Konsum abgestimmt werden. Insofern kann man sa­gen, daß, wenn durch die Elektrifizierung die Antriebsmaschine und der Transmissionsmechanismus "gesellschaftlich" wurde (den Rahmen der einzelnen Fabrik überschreitet), heute dasselbe (je­denfalls der technischen Möglichkeit nach) mit der Arbeitsma­schine passiert.

=193=

Die Kritiker, die an der Computerisierung beklagen, die ganze Ge­sellschaft würde zur Fabrik, haben also durchaus recht, es fragt sich nur, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. "Es ist sehr charakteristisch, daß die begeisterten Apologeten des Fabriksystems nichts ärgeres gegen jede allgemeine Organisation der ge­sellschaftlichen Arbeit zu sagen wissen, als daß sie die ganze Ge­sellschaft in eine Fabrik verwandeln würde." (Kapital, Band 1, S.377).

Die "allgemeine Organisation der gesellschaftlichen Arbeit" drängt sich nämlich mit dem Fortschritt der Computertechnik immer mehr auf - und so gerät dieser technische Fortschritt in Konflikt mit den Schranken des Privateigentums.

Während die - halbwegs - gesellschaftliche Organisierung der Elektrizitätsversorgung zwar die Monopolisierung förderte, aber das Privateigentum nicht unmittelbar bedrohte, ist diese Gefahr im Bereich der Arbeitsmaschinen viel größer: Ein Kapitalist, der lau­fend Einblick gibt, was wie in seiner Fabrik gemacht wird, begibt sich schon damit in völlige Abhängigkeit - so etwa geht es den Zu­lieferfirmen der großen Autokonzerne.

Nur in solchen Formen - der Unterwerfung eines Kapitalisten durch einen anderen - aber ist im Kapitalismus eine Vergesell­schaftung der Arbeit über das Eigentum des einzelnen Kapitalisten hinaus überhaupt möglich.

So stößt die "Informationstechnik" immer wieder an solche Hin­dernisse wie daß verschiedene Computersysteme nicht zueinander passen und daher keine Daten austauschen können oder nur mit größerem Aufwand.

Der ganze Markt der Computersoftware schwankt zwischen Wu­cherpreisen und Schwarzmarkt. Ungeheuer viel Arbeit und Ge-hirnschmalz wird aufgewendet, um das unmöglich zu machen, was einer der größten Vorteile der Computertechnik ist - die unbe­grenzte Kopierbarkeit von Daten und Programmen, wobei die Ko­pien genauso gut sind wie die Originale. Genausoviel Aufwand wird getrieben, um diesen "Softwareschutz"wieder zu knacken.

Man könnte noch viele solcher Absurditäten aufzählen, die alle zeigen, daß im Kapitalismus eben unmittelbar gesellschaftliche Ar­beit nur soweit möglich ist, wie die Befehlsgewalt des einzelnen Kapitalisten reicht und daß die Automatisierung der Produktion nur der Aneignung unbezahlter Arbeit dient.*


* "In dem Maße aber, wie die große Industrie sich entwickelt, wird die Schöpfung des wiridichen Reichtums abhängig weniger von der Arbeitszeit und dem Quantum angewandter Arbeit, als von der Macht der Agentien, die während der Arbeitszeit in Bewegung gesetzt werden und die selbst wieder - deren powerful efectiveness - selbst wieder in keinem Verhältnis steht zur unmittelbaren Arbeitzeit, die ihre Pro­duktion kostet, sondern vielmehr abhängt vom allgemeinen Stand der Wissenschaft und dem Fortschritt der Produktion.

(...)

Die Arbeit erscheint nicht mehr so sehr als in den Produktionsprozeß eingeschlos­sen, als sich der Mensch vielmehr als Wächter und Regulator zum Produktionspro­zeß selbst verhält. ...

Es ist nicht mehr der Arbeiter, der modifizierten Naturgegenstand als Mittelglied zwischen das Objekt und sich einschiebt; sondern den Naturprozeß, den er in einen industriellen umwandelt, schiebt er als Mittel zwischen sich und die unorganische Natur, deren er sich bemeistert. Er tritt neben den Produktionspro­zeß, statt sein Hauptagent zu sein. In dieser Umwandlung ist es weder die urmittel­bare Arbeit, die der Mensch selbst vernichtet, noch die Zeit, die er arbeitet, sondern die Aneignung seiner eignen allgemeinen Produktivkraft, sein Verständnis der Na­tur und die Beherrschung derselben durch sein Dasein als Gesellschaftskörper- in einem Wort die Entwicklung des gesellschaftlichen Individuums, die als der große Grundpfeiler der Produktion und des Reichtums erscheint Der Diebstahl an frem­derArbeitszeit, worauf derjetzige Reichtum beruht; erscheint miserable Grundlage gegen diese neuentwickelte, durch die große Industrie selbst geschaffnc Sobald die Arbeit in unmittelbarer Form aufgehört hat, die große Quelle des Reichtums zu sein, hört und muß aufhören die Arbeitszeit sein Maß zu sein und daher der Tauschwert (das Maß) des Gebrauchswerts Die Surplusarbeit der Masse hat aufgehört Bedingung für die Entwicklung des allgemeinen Reichtums zu sein, ebenso wie die Nichtarbeit der Wenigen für die Entwicklung der allgemeinen Mächte des menschlichen Kopfes Damit bricht die auf dem Tauschwert ruhnde Produktion zusammen, und der unmittelbare materielle Produktionsprozeß erhält selbst sie Form der Notdürftigkeit und Gegensätzlichkeit abgestreift. Die freie Ent­wicklung der Individualitäten, und daher nicht das Reduzieren der notwendigen Ar­beitszeit um Surplusarbeitszeit zu setzen, sondern überhaupt die Reduktion der notwendigen Arbeit der Gesellschaft zu einem Minimum, der dann die kunstleri­sche, wissenschaftliche etc Ausbildung der Individuen durch die für sie alle freige­wordne Zeit und geschaffnen Mittel entspricht" (Grundrisse, S. 592f)

3.3 Der Computer als
Konkurrent des Arbeiters

Die Trennung des formallogischen und des physikalischen Ablaufs ermöglicht andererseits die Automatisierung von Tätigkeiten, die bisher allein der "geistigen" Arbeit vorbehalten waren - der Einsatz von Computern ist heute (wo die Kapitalisten durch Lohndrückerei und Arbeitshetze den Aufwand für technische Neuerungen sparen) in der Verwaltung spürbarer als in der Produktion.

(Es wird also möglich auch Arbeitsbereiche fabrikmäßig zu organi­sieren, die außerhalb der Produktion liegen.)

Daher auch die Ansicht, daß der Computer geistige Arbeit ersetzt, während früher nur Muskelkraft ersetzt worden sei - als ob die Ar­beit eines Handwerkers keine geistigen Fähigkeiten erfordert habe!

Der Computer verarbeitet nicht Informationen, sondern Daten. Er "begreift" nicht den Vorgang, den er durchführt, er arbeitet "stur" nach formalen Regeln. Er ist wesentlich flexibler als frühere Auto­maten. Die formalen Regeln können sehr komplex sein; er kann abhängig von den verschiedensten Bedingungen unterschiedlich vorgehen, er kann sogar - abhängig von solchen Bedingungen - das eigene Programm verändern. Der Computer kann also Tätigkeiten ausführen, die vorher dem menschlichen Kopf vorbehalten waren - genauso wie jede Werkzeugmaschine "Operationen verrichtet, welche früher der Arbeiter mit ähnlichen Werkzeugen verrichtete". In der Auführung solcher Tätigkeiten ist er dem Menschen überlegen - genauso, wie die Spinnmaschine dem Menschen überlegen ist.

Als Verkäufer der Arbeitskraft ist der Mensch tatsächlich in jeder Hinsicht ersetzbar durch die Maschine - nur in einer nicht: allein die menschliche Arbeit ist Quelle von Wert, nur die menschliche Arbeitskraft schafft Mehrwert.

Wenn aber die Arbeiter die Produktionsmittel besitzen, so sind die Maschinen nicht mehr ihre Konkurrenten, sondern Mittel zur An­eignung der Natur.

Eine Maschine kann z.B. Nahrungsmittel so verarbeiten, daß ich sie in gesünderer, effektiverer etc. Form zu mir nehmen kann - sie kann mir aber das Essen und Verdauen nicht abnehmen. Ganz ähnlich verhält es sich bei der geistigen Aneignung der Natur: die Maschine kann mir dabei helfen, sie kann mir aber nicht abneh­men, mir mit meinem Kopf die Wirklichkeit anzueignen und sie zu verstehen.

Die Menschenwürde ist also nicht bedroht durch Computer, die denken können. Was der Menschenwürde ins Gesicht schlägt, ist ein Gesellschaftssystem, in dem die Arbeitskraft eine Ware ist und damit der Arbeiter Konkurrent der Maschine. In dem Menschen, um sich ihren Broterwerb zu sichern, darum kämpfen müssen, Ar­beiten zu machen, die längst eine Maschine automatisch ausführen könnte.

Der Computer schafft nicht die geistige Arbeit ab, sondern indem durch den Fortschritt der Automatisierung niemand mehr zum "le­benden Automaten" gedrillt werden muß, entsteht die Möglichkeit, daß wirklich schöpferische geistige Tätigkeit nicht mehr das Privi­leg einer Minderheit bleibt.

3.4 Verschwindet die Arbeiterklasse?

Ich habe oben den Irrtum kritisiert, die Fließbandproduktion sei die typische Fabrik.

Mit diesem falschen Verständnis hängt es auch zusammen, wenn manche jetzt mit dem Fließband das Proletariat verschwinden se­hen. Allerdings zeigen die technischen Möglichkeiten der Automa­tisierung, daß es für die gesellschaftliche Produktion nicht mehr notwendig ist, daß wir den Großteil unseres Lebens in der Fabrik verbringen. Die Möglichkeit der menschenleeren Fabrik zeigt, daß Produktion für den Menschen auch möglich ist, ohne daß jedes Jahr hunderttausende ihre Gesundheit in den Fabriken ruinieren lassen. So sehr immer wieder Arbeiter darum kämpfen, Lohnar­beiter zu bleiben - als Klasse können sie gar nicht so handeln. In­dem sie sich zur Klasse organisiert, die Staatsmacht erobert und die Produktionsmittel in Besitz nimmt, hebt die Arbeiterklasse ihre eigene Existenz als Klasse auf.

Es sind die Kapitalisten, die am Weiterbestehen der Arbeiterklasse interessiert sein müssen. Denn ohne die Ausbeutung der Arbeiter können sie selbst nicht existieren.

Ein anderer Hinweis auf das Verschwinden oder die Schwächung der Arbeiterklasse durch die Automatisierung scheint zu sein, daß Berufsgruppen wie z.B. Setzer ihre starke Position gegenüber dem Kapital einbüßen. Ihr Streik kann leichter gebrochen werden - die Streikbrecher müssen keine gelernten Setzer sein. Einerseits zeigt sich darin die Rolle der kapitalistisch angewandten Maschine als Kriegsmittel gegen die Arbeiter. Andererseits weist diese Ent­wicklung daraufhin, daß nicht einzelne Berufsgruppen, sondern nur die Arbeiterklasse als Ganzes - mit entsprechendem Bewußtsein und entsprechender Organisiertheit - stärker ist als das Kapital.

Auch hier stoßen wir auf bekannte Widersprüche. Die technische Basis die großen Industrie ist revolutionär (s.o.).

"Durch Maschinerie, chemische Prozesse und andere Methoden wälzt sie beständig mit der technischen Grundlage der Produktion die Funktionen der Arbeiter und die gesellschaftlichen Kombinationen des Arbeitsprozesses um. Sie revolutioniert damit ebenso beständig die Teilung der Arbeit im Innem der Gesellschaft und schleudert unauf­hörlich Kapitalmassen und Arbeitermassen aus einem Produktions­zweig in den andern. Die Natur der großen Industrie bedingt daher Wechsel der Arbeit, Fluß der Funktion, allseitige Beweglichkeit des Arbeiters. Andrerseits reproduziert sie in ihrer kapitalistischen Form die alte Teilung der Arbeit mit ihren knöchernen Partikularitä­ten."(Das Kapital, S. 511 ) Der Arbeiter wird an bestimmte Teil­funktionen, an bestimmte Berufe gebunden und gerade dieser "ab­solute Widerspruch" ist es, der "alle Ruhe, Festigkeit, Sicherheit der Lebenslage des Arbeiters aufhebt, ihm mit dem Arbeitsmittel bestän­dig das Lebensmittel aus der Hand zu schlagen und mit seiner Teil­funktion ihn selbst überflüssig zu machen droht".

"Dies ist die negative Seite. Wenn aber der Wechsel der Arbeit sich jetzt nur als überwältigendes Naturgesetz und mit der blind zerstörenden Wirkung eines Naturgesetzes durchsetzt, das überall auf Hindernisse stößt, macht die große Industrie durch ihre Katastrophen selbst es zur Frage von Leben oder Tod, den Wechsel der Arbeiten und daher möglichste Vielseitigkeit der Arbeiter als allgemeines gesellschaftliches Produktionsgesetz anzuerkenen und seiner normalen Verwirklichung die Verhältnisse anzupassen. Sie macht es zu einer Frage von Leben oder Tod, die Ungeheuerlichkeit einer elenden, für das wechselnde Exploitationsbedürfnis des Kapitals in Reserve gehaltenen, disponi­blen Arbeiterbevölkerung zu ersetzen durch die absolute Disponibilität des Menschen für wechselnde Arbeitserfordernisse; das Teilindivi­duum den bloßen Träger einer gesellschaftlichen Detailfunktion, durch das total entwickelte Individuum, für welches verschiedne ge­sellschaftliche Funktionen einander ablösende Betätigungsweisen sind."(Das Kapital, S. 511f) Es ist klar daß Marx damit nicht den flexiblen Tagelöhner meint, der jederzeit disponibel ist für die Er­fordernisse des Kapitals, sondern das "total entwickelte Individuum" als Mitglied der Gesellschaft, die die Produktionsmittel in Besitz genommen hat. Aber schon die Entwicklung im Kapitalismus - auch die Flexibilisierung - verdeutlicht Marx' Feststellung, daß die handwerksmäßige Weisheit "Schuster bleib' bei Deinem Leisten" mit der großen Industrie zur "furchtbaren Narrheit"(S. 512) gewor­den ist. Diese Narrheit wird z.B. da spürbar, wo sich Arbeiter in Berufsgruppen spalten lassen. =200=

4.AUTOMATISIERUNG
UND PRIVATEIGENTUM

Die Entwicklung der Automatisierung stößt an allen Ecken und Enden an die Hindernisse des Privateigentums. (Obwohl z.B. aus vielen Fabriken von neuen Anlagen zu berichten ist, die die Pro­duktivität gewaltig steigern, wächst die Produktivität im Ganzen der Gesellschaft heute wesentlich langsamer als vor 20 Jahren.)

Es gibt aber keine absolute Schranke für die Entwicklung der Pro­duktivkräfte im Kapitalismus. Immer wieder kann das Kapital technische Neuerungen für sich nutzen, wenn auch der Preis dafür einschließt: Zerschlagung von Fabriken, Einsatz der neuen Pro­duktivkräfte für die Vernichtung. Aber in den neuen Produktiv­kräften wird deutlich, wie nahe wir an. der Gesellschaft ohne Aus­beutung und Unterdrückung sind:

"Wenn', träumte Aristoteles, der größte Denker des Altertums, 'wenn jedes Werkzeug auf Geheiß, oder auch vorausahnend, das ihm zu­kommende Werk verrichten könnte, wie des Dädalus Kunstwerke sich von selbst bewegten oder die Dreifüße des Hephästos aus eignem An­trieb an die heilige Arbeit gingen, wenn so die Weberschiffe von selbst webten, so bedürfte es weder für den Werkmeister der Gehilfen noch für den Herrn der Sklaven." (Kapital, S. 430)

Daß Aristoteles' Traum Wirklichkeit werden kann ist heute deut­lich sichtbar.

Aber wenn auch die Lohnschreiber der Kapitalisten die soundso­vielte industrielle Revolution preisen und den Arbeitern vorma­chen, diesmal würden sie wie von selbst von aller stumpfsinnigen Arbeit befreit, so weiß doch jeder Arbeiter, was das bedeutet: "Be­freiung"von jeder Arbeit und damit vom Lohn. =201=

Was aber die wenigsten wissen, ist, daß wir nur den Kapitalisten die Fabriken nehmen müssen, um Aristoteles' Traum zur Wirklich­keit zu machen.

Solange wir Arbeiter das nicht tun, gilt auch für die modernste Ma­schinerie die über 100 Jahre alte Feststellung:

"Es ist fraglich, ob alle bisher gemachten mechanischen Erfindungen die Tagesmühe irgendeines menschlichen Wesens erleichtert haben.' Solches ist jedoch keineswegs der Zweck der kapitalistisch verwandten Maschinerie." (Das Kapital, S. 391)

"Es gibt eine große Tatsache, die für dieses unser 19. Jahrhundert be­zeichnend ist, eine Tatsache, die keine Partei zu leugnen wagt. Auf der einen Seite sind industrielle und wissenschaftliche Kräfte zum Leben erwacht, von der keine Epoche der früheren menschlichen Geschichte je eine Ahnung hatte. Auf der andern Seite gibt es Verfallssymptome, welche die aus der letzten Zeit des Römischen Reiches berichteten Schrecken bei weitem in den Schatten stellen.

In unsem Tagen scheint jedes Ding mit seinem Gegenteil schwanger zu gehen. Wir sehen, daß die Maschinerie, die mit der wundervollen Kraft begabt ist, die menschliche Arbeit zu verringern und fruchtbarer zu machen, sie verkümmern läßt und bis zur Erschöpfung auszehrt. Die neuen Quellen des Reichtums verwandeln sich durch einen selt­samen Zauberbann zu Quellen der Not. Die Siege der Wissenschaft erscheinen erkauft durch Verlust an Charakter. In dem Maße, wie die Menschheit die Natur bezwingt, scheint der Mensch durch andre Men­schen oder durch seine eigne Niedertracht unterjocht zu werden. Selbst das reine Licht der Wissenschaft scheint nur auf dem dunklen Hinter­grund der Unwissenheit leuchten zu können. All unser Erfinden und unser ganzer Fortschritt scheinen darauf hinauszulaufen, daß sie ma­terielle Kräfte mit geistigem Leben ausstatten und das menschliche Leben zu einer materiellen Kraft verdummen. Dieser Antagonismus =202= zwischen moderner Industrie und Wissenschaft auf der einen Seite und modemem Elend und Verfall auf der andem Seite, dieser Antagonismus zwischen den Produktivkräften und den gesellschaftli­chen Bedingungen unserer Epoche ist eine handgreifliche, überwälti­gende und unbestreitbare Tatsache. Einige Parteien mögen darüber wehklagen; andere mögen wünschen, die modernen technischen Er­rungenschaften loszuwerden, um die modernen Konflikte loszuwerden. Oder sie mögen sich einbilden, daß ein so bemerkenswerter Fortschritt in der Industrie eines ebenso bemerkenswerten Rückschritts in der Po­litik zu seiner Vervollständigung bedarf. Wir für unsern Teil verkennen nicht die Gestalt des arglistigen Geistes, der sich fortwährend in all diesen Widersprüchen offenbart. Wir wissen, daß die neuen Kräfte der Gesellschaft, um richtig zur Wirkung zu kommen, nur neuer Menschen bedürfen, die ihrer Meister werden - und das sind die Arbeiter." (Karl Marx, Rede auf der Jahresfeier des "People's Paper", Marx Engels Ausgewählte Schriften, Band 1, Dietz Verlag Berlin 1951, S. 331 ff)

Michael Seiler

Thesen zur Mikroelektronik und zur industriellen Revolution

in
Streitbarer Materialismus Nr. 11 Juli 1988

erschienen im Heft

Streitbarer Materialismus Nr. 11
Verlag zur Förderung der wissenschaftlichen Weltanschauung
- Stefan Eggerdinger Verlag

München Juli 1988

Zur Frage der Arbeit im Kapitalismus
sowie im Sozialismus resp. Kommunismus
siehe auch:

J.D. Bernal: Marx und die Wissenschaft (Auszüge)


 

W.I.Lenin "Die große Initiative"


 

W.I. Lenin "Von der Zerstörung einer jahrhundertealten Ordnung zur Schaffung einer neuen"


 

E. Rozsnyai: Warum muß man es beim rechten Namen nennen?


 

Erich Köhler "Kulturpolitik"

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