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Erich Köhler
Erzählungen und Buchauszüge
Erich Köhler ca. 1990

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Erich Köhlers:
Materialien zur Untersuchung, wie sich Bewusstsein herausbildet

 

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beachten Sie auch den Abschnitt im "Bericht aus einer Hutschachtel" von 1969:

»Was kann den Menschen wohl am ehesten begeistern außer Schönheit?«

 

Rufmord an
Erich Köhler

Beurteilung des Weskottschen "Forschungs"- Berichts

 

abgedruckt in der KAZ Nr.234/244  24.Juni 1993

Zauberei

erschien 1996 in "Blasmagorien" im Spotless-Verlag, Berlin

Eines Tages trat Sigi Huber an, um seine persönliche Bestleistung zu über­bieten. Stämmig stand er auf der He­bebühne. Zu seinen Füßen ruhte das Problem. Die Gesichter des Publikums verschwammen zu einem blassen Mischmasch von Sensationslust, Hoff­nung und Skepsis. Letztere gründete in der Befürchtung dieser oder jener Unzulänglichkeit im Organgefüge des Athleten, bestand also zu Unrecht.


» Alt Zauche, 30. Mai 1993
Liebe Guggi,
hier beigefügte kurze Studie "Zauberei" ist in ihrer Art und Anforderung elitär und doch verbindlich. Eine Hommage auf den demokratischen Zentralis­mus und Antwort auf den Le­serbrief des Steffen W. aus Ber­lin in KAZ 242 zum Thema "Zersplitterung der Kommuni­sten".
Herzliche Grüße!
Erich«


An allem, was die Person Sigi Huber aus­machte, gab es keinerlei Manko, nicht eine rissige Faser, keine knirschende Gelenk­pfanne, keinen faulen Fleck im Bauchfell, durch den etwa im Über­maße der Anstren­gung die Därme bre­chen könnten; da war kein abgemüh­ter Wirbel, keine lasche Band­scheibe, kein entzündlicher Blind­darm, weder Spreiz- noch Senkfuß noch flatternde Herz­klappe. In dem Geästel seiner Blut­gefäße fand sich nicht die gering­ste kalk­ver­dächtige Ver­dickung. Herz und Kreislauf versorgten sämt­liche Gehirn­zellen optimal mit Sauerstoff. Sein Wille, das Problem zu meistem, war ange­messen. Nirgendwo in sei­nem Nerven­kostüm verbarg sich eine über- oder unter­reaktive Fiber. Zuge­geben, das Problem war gewaltig. Es bestand in einem ganzen Kilo Zu­schlag auf seinen bisherigen Rekord. Doch nirgendwo im System Huber pochte ein vergritztes Äderchen. Im Gegenteil, da war, zum Willen, gar noch eine Spur gesunden Phlegmas zu überwinden. Sigi tat das, indem er, äußerlich die Ruhe selbst, seinen Geg­ner in diesem Wettkampf insgeheim beschimpfte: Einhunderteinundfünfzig Kilo Trägheit! Meinst du, meine Kraft reicht dir nicht? Sie ist mir eine gut bekannte Größe, während du mit plumper Tücke lauerst. Das reizt mich. Dein stupider Bezug zum Ganzen oder zum Erdmittelpunkt stachelt mich. Es ist doch klar, der Stachel reizt ein bisher unerlebtes Quentchen Kraft herzu, gerade so viel, daß ich dich aufhebe. Ha. jetzt will ich das wissen. Ich pack dich an. Es gibt nur noch uns beide. Du oder ich. Wer - wen. Zwei sind zusammen EINS. So stelle ich Mathematik auf den Kopf. Chrraaa! Verdammt. Du mußt. Mußt nicht? Ich will.

In diesem Augenblick kam aus dem Publikum ein hundertstimmiges: Hoooch! Es war das Letzte, was Sigi von der Außenwelt vernahm. Auf den Flügeln dieses Zurufs drückte er ein­hunderteinundfünfzig Kilo über seinen Kopf.

Die Entropie der Welt, das Maß der Unordnung, um drei Zentner und ein Kilo ward sie aufgehoben, um ge­rade so viel aus dem Zustande größe­rer Wahrscheinlichkeit ins Gegenteil verwandelt, indem ein Leben sich da­zwischen stemmte. Die Welt­zeit­krüm­mung, just an dieser Stelle wurde sie, wenn auch nur um Weniges, und für einen unvorstellbar kurzen Zeitraum, aufgebeult durch die Kraft des Hebers Huber. Und diese Spannung zwischen Raum- und Muskel­kraft, sie mußte drei Sekunden lang gehalten werden. Von außen drang nun nichts mehr in dies künstliche System Weltall-Erde­Mensch hinein, kein Applaus, kein Ah und Oh. Im Innern rötlich sausende Stille. Auf kahlen Brettern präsentier­te sich die inkarnierte Singularität, die absolute Einsamkeit als Mensch-Na­tur-Kompendium. Nach außen war sie abgeschirmt durch die Ereignisplastik angespanntester Muskulatur, von der die staunenden Blicke wie Gummibäl­le prallten. Im Innersten war der Vor­gang aufgestaut zu einem einzigen, von äußeren Betrachtern nie erfahrbaren Befinden: Ich hebe, also bin ich. Den Zuschauern in ihrer Begeisterung ent­ging, daß ihnen in dem gelungenen Rekordakt ein Exempel kosmischer Zensur vorstand, aufbrechbar nur im Selbstversuch.

Ein bürgerlicher Tendenzreporter formulierte: "Sind aber die einzelnen Zellen eines solchen Körpers, ist die pneumatisch hochgepreßte Lunge, sind die diversen strapazierten Sehnen­stränge, ist das bis in die letzten Knö­chel starrbefohlene Stützgerüst, ist also denn das Teil an dem Gewaltakt des Ganzen interessiert? Mitnichten. So erweist sich das Gewichte-Heben als wenig demokratische, auffällig autori­täre Sportart, indem die Pluralität der Wirkungsglieder unter das Diktat krankhaft ehrgeiziger Gehirnzentren genötigt wird. Zu hinterfragen ist, ob solch ein Machtspektakel wider die Natur der Dinge, indem es doch den angestrebten Effekt ohnehin nur für Sekunden sicherstellt, eine solch vo­luntaristische Tyrannei über den ge­samten Zellenstaat rechtfertigt." Sigi Huber, bäuchlings auf der Prit­sche, während der Masseur seine Glie­der behutsam in den Entspannungs­zustand zurücksalbierte, grübelte: Was, wenn im richtigen Moment die­ses Hoooch! nicht gekommen wäre? Das Umsetzen der Last von der Brust weg in die Hochstrecke muß halt noch tüchtig trainiert werden, will ich näch­stens noch ein halbes Kilo drauf­packen.

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