»Sture und das deutsche Herz«
Prolog


 

Prolog

Eine Höhe weiß ich in Schweden, darauf steht eine Ulme. Um die Ulme hin liegen ein paar Gehöfte. Almskulle. Hier wohnt die Sippe Thorson. Alle Thorsonmütter wiegten unter der Ulme ihre Kinder. Diesmal tut das Frau Ranke. Zärtlich blickt sie nieder auf das neue Leben. Härchen wie Gold, Augen wie Hummeln. Ranke wiegt die süße kleine Last und summt ein Eiapopeia. Durch die Ulmenkrone geht der Sommerwind. Ranke träumt voraus. Was soll aus meinem Prinzlein werden? Ein braver treuer Landmann von Almskulle. Ranke sucht nach Worten. Sie improvisiert einen Singsang:

Lausche, mein Kind,
in der Ulme rauscht der Wind
Sei nie so stark, dass dich Schwache beneiden
nie so kühn, dass alle dich meiden
nie so stolz, dass kein Leid dich rührt
nie so klug, dass nichts dich betört
Sei nie so fromm, Gott nie so nahe
dass kein Mensch dir helfen kann
Schlafe, mein Kind; schlafe, mein Kind
In der Ulme raunt der Wind

Aus dem Bauernhause treten Gustav Thorson und Pastor Läskevatten. Ranke schaut ihnen getrost entgegen. Habt ihr zur Taufe vorgeraten? Gustav senkt den Blick. Er kniet vor seiner Frau nieder. Seine Stimme raucht: Wir haben einen Bankert, Ranke. Läskevattens weichliche Hand fällt auf Rankes Schulter. Lass ihn ausreden, Weib

Im Blut der Thorsons zieht ein schwarzer Faden, seit alters her. Alle paar Generationen kommt einer herauf, hat Augen wie der Satan, ist nicht nach Schweden Art, wird niemals Bauer, bleibt nicht im Lande. Diese Bälger werden Spielleute, Gaukler, Scharlatane, Landsknechte, Galgenvögel. Sie verkommen in der Welt. Diesmal hat es uns erwischt, Ranke, von mir, aus dir

Die Frau presst das kleine Bündel fester an sich

Es ist kein Kind, spricht Läskevatten. Er kennt die Familien­geschichte der Thorsons. In seinem Hause liegen die Matrikeln. Seit Menschengedenken rätselt man, woher der Satansbraten aus dem Samen dieser Sippe immer wieder hochkommt. Ihm, Läskevatten, Seelsorger in diesem Winkel, ward es endlich eingegeben. Es ist kein Kind, es ist ein Troll. Und Trolle haben einst ihren Wechselbalg den ersten Ansiedlern auf Almskulle untergeschoben. Seither kehrt er immer wieder. Wir, gute Frau, sagt Läskevatten, sind in das zwanzigste Jahrhundert eingetreten. Uns ist es nicht verstattet, einen bösen Geist für alle Ewigkeit in uns herumzutragen. Das wäre keine Tugend, auch kein Leichtsinn mehr, das ist schon Sünde

Rankes Augen sing grau geworden wie der See Siljan an Sturmtagen
Na na na, beschwichtigt Läskevatten, wir sind doch fromm und stark im Glauben
Was soll geschehen, fragt Gustav. Aus seiner Stimme weiß die Frau, dass der Prediger längst beschlossen hat, was geschehen muss. Ihr Mann wird nicht zuwiderhandeln

Den Wechselbalg, betont der Priester, den geben wir zurück. Wir weigern uns, die neue Zeit, die angebrochen ist, mit Unflat zu befrachten

Vignette: Trollsteine

Rankes Augen glänzen fiebrig

Sei du nur recht vernünftig, rät der Geistliche

Na, was soll werden, drängt Ranke

Nichts nichts. Du hast mit all dem nichts zu schaffen. Die Thorsonmänner haben diesen Keim im Blut; die Weiber werden ja allzeit anderwärts gefreit. Du bist ohne Makel, Frau. Gustav gibt einen Troll dorthin zurück, wo er herkommt. Da habt ihr euern Balg, nehmt ihn, und lasst uns fürderhin in Frieden. Die bewusste Stelle wird von mir mit Weihwasser und Gebeten ein für allemal entzaubert; ihre Geister sind damit gebannt und verdammt - und auch du, mein Kind, faste drei Tage lang. Reinige dich sodann gründ­lich. Immerhin hast du den Wechselbalg in deinem Bauche getra­gen, und schließlich an den Tag gehoben. Läskevatten deutet mit einer Kopfbewegung zu Gustav. Gib ihm jetzt den Bankert

Rankes Fuß trifft Gustav ins Gesicht
So gib ihn mir, fordert der Seelenhirte
Ranke keilt seitlich nach ihm, doch Onkel Läskevatten war auf der Hut. Er packt den stoßenden Fuß und hält ihn fest. Na, fass doch an, ermuntert er den Bauern. Sie schleifen Mutter und Kind ins Haus. In Rankes wurmartiger Abwehr liegt eine verzwei­felte Kraft. Indes die Männer, beide, sind doch Manns genug, um sie zu bändigen. In ihren Armen hält sie ja noch immer den Säug­ling. Am Enge liegt die Frau rücklings auf ihrem breiten Bauern­bett, darin schon viele Thorsonfrauen geliebt und geboren haben und schließlich auch gestorben sind. Jedes ihrer Handgelenke, jede ihrer Fußfesseln ist mit Lederriemen an den jeweiligs passgerechten Bettpfosten festgeschnallt

Uff! macht der Priester, dann entfernen sich die Sieger mit ihrer kleinen Beute
Ranke, die gas Kind nicht schrecken wollte, hat während des Kampfes nicht geschrieen. Jetzt brüllt sie. Sture, gellt ihr Schrei, Sture, Sture! Denn das ist ihre einzige Macht, dem Jungchen einen Namen nachzuschreien. Ihre Laute gehen in ein Kreischen über. Sie röchelt, beißt sich auf die Zunge, spuckt Blut

Was auf Almskulle Sense, Harke, Forke führen kann, ist im Heu, nur Gustav nicht. Durch Moos und Dickicht umgeht er die Heumacher. Nie war ihm eine Last so schwer wie diese. Schweißnass langt er bei dem düsteren, von Menschen gemiede­nen Orte an. Mannshohe, eirunde Steine liegen hier wie ein dämo­nisches Gelege - keine Seltenheit in diesem Lande, eiszeitlich abgeschliffenes Granitgeröll. Nur: diese Rieseneier sind allesamt mittendurch gespalten, wie aufgeborsten und von der Brut verlas­sen - erklärbar allzu leicht durch eine glimmerige Gangverwerfung, die den Zusammenhalt des Urgesteines störte. Furchtsame Gemü­ter sehen es anders: Was immer auch in diesen Schalen gesteckt haben mochte, es ist ausgekrochen und in die Welt gekommen. Das sind die Trollsteine. Niemand frommen Sinnes geht hierher. Gustav legt seine Last hastig in den tiefsten Steinspalt nieder, macht kehrt, und rennt, und rennt, ohne sich noch einmal umzuschauen. Er kommt nach Almskulle und findet seine Frau so vor, wie er befürchtet hat, schraubenartig verdreht, blutigen Schaum vorm Mund, Knöchel und Hanggelenke blutunterlaufen. Du hast keine Schuld, Ranke, keucht er. Du bist rein. Diese Widergänger waren da, bevor du auf die Welt kamst. Aber auch ich bin jetzt frei. Wir mussten tun, was der Prediger geraten hat. Einen schwarzen Keim­ling wird es bei den Thorsons nie wieder geben. Wir beide werden noch gute echte Sväarskinder haben

Ranke atmet flach. Es ist nicht sicher, ob sie hört. Losbinden darf ich dich nicht, Ranke, du rennst hin und verdirbst uns

 
Pastor Läskevatten schreitet nach Hause. Weit sind die Ent­fernungen in diesem Lande von Weiler zu Weiler. Hereinbrechen­de Dunkelheit braucht er indes nicht zu fürchten. Der Sommer kennt hier keine Finsternis, nur fahle Dämmerung um Mitter­nacht. Armes Weib, denkt Läskevatten. Je nun, sie wird es überste­hen. Später wird ihr das wie die Genesung von einem Alp

vorkommen. Noch später wird sie ihren Enkeln erzählen, wie sie einmal einen Troll gebar und an die Trolle zurückgab, damit kein Wechselbalg die Sippe mehr heimsuchen darf

Der Prediger hegt freilich seine Zweifel. Gott alleine weiß, woher diese unsteten braunäugigen Abweichlinge in die nordisch blaublickende Schwedenart dieser Familie eingeschossen worden sind. Irgendeine scheußliche Sünde wird damit auf alle Fälle ruch­bar bis auf unsere Tage. Sühne schadet nie. Kindesaussetzungen sind so alt wie das Alte Testament. Troll oder nicht, wir schleppen keine Wechselbälger in das zwanzigste Jahrhundert ein. Läskevatten entsinnt sich eines vorgeschichtlichen Fundes just bei den Trollst­einen, einer Schädeldecke, flachstirnig, mit gewaltigen Überaugen­wülsten, vorspringendem Kiefer, starkem Gebiss. Paläontologen rätseln daran herum. Die Schädelbasis, behaupten sie, ist aufge­brochen worden, um das Gehirn herauszuessen

Vielleicht, erwägt der Priester, muss man auch diese Ulme fäl­len, ist sie von Art doch ein Gewächs der feuchten Niederungen. Was, zum Donnerwetter, hat sie auf dem Hügel zu suchen? Warum gedeiht sie dort so unverfroren, dass die Jahrhunderte an ihr dahin­schmelzen. Er seufzt. Kein Mann aus Almskulle wird jemals die Axt an ihre Wurzel legen. Der rundlich-runzlig-rosig-gemütliche Gottesmann ist nur halb zufrieden. Es darf im Lande Schweden, ja auf der ganzen Welt kein anderes Heiligtum geben als das Symbol des Gekreuzigten. Er, Läskevatten, wird dieses Kreuz bei den Trollst­einen aufrichten. Sein kämpferisches Schnaufen durchfaucht die Mittsommernacht. Aus ist es mit den Trollen

Nordsommer. Mitternachtsleuchten. Bei den Trollsteinen schrillt ein Stimmchen. Eine Schnee-Eule in schmutzig­grauem Sommergefieder glotzt befremdet in den Steinspalt hinab. Was für ein hechelnd schmatzendes Getue dort unten An den eigenen kleinen Fäustchen lutschend, ungesättigt, vom Schreien erschöpft, durch das Ausbleiben mütterlicher Hilfe verstört, schlummert das Kind in einen unruhigen Schlaf hinüber. Siebenmal wird dieser verworfene Keim sei­nen Vorgängern begegnen, siebenmal voransterben bis hinab zur Erbsünde, ehe er selber verwelkt

Vignette: Troll
Verlag KULTURMASCHINEN Berlin 2009


siehe auch Leander Sukov:
Schriftsteller im Sozialismus,
IM aus Überzeugung

zur Erich-Köhler-Reihe im Kulturmaschinen-Verlag
"unsere zeit" vom 12. Febr. 2010

Leseprobe: Sture an der Mauer
Nachwort zur Neuerscheinung 2009
"Sture" wiedergelesen 2010
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