Der Lenz ist da

aus: Schatzsucher

»Eisenkolb traf Ramm im Stall. Der war gerade dabei, Sägespäne auszustreuen. "Was soll's denn werden?" fragte der In­strukteur. Seit einiger Zeit war das Interesse für Kuhställe in ihm erwacht.

"'ne Bakterienfalle." Ramm bemerkte nicht ohne Befriedigung das verdutzte Gesicht seines Besuchers. Er zog seinen "Genos­senschaftsbauern" aus der Tasche und erläuterte Eisenkolb an­hand einer selbstgefertigten Skizze, wie der Bazillus Bang an den Füßen der Pfleger von den Stallgängen in die Futtergänge gelangt. "Wohin du auch gehst, immer mußt du hier den Ver­bindungsgang betreten"' erklärte Ramm. "Jetzt streue ich hier Sägespäne und bespritze sie mit einer Desinfektionslösung." Eisenkolb nickte anerkennend. "Ich will dir noch zu deinem schnellen Erfolg gratulieren, Heinrich."

Schutzumschlag von 'Schatzsucher'

"Zu welchem Erfolg denn?"

"Nun, zu dem schnellen Durchbruch unseres Prinzips 'jedem nach seiner Leistung' den du errungen hast."

"Nennst du das einen Erfolg?"

Eisenkolb stieß den Genossen in die Seite. "Mensch, Heinrich, tu nicht so. Hast dich eines unserer wichtigsten Erziehungsmit­tel bedient, wie ein erfahrener Praktiker."

Ramm schüttelte betrübt den Kopf. "Weißt du, warum ich das getan habe? Weil ich mir von diesem 'Menschen' nicht die Haut abziehen lassen will. Weil es mich ankotzt, zu sehen, wie ein 'Mensch' mangels äußerer Ziehmittel an sich selbst ver­reckt."

Eisenkolb sträubte sich das Haar. "Sag mal, verachtest du die Menschen?" fragte er interessiert.

Ramm schüttelte den Kopf. "Menschen kann man nicht ver­achten, nur sehe ich hier keine." Er griff sich an die Stirn und schüttelte den Kopf. "Seit ich von der Bahn weg bin, wird das immer schlimmer mit mir." Er kniff die Lippen zusammen und sah betreten zur Seite.

Ja,, aber dann bist du doch gar kein Kommunist, Heinrich!" "Ich?" fragte Ramm verwundert und seine Miene verdüsterte sich. "Ja, bist du denn einer? Erziehst die Menschen mit 'Mitteln', bringst Prinzipien zur Anwendung, läßt Gesetzmäßig­keiten wirken, wie in der unbelebten Natur. Und welche Ein­stellung erreichst du dabei? Ohne Preis kein Fleiß! Wir stellen alles auf den Kopf. Jaja, ich bediene mich auch dieser Mittel, aber ich kann's eben nicht, ohne dabei den Glauben an die Menschheit zu verlieren. Denn was ist das? Dressur, nichts wei­ter. Ich mache meine Stalltür auf, und schon tropft meinen Kühen der Speichel aus dem Maul.. Sie wissen, daß sie was zu fressen kriegen. So ist das."

Eisenkolb schielte nachdenklich zur Stalldecke. Endlich sagte: "Du vergißt, was vorher war. Der Kapitalismus hat die Menschen verdorben. Sie wissen doch meistens nicht, was sie tun.“

Ramm erhob sich ächzend und trat ans Stallfenster. Dort lag in der Fensternische seine Brottasche. Er entnahm ihr einen ge­wöhnlichen Skizzenblock. "Du hast gut reden, denn du malst nicht", sagte er vorwurfsvoll. Er zeigte dem Instrukteur ein paar flüchtig hingeworfene Studien von Gesichtern, wie sie um die Mittagszeit vor seinem Stallfenster auftauchten.

Solange man sie nicht zeichnen muß, mag man sich mit Argu­enten zufrieden geben. Aber sieh selbst, wenn das Menschen sind, warum machen sie dann alle solche Gesichter? Warum sitzt ihnen dann allen etwas in den Augen, in den Mundwin­keln, über der Nase, ums Kinn, wogegen sich mein Bleistift sträubt? Warum dann dieses Arge, Listige, Verschlagene, Hä­mische, Höhnische, Fade, Freche, Dumme, Brutale, Gemeine, Erlogene, Gierige und Lauernde in den Gesichtern?" Ramm atmete heftig. Seine Stimme klang verzweifelt. "Ich höre das Wort, ich habe den Klang im Ohr: Mensch, das klingt so stolz, edel, klug, großmütig, hochherzig, stark und gut. Und dann mache ich die Augen auf – geh, Hans, was kniest du an­dauernd auf mir herum. Was willst du überhaupt von mir?"

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